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Ausstellung The Great Repair: Reparatur statt Neubau

Folke Köbberling und Martin Kaltwasser haben das Exponat Cart entworfen. Foto: David von Becker

In der Berliner Akademie der Künste läuft noch bis Mitte Januar die Ausstellung „The Great Repair“. Es geht dabei nicht nur um eine klimagerechte Instandhaltung alter Bausubstanz.

Von Corina Kolbe


Abbruchbagger, Abrissbirnen und Kräne rücken an, um scheinbar unbrauchbar gewordene Häuser dem Erdboden gleichzumachen. Nicht nur in Riesenstädten wie Berlin gehören solche Szenen mittlerweile zum Alltag. Ganze Straßenzüge gehen mit lautem Krachen in Staubwolken auf, damit Platz für zumeist hochpreisige Neubauten entsteht.

Abgesehen von den sozialen Folgen der Gentrifizierung und Verdrängung alteingesessener Stadtbewohner belasten diese Abrissaktionen auch die Umwelt. Laut dem Statistischen Bundesamt werden jährlich rund 14.000 Gebäude beseitigt und ersetzt. In der Regel ist es finanziell attraktiver, abzureißen und neu zu bauen, statt Bestandsimmobilien zu erhalten. Dies läuft aber nicht nur dem Klima- und Ressourcenschutz entgegen, sondern vernichtet überdies dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum.

Bauen steht für 30 Prozent der Emissionen

Die Kahlschlagpraktiken der Baubranche stoßen längst auf scharfe Kritik. Laut Lamia Messari-Becker, Professorin an der Universität Siegen und Expertin für nachhaltige Stadtentwicklung, steht Bauen für rund 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, 40 Prozent des Energiebedarfs, 50 Prozent des Ressourcenverbrauches, 60 Prozent des Abfallaufkommens und 70 Prozent der Flächenversiegelung.

Mit der vielfach angemahnten „Bauwende“, die auf Bestandsschutz abzielt, befasste sich im November auch der Zukunft Bau Kongress, der im umgenutzten ehemaligen Bundestagsgebäude in Bonn tagte.

Lösungsansätze aus aller Welt

Eine Kunstausstellung in Berlin nähert sich dem brisanten Thema aus einer weit gespannten Perspektive. Unter dem Motto „The Great Repair“ wird am historischen Sitz der Akademie der Künste am Hanseatenweg eine Vielzahl kreativer Lösungsansätze aus aller Welt vorgestellt. Die Ausstellungsmacher beleuchten die allgemeine Idee des Reparierens vorhandener Substanz unter ökologischen, historischen und sozialen Gesichtspunkten.

Der Solar Garden vom Atelier Bow-Wow. Foto: David von Becker

Das Projekt „The Great Repair“ wird von der renommierten Architekturzeitschrift ARCH+ in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste, der ETH Zürich und der Universität Luxemburg durchgeführt. Fördermittel kommen unter anderem von der Kulturstiftung des Bundes, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Wüstenrot Stiftung, Pro Helvetia und Kultur | lx – Arts Council Luxembourg. Neben der Ausstellung stehen auch Workshops, Diskussionen und Filmvorführungen auf dem Programm.

„Wir müssen davon wegkommen, Gebäude abzureißen und durch scheinbar nachhaltige Neubauten zu ersetzen. Denn dadurch wird viel graue Energie vernichtet“, heißt es in einem gemeinsamen Statement der Kuratoren, unter ihnen Florian Hertweck von der Universität Luxemburg, der Architekturtheoretiker Anh-Linh Ngo und Milica Topalović, die Architektur und Territorialplanung an der ETH lehrt. Unter „grauer Energie“ versteht man die gesamte Energie, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produkts benötigt wird. Darunter fällt auch die in Gebäuden gebündelte Energie, die für deren Errichtung aufgewendet wurde.

