Interviews

Wolfgang Frey: Wir müssen bewusster bauen

Der Architekt Wolfgang Frey. Foto: Frey Architekten

Der Architekt Wolfgang Frey setzt bei seinen Bauprojekten auf Nachhaltigkeit. Im Interview mit electrified spricht der 60-Jährige darüber, weshalb es längst an der Zeit ist, bewusster zu bauen und es nicht um den schönen Schein geht.

Der Freiburger Architekt Wolfgang Frey setzt bei seiner Arbeit auf Nachhaltigkeit. Ein Aspekt, der bei der Kollegenschaft noch nicht ausreichend angekommen, findet Frey. „Es gibt sehr viele, insbesondere jüngere Architekten, die sich langsam dem Thema annehmen. Aber viele laufen immer noch dem schönen Schein hinterher: Hauptsache die Fassade ist hübsch.“


„Ich sehe eine zunehmende Ignoranz“

electrified: Herr Frey, wenn Sie sich heute die Arbeit vieler Kollegen und deren Bauprojekte anschauen, wie beurteilen Sie dieser unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit?

Frey: Als katastrophal.

electrified: Warum als katastrophal?

Frey: Es gibt sehr viele, insbesondere jüngere Architekten, die sich langsam dem Thema annehmen. Aber viele laufen immer noch dem schönen Schein hinterher: Hauptsache die Fassade ist hübsch. Mir wirft man teils vor, dass ich keine Architektur mache, sondern Haustechnik.

electrified: Ärgert es Sie, wenn Sie als Haustechniker bezeichnet werden?

Frey: Ich finde, dass wir als Gesellschaft eine Verantwortung haben. Der müssen wird gerecht werden. Doch ich sehe eine zunehmende Ignoranz. Wir verschwenden die von der Sonne geschenkte Energie, wir verpesten die Umwelt mit CO2 für die folgenden Generationen. Statt Sonnenenergie zu nutzen, verbrennen wir Erdöl, lassen Klimaanlagen laufen. Was für ein Schwachsinn.

electrified: Verhindern die Kosten eine stärkere Nachhaltigkeit beim Bauen?

Frey: Genau darum geht es immer, die Kosten. Die Frage, ob das nicht viel zu teuer ist, begegnet mir immer wieder. Natürlich ist es teurer, doch am Ende rechnet es sich. Ein Beispiel: Ein Solaranlage kostet wie eine Klinkerfassade Geld. Doch mit einem Solardach kann ich durch die Einspeisung und Rückführung der Energie Geld sparen, mit einer Klinkerfassade nicht. Ein Solardach bringt am Ende Rendite.

„Man muss fordern und fördern“

Solar-Panele an der Außenfassade. Foto: Frey Architekten

electrified: Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Ist das ein Beschleuniger für nachhaltiges Bauen, eine nachhaltige Stadtplanung?

Frey: Man muss fordern und fördern. Natürlich braucht es juristische Rahmendaten, aber man muss den politischen Zeitgeist sehen. Ich hoffe, dass eine Bewegung wie „Fridays for Future“ die ältere Generation zum Nachdenken bringt. Wir bauen längst Passivhäuser, Häuser, die so gedämmt sind, dass sie nur wenig Energie benötigen. Wir setzen auf Photovoltaik auf dem Dach, an der Fassade, um diese Energie zu nutzen, das Gebäude zu beheizen und zu elektrifizieren. Damit können wir Energieüberschüsse erzielen und die Bewohner können Gewinne erzielen. Wir bauen Häuser, die die Umwelt nicht belasten, sondern entlastet.

electrified: Auf den Gebäudesektor entfallen 40 Prozent des Energieverbrauchs. Stellen Sie fest, dass der Green Deal der EU hier schon Wirkung zeigt?

Frey: Nach meiner Meinung könnte man noch viel, viel mehr machen. Es wird sehr zögerlich vorgegangen.

electrified: Das heißt?

Frey: Schauen Sie sich nur den KfW-Standard an. Nach diesem Standard darf ein Haus eine gewisse Energieverbrauchsmenge nicht überschreiten. Es kommen danach über 60, 70, 80 Kilowattstunden je Quadratmeter jedes Jahres zusammen. Heutzutage ist es rechnerisch kein Problem, ein Haus zu bauen, welches nur 10 bis 15 Kilowattstunden benötigt. Ein Haus besitzt innere Wärmequellen: Menschen strahlen wie Haushaltsgeräte Hitze ab. Technisch ist es kein Problem, ein Haus zu bauen, das ohne externe Energiequelle auskommt. Dafür müsste man ins Baurecht nur ein Wort schreiben: Passivhaus. Derzeit machen wir eine Riesenveranstaltung aus der KfW Berechnung. Das könnte man sich alles sparen.

