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Ein neuer Wald für den Klimawandel

Zu heiß, zu trocken, zu viele Stürme: Die Erderwärmung setzt dem deutschen Wald zu, der Waldzustandsbericht 2020 schlägt Alarm.

Von Petra Krimphove


„Das ist ein tolles Waldwetter.“ Oberförster Nico Friedrich schaut zufrieden in den verhangenen Himmel, aus dem immer wieder Regengüsse stürzen. Das Frühjahr war bisher überdurchschnittlich nass. Und doch ist dies nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Nach jedem extrem trockenen Jahr brauche das Grundwasser vier bis fünf Jahre, um sich zu erholen sagt Friedrich: „Und wir hatten zwei Dürrejahre in Folge.“ Dabei gehört das Gebiet seiner Landeswaldoberförsterei Doberlug, im südwestlichsten Zipfel Brandenburgs, eh zu den trockensten Regionen Deutschland.

Lodenmantel und Filzhut – solche Klischees erfüllen moderne Waldhüter nicht. Stattdessen ist der sportliche Leiter der Oberförsterei in funktionaler Outdoorkleidung unterwegs. An seiner Seite sein Hund Igor, der sich sichtlich über den Ausflug in den Wald freut. Was Nico Friedrich dort zeigt, belegt zweierlei: Zum einen die enormen Schäden, die der Klimawandel in seinen Wäldern bereits angerichtet oder auch befördert hat: Zum Beispiel eine Lichtung mit im Sturm umgeknickten, schon zuvor geschwächten Fichten, gleich daneben Bäume, unter deren Rinde sich der Borkenkäfer eingenistet hat und die nun langsam absterben.

Erste Erfolge beim Waldumbau

Er ist für den Wald in Doberlug verantwortlich: Oberförster Nico Friedrich. Foto: Markus Altmann

Doch Nico Friedrich sieht beim Blick in die Zukunft nicht schwarz: Es gibt erste Erfolge beim Waldumbau, der Anpassung des Brandenburger Forsts auf die veränderten klimatischen Verhältnisse. „Hier entsteht eine neue Waldgeneration von hoher Qualität“, sagt er und weist auf ein Waldstück unweit der Lichtung. Gleich sieben unterschiedliche Baumarten wachsen hier auf kleiner Fläche unter den hohen Kronen der alten Bäume heran, unten ihnen Birken, junge Stiel- und Traubeneichen, Rotbuchen, Kiefern.

Letztendlich soll die Mischung den Wald stark machen, stark genug für den Klimawandel. Das Prinzip: Schädlinge spezialisieren sich meist auf eine Art, sollten sie zuschlagen, trifft es nur einen Teil des Bestands und nicht gleich den ganzen Forst. Horizontal gemischt, vertikal gemischt – viele Arten aller Altersstufen. So soll der Wald der Zukunft aussehen: „Wer breit streut, rutscht nicht aus“, bringt es der Oberförster auf den Punkt.

Für den Waldumbau gibt es kein Patentrezept, ebenso wenig wie den universell einsetzbaren Baum für den Klimawandel. Mittelmeerbäume kommen zwar mit wenig Wasser aus, vertragen aber keinen Frost. Also greift man auf heimische Arten zurück und nimmt von der Monokultur Abschied. Dabei hängt die richtige Mischung nicht nur vom Klima, sondern auch vom Boden ab. Der unterscheidet sich von Meter zu Meter, sagt Friedrich. Eine Grundtendenz ist aber übergreifend: „Der Bestand an Laubwäldern wächst, der an Nadelhölzern sinkt.“

