Das Bundesverkehrsministerium(BMVI) hat den Radverkehr für sich entdeckt – zumindest ein bisschen. Neben den Investitionen in die Radinfrastruktur wurden sieben Stiftungsprofessuren Radverkehr an sieben Hochschulen vergeben. electrified-Autorin Petra Krimphove sprach mit einigen der Lehrstuhlinhaberinnen und Lehrstuhlinhabern.
Autofreie Innenstädte, Radschnellwege und Popup-Radwege: Schon seit einigen Jahren entdecken deutsche Städte und Kommunen die Macht des Fahrrads auf dem Weg in eine klimaneutrale Mobilität. Die Corona-Krise hat dem einen zusätzlichen Boost verliehen.
Pendler schätzen ihr Rad als Freiluft-Alternative zu überfüllten Bussen und S-Bahnen, mutige Verkehrsplaner nutzen wiederum die Gunst der Stunde und der leeren Straßen und widmen wie in Berlin quasi über Nacht durch Baken abgetrennte Autospuren zu sogenannte Popup-Radwegen um. Für Radfahrer war dies wie ein Weihnachtsgeschenk im April: Auf sicheren und abgetrennten breiten Wegen quer durch die Stadt. So schön kann Radfahren sein.
Sieben Lehrstühle gefördert
Fahrräder sind umweltfreundlich und entlasten die überfüllten Straßen. Auch das sonst eher autofokussierte Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat dies erkannt und will noch mehr Menschen zum Umstieg aufs Rad bewegen.
Dazu fördert es erstmals mit 8,3 Millionen Euro sieben Lehrstühle für die Radverkehrsforschung. Das Themenspektrum der neuen Radprofessuren ist breit: Da geht es um den Auf- und Ausbau einer radgerechten Infrastruktur, um psychologische Faktoren wie die gefühlte Verkehrssicherheit, um Anreize zum Umstieg auf das Rad sowie um digitale Sharing-Konzepte, mit denen Stadtbewohner je nach Bedarf mühelos zwischen Auto, Fahrrad, E-Rollern sowie öffentlichen Verkehrsmitteln wechseln können. All das ist Teil eines großen Plans: Das Fahrrad soll endlich seinen angemessenen Stellenwert in Mobilitätskonzepten der Zukunft erhalten. Auf der Straße und in den Köpfen.
Experten für Radverkehr gesucht
An den Lehrstühlen werden auch dringend benötigte Planungsexperten mit Radfahrerblick ausgebildet. Sie sollen künftig in den Städten und Kommunen die Abkehr von der autozentrierten Stadtplanung mitgestalten. „In der Verkehrsplanung gibt es eine hohe Nachfrage nach Experten mit Radfahrkompetenz“, sagt Dennis Knese, der an den Frankfurter Lehrstuhl berufen wurde. Zu lange richteten sich die Planungsbehörden und Büros an den Bedürfnissen der Autofahrer aus. Auch weil zu wenige Rad-Experten zur Verfügung standen. Damit soll nun Schluss ein.
„Wir müssen das Fahrrad genauso behandeln wie früher das Auto. Es ist ein Innovationsträger“, betont Christoph Hupfer von der Hochschule Karlsruhe, der deren Bewerbung um den Lehrstuhl erfolgreich mit vorangetrieben hat. Anfang März trat dort die Verkehrswissenschaftlerin Angela Francke ihre Professur an. Sie hat zuvor an der TU Dresden unter anderem zum Mobilitätsverhalten von Menschen mit Migrationserfahrung und einer deutschen Radfahrtypologisierung geforscht. Aus welchen Gründen fahren Menschen Fahrrad, wie sicher fühlen sie sich?
Radfahren ohne Angst
Bei vielen fährt das Wissen um die eigene Verletzlichkeit mit. „Aber Radfahren sollte für alle, die es können und möchten, ohne Angst möglich sein“, betont Angela Francke. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse der subjektive Blick von Radfahrenden stärker in die Verkehrsplanung einfließen: Wie erleben Radfahrer unübersichtliche Kreuzungen? Wie schätzen sie die Sicherheit einer Strecke ein? In diesem verkehrspsychologischen Ansatz gibt es viele individuelle Perspektiven.
Von Jungen und Alten, Langsamen und Schnellen, Ängstlichen und Forschen, sagt Francke. Die Verkehrsplaner müssten sich nach den Schwächsten richten. Wann ist ein Weg sicher? „Für mich wäre die Frage: Würde ich ein 12-jähriges Kind dort mit dem Rad langfahren lassen“, sagt Angela Francke. Wenn nicht, dann sei die Strecke nicht sicher genug. Doch in den letzten Jahrzehnten waren Verkehrsplaner zu sehr auf das Auto fokussiert. „Die Radfahrer bekamen ab, was übrig blieb.“
Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausspielen
Angela Francke und ihr Kollege Dennis Knese, der den neuen Lehrstuhl in Frankfurt am Main besetzt, sind begeisterte Radfahrer und überzeugt vom Zukunftspotential des Fahrrads – doch das macht sie nicht zu Autofeinden. „Es ist ein ganz großes Problem, Verkehrsmittel gegeneinander auszuspielen“, sagt der Frankfurter Knese. Natürlich werden Menschen insbesondere auf dem Land weiter das Auto benutzen, meint auch Angela Francke: „Es gibt für jede Situation das am Besten geeignete Verkehrsmittel“. Im urbanen Raum sei das Fahrrad jedoch unschlagbar: mobil, preiswert und stauresistent. Und doch stehen täglich Hundertausende im Stau, weil sie sich eben nicht für die beste Option entschieden haben. Die junge Generation sei da bereits deutlich unverkrampfter unterwegs, sagt Dennis Knese. Sie bewegt sich mit App-gesteuerten Sharing-Angeboten, leiht sich minutenweise Autos, Räder, Roller und bucht Bahntickets. Je nachdem, was gerade am sinnvollsten erscheint. Diesem Trend kommt zugute, dass das Auto als Statussymbol an Glanz verloren hat. Stattdessen lässt sich heute eher mit handgefertigten Fahrrädern Eindruck schinden.