„Wir müssen am Bestand etwas machen“

electrified: Derzeit wird zur Erreichung der Klimaziele eine Diskussion über einer Verdoppelung der Renovierungs-Quote in der EU geführt. Derzeit liegt sie zwischen 0,2 und 0,4 Prozent. Eine sinnvolle Diskussion?

Frey: Wir kommen in der Tat nur auf 2 Prozent Neubauten. Wenn wir uns nur auf den Neubau fokussieren, reicht das nicht. Wir müssen am Bestand etwas machen.

electrified: Der Altbau hat für Sie angesichts der geringen Neubau Quote in Sachen Reduktion der Energieabgabe also Priorität?

Frey: Absolut, wenn man den Altbau nicht renoviert, wird man die Klimaziele nicht erreichen.

electrified: Der Gebäudesektor kam 2019 auf CO2-Emssionen von 209 Millionen Tonnen. Bis 2030 sollen sie auf 72 Millionen reduziert werden. Ein realistisches Ziel?

Frey: Eine schwierige Frage. Technisch ist das realistisch, doch wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue, dann sehe ich viele Hemmnisse. Dabei ist es egal, ob es Politiker, Bauträger oder Geschäftsleute sind, die nicht kapiert haben, was dafür zu tun ist.

electrified: Sie haben in Freiburg den Green Tower errichtet, der jährlich 160 Tonnen CO2 einspart. Ist das ein Leuchtturmprojekt für Sie?

Frey: Wir haben ja Hunderte Gebäude realisiert, auch im Ausland. Es gibt zwei Aspekte zu beachten. Einmal den Betrieb, einmal den Bau. Beim Betrieb ist es ganz simpel: Wenn das Gebäude im Winter Wärme und im Sommer Kühle benötigt, muss diese ja irgendwo herkommen. In der Regel werden die über die Verbrennung von Öl oder Gas erzeugt, was CO2 produziert. Wenn man das Gebäude sehr gut wärmedämmend baut, braucht es weniger Wärme im Winter und Kühle im Sommer. Wenn man dann noch Photovoltaik-Anlagen an der Fassade anbringt, dann kann man eine Batterie einsetzen und das Gebäude braucht keine externe Energie mehr.

„Es geht darum, wenig Zement zu verbauen“

Pflanzen sorgen für ein besseres Klima. Foto: Frey Architekten

electrified: Was ist das Besondere an Green Tower in Freiburg? Viel Photovoltaik, viel Glas?

Frey: Wenn Sie im Winter rausgehen, ziehen sie sich warm an, damit sie nicht frieren. Sie haben keine Ölheizung unter dem Mantel versteckt. Genauso kann man ein Haus ohne Ölheizung warmhalten. Ich muss das Haus so konzipieren, dass es möglichst wenig Wärme verliert und die Fenster so ausrichten, dass ich Wärme generieren kann. Am Schluss ist das Haus wie eine Thermoskanne. Der andere Punkt ist die Errichtung des Gebäudes. Es geht darum, wenig Zement zu verbauen, denn Zement produziert mehr CO2 als der weltweite Flugverkehr. Wenn Sie also ein Gebäude mit Beton errichten oder mit anderen CO2-intensiven Baustoffen wie Aluminium, haben sie ein Problem. Deshalb sind viele der von uns errichteten Häuser auch Holzhäuser. Wenn sie als Architekt also mit Holz statt Beton bauen sparen sie nicht nur CO2, sondern bunkern auch das im Holz eingeschlossene CO2 in ihrem Bauprojekt.

electrified: Verwenden Sie Holz in den meisten Ihrer Häuser?