Baumbestand wird verjüngt

Derweil verjüngen Förster und die Waldarbeiter den Baumbestand, säen neue, entferne kranke Exemplare. „Der Borkenkäfer zieht sonst von Baum zu Baum, wie bei einer Kneipentour“, sagt Friedrich. Nach dem Motto: Einer geht noch. Erst wenn die Distanzen zu groß werden, gibt er auf. Licht schaffen für den Nachwuchs, lautet eine andere Regel: Ein zu dichter Bestand schadet letztlich der Qualität. Bäume stehen in einer Wasser- und Nährstoffkonkurrenz, bei zu vielen auf einer Fläche bleibt nicht genug Nahrung für jeden einzelnen. „Das ist wie bei einem Futternapf: zehn Hunde fressen ihn schneller leer als einer“, erklärt der Förster. Die entnommenen Bäume liegen aufgestapelt am Wegesrand, sie sind eine wichtige Einnahmequelle für das Revier. „Wir machen keinen Waldbau für die Industrie“, betont Friedrich. Man verkaufe, was man aus dem Wald hole.
Hinter ihm liegen arbeitsreiche Jahre: 2016 breitete sich in seinem Revier die Gemeine Kieferbuschhornblattwespe aus, ihre Larven fressen die Nadeln von Kiefern. „Wir dachten, das ist handelbar“ erinnert er sich. Doch dann setzten im folgenden Jahr schwere Stürme, unter ihnen Xavier, den geschwächten Bäumen zu. Im Januar 2018 verwüstete dann der Sturm Friederike den Wald. Allein im Bereich der Landeswaldoberförsterei Doberlug sorgte er für 100.000 Festmeter Holz.

Und als wäre all das nicht genug, folgten auf die anstrengenden Aufräumarbeiten drei trockene Sommer mit Niederschlägen unter 400 Millimetern. „Das sind Bedingungen, mit denen unsere Waldbäume nicht klar kommen“, sagt Friedrich. Allein in Brandenburg sind in den letzten Jahren mehrere hundert Hektar Wald abgestorben oder durch Schädlinge stark beschädigt worden. Friedrich neigt nicht zum Alarmismus, aber: „An eine solche Häufung von Stressoren kann ich mich in den letzten Jahrzehnten nicht erinnern.“ Und er weiß, dass die schwierigen Jahre nicht die letzten ihrer Art gewesen sind.

Das gilt für ganz Deutschland. „Tote Bäume, so weit das Auge reicht“, zeigten sich in den Fichtenwäldern, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts 2020. Vier von fünf Bäumen in deutschen Wäldern sind geschädigt und haben eine lichte Krone. 79 Prozent der Fichten, jeweils 80 Prozent der Kiefern und Eichen sowie 89 Prozent der Buchen sind betroffen. Es ist ein Teufelskreis: Dürre und Rekordtemperaturen setzen den Bäumen zu, dann kommen die „Trittbrettfahrer“ der Krise, wie Friedrich sie nennt: Borkenkäfer und Pilze schwächen ihn weiter oder geben ihm gar den Rest.

Wald leidet unter Trockenstress

Die auch in Brandenburg verbreitete Fichte gehört zu den Verlierern den Klimawandels. Sie komme mit der Trockenheit nicht klar, erklärt Friedrich. Der Trockenstress macht sie anfälliger für den Befall mit Borkenkäfer und bietet ihm Brutmöglichkeiten. Gesunde, mit Wasser versorgte Bäume können sich mit Harzfluss gegen den Angreifer wehren, unter der Dürre leidende nicht. Kranke Bäume können wiederum dem Sturm nicht standhalten. Waldsterben – dieser Begriff ist ihm jedoch zu dramatisch. Schließlich sieht er doch Tag für Tag, wie eine neue Generation heranwächst.
Auf dem Boden droht den jungen Trieben jedoch Gefahr. Rehe und Dammwild lieben diese Delikatesse. Eine Möglichkeit, die jungen Pflanzen zu schützen, sind sogenannte Wachshüllen, die sie umschließen. In den letzten zwei Sommern hat Friedrich zum ersten Mal beobachten, dass es den jungen Pflanzen darin zu warm wurde und sie verbrannten, „wie beim Treibhauseffekt“. Bewährte Methoden stoßen an ihre Grenzen. Auch das ist ein Lerneffekt.

