Interviews

«Wir brauchen mehr junge Menschen in der Politik»

Rifka Lambrecht (l.) und Lenah Kah engagieren sich im Jugendrat der Generationen Stiftung. Foto: Viktor Strasse

Wir haben keine Zeit mehr, sagen Rifka Lambrecht (21) und Lena Kah (20). Die beiden Aktivistinnen sind im Jugendrat der Generationen Stiftung engagiert.

Daneben sind die beiden Frauen auch in anderen NGOs aktiv, Rifka bei Extinction Rebellion, Lena bei Fridays for Future. Beide studieren Politikwissenschaften in Berlin. Und beide haben eine hörbare Wut im Bauch, wenn sie über die Lasten sprechen, die ihrer Generation aufgebürdet werden.


electrified: Klimakrise, seit zwei Jahren eine Pandemie und nun auch noch ein Krieg in der Ukraine. Wie geht es Euch?

Lena: Ich wache derzeit oft gestresst auf und habe keine Lust Nachrichten zu lesen, obwohl ich das sonst immer mache. Der Krieg hat mich nochmal auf einer ganz anderen Ebene berührt und es fällt mir schwer meinem Alltag nachzugehen. Für mich ist die einzige Möglichkeit, mit der Lage umzugehen, mich zu engagieren und zu helfen. Sonst würde ich mich noch machtloser fühlen.

Rifka: Ich bin oft von Zorn und über die kalte Ignoranz vieler Politikerinnen und Politiker angetrieben. Wenn ich den Aktivismus nicht hätte, würde ich diese negativen Emotionen und meine Verzweiflung in mich hereinfressen oder die Realität verdrängen. Wir sind privilegiert in Deutschland und können auf die Straßen gehen, ohne dass wir befürchten müssen, eingesperrt zu werden. Wir haben die Möglichkeit, politischen Druck aufzubauen und etwas zu verändern. Das müssen wir nutzen.

Lena: Trotzdem ist eine Balance wichtig. Im Aktivismus ist es leider immer noch gängige Praxis bis zum Burn Out zu arbeiten. Das muss sich ändern. Wenn man Freunde trifft, ist es wichtig auch mal zu sagen: Wir sprechen jetzt nicht über die Nachrichten, sondern über uns und das, was wir gerne machen.

„Das ist einfach nur ignorant“

Rifka Lambrecht (m.) und Lenah Kah im Gespräch mit Petra Krimphove (l.). Foto: Viktor Strasse

electrified: Was macht Euch so wütend?

Rifka: Dass man die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimakrise seit Jahrzehnten hat und in diesen Jahren nichts passiert ist. Stattdessen hat unsere Regierung unglaublich viel Geld in die Automobilindustrie investiert und sich gegen Umweltauflagen eingesetzt, damit weiter dicke SUVs produziert werden können. Das ist einfach nur ignorant. Dahinter stecken auch Parteispenden, die aus der fossilen Wirtschaft kommen. Da fragt man sich, wie wir als junge Leute, die nicht soviel Geld haben, überhaupt von der Politik gehört werden sollen.

electrified: Ihr habt das Gefühl, dass die Politik die Welt vor die Wand fährt?

Lena: Vom jetzigen wissenschaftlichen Stand ist ein Ende der Menschheit ziemlich wahrscheinlich. Also ja, ich habe momentan das Gefühl, dass die Politik die Welt vor die Wand fährt oder doch zumindest keine gute Zukunft mehr, für mich und kommende Generationen, garantieren kann. Ich kann mir nicht vorzustellen, ein Kind zu bekommen, wenn wir Fluten wie im Ahrtal noch häufiger sehen.

electrified: Gibt es Euch Hoffnung, wie viele junge Menschen auf der Straße für mehr Klimaschutz kämpfen?

Rifka: Absolut. Wenn es immer mehr Menschen werden, habe ich die Hoffnung, dass die Politik sich ändert. Ohne Mehrheiten für Klimaschutz funktioniert es nicht, da die Politik sich immer an Wählerstimmen orientieren.

electrified: Ihr beklagt, dass selbst Hunderttausende auf der Straße die Politik nicht wirklich beeinflussen. Müsstet Ihr nicht selbst in die Politik gehen, statt auf die Straße?