Frey: Wir haben erst zwei Häuser gebaut, die ausschließlich aus Holz bestehen. Das sind eine Polizeistation und ein Mehrfamilienhaus. Dieses Mehrfamilienhaus ist der Expo-Beitrag Freiburgs zur Weltausstellung in Shanghai gewesen. Das ist ein Haus, welches in fünf Monaten entstanden ist und Platz für 20 Familien bietet. Dort haben wir 180 Tonnen CO2 durch die Substitution von Beton durch Holz eingespart. Das ist genial, weil das Gebäude nicht mit einer negativen CO2 Bilanz startet.
electrified: Für Ihren Kollegen Matteo Thun gehört dieses Jahrhundert dem Holz. Würden Sie das auch sagen?
Frey: Ja, mit einer Einschränkung. Da wir viel in China bauen, können wir dort nicht auf Holz setzen, denn dort ist die Holzverwendung verboten. Das liegt daran, weil zu Zeiten von Mao die Wälder abgeholzt wurden. Doch heute läuft in China ein großes Aufforstungsprogramm, auch ich beteilige mich daran. In China müssen wir also andere Lösungswege finden. Der chinesische Bauminister und ich haben deshalb ein Konzept entwickelt, bei dem wir mit ungebrannten Steinen arbeiten.
„China hat Passivhaus-Quote verabschiedet“

electrified: Sie haben in China eine Passivhaussiedlung im Öko-Park in Quingdao errichtet. Wenn man an China denkt, denkt man nicht an Ökologie beim Städtebau. Ein Trugschluss?

Frey: Ich bin viel in China, Korea und Georgien tätig. Es sind Länder, die selbst keine Erdölreserven haben. Durch das Wirtschaftswachstum in China von sechs bis sieben Prozent im Jahr ist es so, dass ein erhöhter Energiebedarf besteht. Wenn ich also jedes Jahr eine Steigerung des Energiebedarfs habe, ist das katastrophal. Zudem baut China monatlich eine Million neue Wohnungen. Da die chinesische Regierung panische Angst davor hat, dass es zu Energie-Engpässen kommt, sucht man nach Lösungen. Für den Bauminister ist die deutsche Passivhaus-Technologie eine gute Lösung für dieses Problem Deshalb investiert China lieber etwas mehr Geld in nachhaltige Technologien und hat deshalb eine Passivhaus-Quote verabschiedet.
electrified: Sie treten dort in China auch als Investor auf…

Frey: …ja, wir haben dort eine Passivhaussiedlung ähnlich wie beim Heidelberg Village gebaut. Es hat eine Fläche von 80.000 Quadratmeter. Nach deutschen Maßstäben ist das ein 200 Millionen Euro Projekt. Es ist ein Projekt, dass auch im aktuellen Fünfjahresplan der chinesischen Regierung steht.

electrified: Können Sie nur als Investor so nachhaltig arbeiten?

Frey: Ja.

electrified: Weil der Bauherr sonst sagen würde, dass ihm Ihre Vorschläge zu teuer sind?

Frey: Ja, eine bittere Wahrheit. Sie, Herr Mertens, möchten ein Haus bauen, ein Mehrfamilienhaus. Ich als Architekt bin mit der Planung beauftragt und sage: es kostet 10 Millionen Euro. Dann schlage ich vor, einige Photovoltaik-Anlagen zu verbauen mit Mehrkosten von 15 Prozent, also 1,5 Millionen Euro. Was fragen Sie?

„Wieviel Miete mehr kann ich nehmen?“

electrified: Was habe ich auf Dauer für Ersparnisse davon?

Frey: Genau. Welche Rendite haben Sie, wieviel Miete mehr kann ich nehmen? Was ist die Rendite? Meine Antwort ist: Sie kriegen nicht mehr Miete dafür. Was wird ihre Antwort sein?

electrified: Dann mache ich es nicht.

Frey: Genau. So reduziert funktioniert es. Deshalb grade ich als Architekt Frey ihr Haus auf meine Kosten auf, wenn Sie mir erlauben, mit ihren Mietern die Nebenkosten-Abrechnung zu machen. Da die Bewohner wenig Energie verbrauchen, rechnen wir nicht mit Kilowatt-Einheiten ab, sondern er bezahlt den gleichen Preis wie in einem konventionellen Haus, auch wenn er nur noch 5 Prozent der ursprünglichen Energiemenge benötigt. Ich kann diese Nebenkosten einnehmen und habe keine Kosten mehr für Öl oder Gas. Ich kann meinen Kredit also nach 12 bis 14 Jahren zurückführen und mache danach Profit.

electrified: Ich habe mir mal die Mietpreise im Heidelberg Village angeschaut: Eine 82 Quadratmeter-Wohnung wird für 1185 Euro kalt angeboten. Wie passt ein solcher Mietpreis zu einer heterogenen Mieterschaft, die Sie anstreben?

Frey: Wir haben in Heidelberg zusammen mit der Stadt einen Fond in Höhe von 400.000 Euro aufgelegt. Aus diesem Fond werden Menschen, die weniger als jährlich 80.000 Euro verdienen, mit bis zu 4 Euro pro Quadratmeter bezuschusst.