Immerhin hilft in Brandenburg der Wolf, den Bestand der Trieb-Fresser im Zaum zu halten. Rund 400 Wölfe soll es hier mittlerweile wieder geben, mehr als in jedem anderen Bundesland. Ab und an erspäht Friedrich eines der scheuen Tiere, die der Waldwirtschaft durchaus nutzen. Durch den Wolf hätten die Schäden an den jungen Bäumen spürbar abgenommen, sagt er. Auch wenn er weiß, dass viele dessen Wiederansiedlung sehr skeptisch sehen.

In welchem Maß und welcher Expertise der Wald auf die Zukunft vorbereitet wird, hängt auch von seinen Eigentümern ab. Friedrichs Revier in Brandenburg liegt gleich an den Landesgrenzen zu Sachsen und Sachsen-Anhalt. In dieser Region gehören 27,4 des Waldes dem Bundesland Brandenburg, sie fallen in Friedrichs Zuständigkeit. 60 Prozent sind in Privathand, 6,4 Prozent gehören dem Bund und 7,4 Prozent Körperschaften wie Stiftungen und der Kirche. Es ist ein Flickenteppich, allein in Brandenburg gibt es fast 100 000 private Waldbesitzer. „Hier beginnt ein Privatwald“, weist der Förster auf eine Fläche am Wegesrand. In der Tat ist die unterschiedliche Bewirtschaftung deutlich erkennbar beziehungsweise eher die Nichtbewirtschaftung der privaten Flächen. „Das Waldgesetz ist für alle gleich“, sagt Friedrich. Aber anders als der Landesförster interessieren sich viele Privatbesitzer nicht für ihren Wald. Dabei unterstützt das Land Brandenburg sie mit Geld und Beratung beim Waldumbau und der Wiederbewaldung. Nur wenige machen mit.

Erst saurer Regen, jetzt Trockenheit

Der Zustand des Waldes ist alarmierend. Foto: Markus Altmann

Dabei sind alle betroffen: Der Klimawandel bedroht nun auch jene Wälder, die vom Sauren Regen, dem Schreckgespenst der 80er Jahre, verschont blieben. Der ging damals vorwiegend in der Nähe von Industrieanliegen auf die Bäume herab. Nun verbreiten sich die Schäden über das gesamte Land. Es hängt höchsten von den Baumarten und Böden ab, wie stark die Regionen betroffen sind. Fast fünf Prozent des Brandenburger Forstes zeigen klimabedingte Schäden, so das Landesumweltministerium. Bund und Ländern stellen insgesamt 1,5 Milliarden Euro zu Verfügung, damit Waldbesitzer und Kommunen neue, widerstandsfähigere Wälder aufbauen können. Es geht insgesamt um eine Fläche von der Größe der Saarlands. Eine „Generationenaufgabe“, nennt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner es: Es sei „das größte Wiederaufforstungsprogramm in der Geschichte des Bundes“.

Klimaschützern dringen hingegen darauf, am anderen Ende anzusetzen, der Ursache: Wenn der deutsche Wald nicht noch mehr leiden soll, muss die Erderwärmung gestoppt werden. „Jedes Zehntelgrad weniger an Erwärmung erhöht die Chancen, dass bestimmte Baumarten in Deutschland in nennenswertem Umfang erhalten bleiben“, sagt Allan Buras, Koordinator des Waldzustandsmonitors an der TU München. Der Naturschutzbund Deutschland NABU stimmt dem zu: Die Rettung für den Wald liege im Klimaschutz.

Der braucht jedoch mehr Zeit, als die Waldschützer haben, also geht der Wandel in Brandenburgs Wäldern voran: Vielleicht werden sie einst wieder so gemischt aussehen, wie vor 200 Jahren, bevor die geregelte Forstwirtschaft ihn flächenweise in eine Monokultur verwandelte. Voller Eichen, Birken und Kiefern, denn die kommen gut mit nährstoffarmen Böden wie in dieser Gegend zurecht. Ob sich die alte Mischung dann auch in neuen klimatischen Verhältnissen bewähren wird, kann allerdings erst die Zukunft zeigen. Eines sei jedoch klar, sagt Nico Friedrich:. „Der Waldumbau ist alternativlos.“

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