Rifka: Bis wir uns in einer Partei hochgearbeitet und Einfluss gewonnen haben, ist die Klimakrise längst unaufhaltbar. Soviel Zeit haben wir nicht. Wir haben in den vergangenen drei Jahren viel geredet, über Klima, soziale Gerechtigkeit, über Bildung. Ich habe nicht das Gefühl, dass davon genug angekommen ist. Dialog ist wichtig, aber wir brauchen radikale Aktionen, die die Politik direkt treffen.

Lena: Das ist für mich kein entweder oder. Wir brauchen mehr junge Menschen in der Politik, aber wir brauchen auch eine starke Zivilgesellschaft, die am Ball bleibt. Ich sehe meine Rolle gerade eher in Aktivismus, weil man da mehr erreichen kann.

electrified: Es gibt auch in Eurer Generation Leute, die nicht auf ihr Auto, auf Fleisch oder Reisen verzichten wollen. Sprecht ihr wirklich für Eure gesamte Generation?

Rikfa: Wir sprechen auch für jene, die nicht unserer Meinung sind, weil doch alle ein Interesse an einer lebenswerten Zukunft haben. Vielleicht finden sie unsere Aktionen zu radikal. Aber es geht ja auch um ihre Zukunft, um die Frage, ob sie ein Leben in Frieden führen können, oder als Klimageflüchtete enden. Ich kann einfach nicht verstehen, warum Menschen in meiner Generation die FDP wählen. Es ist doch viel unwahrscheinlicher, Millionär zu werden als Klimageflüchteter.

Lena: Wir machen in der Generationenstiftung auch Marktforschung und fragen junge Menschen selbst, wie sie zu bestimmten Themen stehen. Klima und soziale Gerechtigkeit sind für sie die wichtigsten Themen. Wir sprechen für diese Mehrheit.

„Wir müssen die Renten der Boomer-Generation zahlen“

Rifka Lambrecht ist wütend über die Ignoranz vieler Politiker. Foto: Viktor Strasse

electrified: Kanzler Scholz hat eine 100-Milliarden Investition in die Aufrüstung Deutschlands angekündigt. Die Schulden wird die kommende Generation schultern müssen.

Rifka: Uns steht ein Staatsbankrott bevor: Wir müssen die Renten der Boomer-Generation bezahlen und die Corona-Schulden finanzieren und jetzt kommen noch diese 100 Milliarden dazu. Mich macht das auch wütend, weil ich mich frage, wo diese 100 Milliarden waren, als es um die Bekämpfung der Klimakatastrophe ging.

Lena: Wir haben zwei Jahre lang diskutiert, ob es einen Pflegebonus geben soll. Wir haben zwei Jahre lang diskutiert, ob es Luftfilter in Schulen geben soll und jetzt auf einmal werden 100 Milliarden aus dem Hut gezaubert.

electrified: Ihr verlangt ein generationengerechtes System: Wie würde das aussehen?

Lena: Das bedeutet, dass wir heute nicht auf Kosten von morgen leben, und hier nicht auf Kosten von anderswo: Das ist der Kernwandel, für den wir kämpfen.

Rifka: Wir brauchen ein System, das unsere Zukunft nicht mehr gefährdet, sondern die Rechte der zukünftigen Generation mitdenkt. Das bedeutet, ein ökologisches und soziales System, das solidarisch denkt und sich nicht nur auf den reichen, ausbeuterischen Westen fokussiert.

electrified: In der Generationen Stiftung habt Ihr eine große Kampagne gegen SUVs auf die Beine gestellt. Wie stellt Ihr euch die zukünftige Mobilität vor?

Lena: Ohne Autos, vor allem in Städten. Ich will niemandem auf dem Land sein Auto wegnehmen, wenn er darauf angewiesen ist. Aber es ist keine Zukunftsstrategie, weiterhin in den Individualverkehr zu investieren und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu vernachlässigen.

electrified: Ist der Übergang in die E-Mobilität für Euch eine akzeptable Lösung?

Rifka: Erst einmal finde ich das Wort Übergangslösung sehr schwierig, weil wir keine Zeit für Übergangslösungen haben. Die nächsten fünf Jahre sind entscheidend, um eine unwiderrufliche Eskalation der Klimakrise abzuwenden. Wenn wir davon ausgehen, dass sich alle einigermaßen gut verdienenden Menschen einen E-SUV zulegen und damit weiterhin allein zur Arbeit fahren, werden wir nicht genug Kapazitäten haben, um die ganzen Autos mit Ökostrom zu versorgen, weil die Energiewende noch nicht weit genug ist. Und zweitens können sich sozial benachteiligte Menschen und Geringverdiener keinen E-SUV leisten.