„Man muss fordern und fördern“

electrified: Nachhaltigkeit beim Bauen ist also nicht nur etwas für Besserverdiener?

Frey: Nein, bei diesem Contracting Modell zahlen die Mieter normale Nebenkosten. Sie merken es im Geldbeutel nicht, dass sie in einem Passivhaus wohnen. Durch dieses Contracting können wir für eine Heterogenität bei den Mietern sorgen.

electrified: Was halten Sie von einem Mietendeckel wie in Berlin? Lässt sich mit ihm nachhaltiges Bauen umsetzen?

Frey: Nein. Wir müssen die Freiheit haben von einem Porsche Fahrer mehr Miete zu bekommen als vom Busfahrer. In meinen Projekten brauche ich den Porsche-Fahrer, der in seiner Penthouse-Wohnung mehr bezahlt als die Krankenschwester im 1. Stock. Er finanziert deren Wohnung mit. Wenn ich das klassische Investoren Modell habe, nehme ich nur Porsche-Fahrer als Mieter. Deshalb braucht es ein Modell, das mir eine Rendite garantiert, aber keine Spekulationsgewinne.

electrified: Sie sind auch Stadtplaner: Wie sieht mit Blick auf die Mobilität für Sie die Stadt der Zukunft aus?

Frey: Menschen wollen mobil sein, sie wollen aber kein Auto mehr haben. Früher war es so. dass der ein 22-Jähriger unbedingt ein Auto haben wollte. Viele Jüngere brauchen das Auto nicht mehr. Deshalb müssen wir Mobilität neu denken. Wir müssen neue Modelle entwickeln, wie wir die Leute mobil halten können, ohne die Städte mit Autos verstopfen zu müssen, die ohnehin nur in der Gegend rumstehen.

„Es wird immer in irgendeiner Form Autoverkehr geben“

Holzhäuser sind nachhaltiger als Betonbauten. Foto: Frey Architekten

electrified: Welchen Ansatz für eine neue Mobilität und die möglichst autofreie Stadt haben Sie?

Frey: Es gibt viele Modelle, die wir auch in Asien entwickeln. Im Stadtraum kann man über verschiedene Ebenen nachdenken, das ist ganz entscheidend. In der Nähe von Peking entsteht gerade ein Entwicklungsgebiet, wo der Verkehr auf mehreren Ebenen stattfindet. Doch es kommt immer aufs Setting an. Auf dem Land ist das Mobilitätsbedürfnis ein anderes als in der Stadt, wo das Auto als Belastung empfunden wird.

electrified: Ist die Stadt der Zukunft für Sie autofrei?

Frey: Nein, es wird immer in irgendeiner Form Autoverkehr geben, weil es immer Leute geben wird, die in die Stadt hineinfahren. Wenn wir in China ein Quartier bauen, dann gibt es immer ein Ober- und ein Untergeschoss. Und das Untergeschoss verbindet die Häuser miteinander. Alles, was dem Fußgänger nicht gefährlich wird, befindet sich im Obergeschoss. Der Rest unter der Erde.

electrified: Wie schaffen wir es, dass Mikro-Klima in der Stadt zu verbessern?

Frey: Wenn Sie im Sommer rausgehen, ist es in China unangenehm heiß. Die Häuser stehen „nackt“ auf der Straße, sodass die Fassaden bis zu 80, 90 Grad heiß werden. Diese Hitze reflektiert nach außen und innen. Deshalb arbeiten wir mit doppelten Fassaden. So bringen wir auf der Südseite Photovoltaik-Anlagen an, auf der Nordseite wird begrünt. Wir setzen dabei auf Rankpflanzen. Durch die Begrünung der Fassade kann die Rückstrahlung reduziert werden. Allein durch diese Begrünung können wir das Stadt-Klima um bis zu 2,7 Grad drücken.

electrified: Herr Frey, was ist ihr Wunsch an Ihre Kollegen oder an die Baupolitik?

Frey: Wir müssen bewusster bauen. Leute müssen aufhören, dem schönen Schein hinterher zu rennen. Architekten müssen wissen, dass, wenn sie eine Fassade planen, diese nicht nur hübsch aussieht, sondern sie auch einen Klima-Effekt hat. Dieser Verantwortung muss sich der Planer bewusst sein.

Das Interview mit Wolfgang Frey führte Frank Mertens

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklärst Sie sich damit einverstanden.

Schließen