Besen und Wischmopps Teil der Ausstellung

„The Great Repair“ begreift den Erhalt und die Umnutzung von Bestandsbauten und Infrastrukturen als ökologische und zugleich soziale Zukunftsaufgabe. Der Fokus richtet sich hier auch auf die Pflege und Reinigung, mit der Lebenszyklen von Gebäuden und deren Inneneinrichtung verlängert werden können. Ausstellungsbesucher werden sofort damit konfrontiert. Zu den Exponaten gelangt man nicht – wie sonst üblich – über das Hauptfoyer der 1960 errichteten Akademie, sondern über den Servicebereich und ein Nebentreppenhaus. Besen, Staubwedel und Wischmopps der Reinigungskräfte sind Teil der Ausstellung. Ihre tägliche Arbeit dokumentiert die Fotokünstlerin Zara Pfeifer in einem Bildessay, der all das sichtbar macht, was ansonsten hinter den Kulissen verborgen bleibt.

Bereits 1969 erklärte die amerikanische Konzeptkünstlerin Mierle Laderman Ukeles in ihrem „Manifesto for Maintenance Art“ Wartungsarbeiten kurzerhand zur Kunst. Acht Jahre später wurde sie „Artist in Residence“ bei der Müllabfuhr in New York. In Berlin sind Videos von ihrer Performance „Touch Sanitation“ zu sehen, bei der sie über einen Zeitraum von einem Jahr jedem der etwa 8.500 Reinigungs- und Müllarbeiter der Stadt zum Dank die Hand schüttelte und den Weg der Abfälle bis zur Deponie verfolgte. Michael Wolf fotografierte dagegen in China alle möglichen Alltagsgegenstände, die sich die Menschen für ihre Zwecke nutzbar gemacht hatten. In seiner Serie „Bastard Chairs“ sind Stühle zu sehen, die aus unterschiedlichsten Materialien zusammengesetzt wurden – etwa ein roter Plastiksitz, der auf einer einfachen Holzkiste befestigt war oder ein blaues Sitzpolster auf einem Haufen Ziegelsteine.

Brücke zur Gegenwart schlagen

Die Ausstellung Great Repair läuft noch bis Januar in der Akademie der Künste. Foto: David von Becker

Wie man verantwortungsvoll mit bestehenden Gebäuden umgehen kann, demonstriert das Berliner Büro Brenne Architekten, das bis 2017 die unter Denkmalschutz stehende Akademie der Künste sanierte. Unter Denkmalpflege verstehen die Experten nicht ein „Konservieren in der Zeit“.

Es geht ihnen vielmehr darum, eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen, indem sie die Geschichte eines Bauwerks respektieren und sein Zukunftspotenzial erkennen. Von dieser Arbeit legt auch Brennes eindrucksvolles Materialprobenarchiv Zeugnis ab. Aus dem Bauhaus und seinen Stätten, aus Berliner Siedlungen der Moderne sowie aus anderen historischen Wohnanlagen wurden rund 12.000 Relikte zusammengetragen, die nun wichtige Quellen für die Denkmalpflege sind, unter anderem bei der geplanten Instandsetzung von Bruno Tauts – auch unter dem Namen „Onkel Toms Hütte“ bekannten -Waldsiedlung in Berlin-Zehlendorf.

Beton als großer CO2-Verursacher

Mit der Pflege und Reparatur von Stahlbeton beschäftigt sich ein Team unter Leitung von Sarah Nichols, die Architektur an der technischen Hochschule EPFL in Lausanne lehrt. Auf der ganzen Welt werden jährlich etwa 30 Milliarden Tonnen Beton verbaut, und schon bei der Herstellung seines Hauptbestandteils Zement fallen mindestens acht Prozent der globalen Kohlendioxidemission an. Ein Dokumentarfilm, der in der Ausstellung zu sehen ist, zeigt detailliert, wie der Zerfall dieses Materials aufgehalten werden kann.