„Kleine E-Autos sind nicht die Lösung“

Lena Kah hat das Gefühl, dass die Politik die Welt vor die Wand fährt. Foto: Viktor Strasse

electrified: Es kommen immer mehr kleinere E-Modelle, die keine SUVs sind.

Rifka: Ich finde es generell problematisch, weiter in diesem Autokonzept zu argumentieren. Die Lösung ist nicht, ökologischere Autos produzieren, sondern weniger Autos. Kleine E-Autos sind nicht die Lösung. Dann haben wir immer noch die ganzen Ressourcen, die dafür verschwendet werden und das CO2, das während der Produktion ausgestoßen wird.

Lena: Die Sozialverträglichkeit spielt im Klimaschutz eine große Rolle. Die meisten Leute kaufen Gebrauchtwagen, weil sie sich keinen Neuwagen leisten können. Bis die kleineren E-Autos als Gebrauchtautos auf dem Markt sind, werden noch Jahre vergehen. Jahre, die wir uns beim Klimaschutz schon lange nicht mehr leisten können.

electrified: E-Mobilität wird ja bereits stark subventioniert.

Lena: Die Zielgruppe von Subventionen sollten Menschen sein, die sie brauchen. Wer derzeit überlegt, sich ein E-Auto zu kaufen, gehört eh zu den besser Verdienenden. Das sind nicht die Menschen, die im Winter ihre Heizung herunter drehen, weil sie sonst ihre Heizkosten nicht bezahlen können. Klimaschutz darf keine Frage des Einkommens sein.

Rifka: Ein Großteil der Bevölkerung nimmt wahr, dass Klimaschutz ihr Leben teurer macht, deshalb lehnen sie ihn ab. Das muss sich unbedingt ändern, und da sehe ich auch den Staat in der Verantwortung, bei der CO2 Steuer ein Klimageld auszuzahlen. Dass das noch nicht passiert ist, ist fatal. Weil die Politik so den Großteil der Bevölkerung gegen sich und gegen Klimaschutz lenkt.

electrified: Menschen fahren auch E-Auto oder E-Roller, weil es ihnen Spaß macht. Provokant gefragt: Seid ihr die Spaßbremsen eurer Generation?

Rifka: Wenn wir als Spaßbremsen bezeichnet werden, hat die Öffentlichkeit ein sehr perverses Verständnis von Spaß. Das ist Spaß auf Kosten unserer Zukunft, auf Kosten der Umwelt, auf Kosten unserer Gesundheit. Wir müssen als Gesellschaft umdenken und brauchen eine Wertewandel, so dass andere Sachen Spaß machen. Wir gehen ja nicht aus Lust und Laune auf die Straße, weil wir Menschen ärgern wollen. Es geht uns um die Zukunft. Ich blockiere nicht gerne eine Straße, ich finde das nicht lustig oder will Menschen verärgern.

Lena: Es ist wirklich wichtig, da einen Perspektivwechsel durchzuführen. Wir fokussieren uns so sehr darauf, auf was wir alles scheinbar verzichten müssen und was wir angeblich verlieren. Und wir sehen gar nicht, was wir zu gewinnen haben. Ich finde es sehr wichtig, uns nicht nur abstrakt eine schöne Zukunft vorzustellen, sondern ganz konkret zum Beispiel eine Straße ohne Autos voller Menschen und spielender Kinder. Stellen wir uns doch mal vor, dass unsere Umwelt wieder ein Ort zum Leben wird und nicht ein Ort, um sein Auto abzustellen.

Das Interview führte Petra Krimphove

Geschichte der Generationen Stiftung

Raum für die Perspektive der Jugend: Mit diesem Ziel wurde die Generationen Stiftung 2017 von der Unternehmerin Claudia Langer (Jahrgang 1965) gegründet. Sie wird von ihr mit einem Jugendrat und Kuratorium geleitet. Die jungen Aktivistinnen und Aktivisten kämpfen für einen „Systemwandel“ und eine „zukunftsfähige und nachhaltige Welt für alle Generationen“. 2019 erschien ihre Publikation „Ihr habt keinen Plan. Zehn Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft“. Im Kuratorium der Generation Stiftung sitzen u.a. der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber und der Wissenschaftsjournalist Harald Lesch.

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