Der Installationskünstler und Fotograf Kader Attia, der in Frankreich und Algerien aufwuchs, macht den Ausstellungsbesuchern begreiflich, wie sich Europa das traditionelle Wissen außereuropäischer Kulturen angeeignet hat. So haben Architekten wie Le Corbusier sich durch Lehmbauten in der algerischen Sahara inspirieren lassen, ohne dass diese Vorbilder klar benannt wurden. Attia weist die Formen der Lehmarchitektur auch in unseren heute gängigen Verpackungen aus Pappmaché nach. In einer Fotoserie des Niederländers Bas Princen von 2010 kann man außerdem die aufwendige Renovierung der aus Lehmziegeln konstruierten Moschee von Djenné in Mali beobachten. Das Projekt Limbo Accra arbeitet mit dem Aufbau eines Archivs verlassener Gebäude darauf hin, moderne Bauruinen, etwa einen unvollendeten Airport Tower in Ghana, gemeinschaftlich und nachhaltig zu nutzen.

Plastik aus dem Meeren fischen

Den Protest indigener Frauen in Guatemala gegen Umweltverschmutzung dokumentiert der Künstler Manuel Chavajay. Seit mehr als zehn Jahren fischen sie Plastikmüll aus dem Lago de Atitlán, dem zweitgrößten See des mittelamerikanischen Landes. Im Rahmen der Performance „Eure Industrie, euer Müll“ marschierten sie mit Chavajay in die Hauptstadt, wo sie die gesammelten Abfälle vor dem Parlamentsgebäude und der Industriekammer auskippten. Von den Verursachern des Mülls forderten sie mehr Schutz für die Natur.

Um das Upcycling von Kleidung geht es der Architektin Anna Heringer, die sich in Bangladesch – dem nach China zweitgrößten Textilexporteur – mit nachhaltiger Entwicklungsarbeit vertraut machte. Das auch bereits auf der Biennale von Venedig präsentierte Projekt Dipdii Textiles bietet Frauen, die in Werkstätten im Dorf Rudrapur aus abgetragenen Saris neue Kleidungsstücke fertigen, Arbeit und somit ein eigenes Einkommen.

Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart

Teil der Ausstellung ist auch eine aufsehenerregende textile Landschaft, die von Ureinwohnern aus dem kolumbianischen Anden-Amazonasgebiet gewebt worden ist. In dem dreidimensionalen Gebilde aus Pflanzenfasern und Perlen werden die Reservate der Indigenen sowie Flüsse und Städte markiert. Das Projekt regt zur Wiederentdeckung eines Territoriums an, das lange unter der Herrschaft der Kolonialmacht Spanien ausgebeutet worden war.

Die Ausstellung Great Repair läuft noch bis Januar in der Akademie der Künste. Foto: David von Becker

Wie Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft werden können, erlebt man in der einem Wintergarten nachempfundenen Installation „Solar Garden“ des japanischen Architekturbüros Bow-Wow. Eine rosa-weiße Holzkonstruktion mit Polycarbonatplatten aus demontierten Gewächshäusern dient als Verbindungsgang zwischen verschiedenen Ausstellungsbereichen in der Akademie der Künste. Der Weg führt durch einen Außenbereich im ersten Stock, wo sich ein 1960 nach Plänen von Walter Rossow angelegter Gräsergarten befindet. Der Landschaftsarchitekt hatte nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich den Wiederaufbau zerstörter Berliner Grünanlagen – auch des nahegelegenen Tiergartens – vorangetrieben.

Die japanischen Architekten verwendeten unter anderem Holzlatten, die schon bei einer früheren Ausstellung am neuen Sitz der Akademie am Pariser Platz zum Einsatz gekommen waren.
Zu den theoretischen Positionen, die „The Great Repair“ zur Diskussion stellt, gehört auch die Forderung der französischen Architektin Charlotte Malterre-Barthes nach einem temporären Baustopp. „Was wäre, wenn das Bauen für eine gewisse Zeit gänzlich ausgesetzt würde und die Disziplin sich in dieser Zwangspause neu orientierte?“ Diese Frage, die Malterre-Barthes 2020 bei einem Forschungsprojekt an der Harvard Graduate School of Design stellte, sollte nicht nur zu reinen Gedankenspielen führen. Denn die Wohnungsnot, die sich durch die Immobilienspekulation vor allem in Großstädten immer weiter verschärft, verlangt nach entschlossenem Handeln.

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