Doch nicht Autos oder Fahrräder, sondern Männer, Frauen und Kinder bewegen sich im Verkehr. „Wir müssen vom Menschen aus denken, nicht vom Fahrzeug“, sagt Dennis Knese. Dass diese zunehmend mobil von einem Verkehrsmittel in und auf das nächste wechseln, eröffnet die große Chance, aus der bekannten Polarisierung und zuweilen Feindschaft zwischen Auto- und Radfahrern auszubrechen. Es helfe sehr, ab und an mal die Perspektive des oder der anderen einzunehmen, sagt Angela Francke. Als Autofahrer aufs Rad zu steigen und zu erleben, wie gefährlich sich schmale Radwege und große Kreuzungen anfühlen. Oder umgekehrt als Radfahrer zur Abwechslung hinter dem Steuer zu sitzen und sich überkreuzende Radfahrer ohne Beleuchtung aufzuregen. Sie erzählt von Trainings, in denen Radfahrer den Fahrersitz eines Lkws erklimmen und erkennen, wie schwer sie von dort aus tatsächlich zu erkennen seien.
Pop-up-Radwege tolle Idee
Doch alle Einsichten nutzen wenig, wenn Radfahrer sich im Verkehr nicht sicher fühlen. Wer noch mehr Menschen zum Umstieg auf zwei Räder bewegen will, muss daher investieren. „Ausreichend sichere Radwege sind das zentrale Instrument für eine wirksame und schnelle Verkehrswende“, betont die Deutsche Umwelthilfe (DHU). Sie fordert eine Verdopplung der Radwege zu Lasten des Autoverkehrs. Berlins Popup-Radwege seien da genau der richtige Schritt. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Anfang Oktober 2020 deren Rechtmäßigkeit bestätigte, beantragte die DHU in 200 deutschen Groß und Mittelstädten auf ähnliche Weise schnell und günstig Rad- und Fußverkehr zu fördern.
„Popup-Radwege sind eine tolle Idee“, bekräftigt Angela Francke. Und sie seien ein wichtiges Signal für Radfahrende, dass sie wertgeschätzt werden und auf der Straße erwünscht sind. Insbesondere Frauen seien neu aufs Fahrrad gestiegen, weil sie sich auf den geschützten Radwegen sicherer fühlten, erzählt sie. Dass Autofahrer sich über die für sie verlorene Spur echauffieren, kann die Professorin jedoch nicht recht nachvollziehen. Alle, die statt des Autos das Rad nutzen, entlasten den Verkehr auf den Straßen, betont sie. Insofern gelte: „Eine attraktive Infrastruktur für Fahrräder ist auch gut für Autofahrende.“ Um dies mit Zahlen zu untermauern, forschen die Karlsruher in sogenannten Reallaboren auf der Straße: Wie verändern Popup-Radwege die Anzahl der Radfahrer, was bringt eine grüne Welle für den Radverkehr?
Rad zunehmend wichtig für Logistik
Der Frankfurter Radprofessor Dennis Knese plädiert neben Popup-Radwegen für einen Ausbau von Radschnellwegen durch die Städte und hinaus ins Umland. „Radschnellwege bewegen mehr Pendler dazu, auch über größere Strecken aufs Rad umzusteigen“, sagt er. Allein rund um Frankfurt entstünden derzeit neun davon. Insbesondere mit E-Bikes ließen sich so auch längere Distanzen ins Büro ohne Schwitzen bewältigen.
Einer von Kneses Schwerpunkten liegt neben der Verkehrsplanung auf dem Thema Logistik und hier weiß er von interessanten Entwicklungen zu berichten: Die Logistikbranche hat für die letzte Meile in den verstopften Innenstädten das Lastenrad entdeckt und investiert in Modellprojekte. „Hier liegt ein großes Potenzial“, sagt er. An Mikrohubs werden die Waren vom LKW aufs wendige Rad verladen, das vor jeder Haustür halten kann. Doch die die recht voluminösen Zweiräder brauchen eine ordentlich ausgebaute Infrastruktur für Fahrräder, auf Holperpisten und einem Meter breiten Buckelwegen haben sie keinen Platz, zumal sie durch ihre elektrische Unterstützung über einen starken Antrieb verfügen. Nimmt man dann noch die Flut an Elektrorollern hinzu, haben sich die Anforderungen an Radwege immens verändert.
In Frankfurt werden unter anderem Modelle entwickelt, mit denen sich die künftige Nachfrage modellieren lässt und die Planung entsprechend darauf aufbauen kann. Beim Lastenrad dringen auch die Unternehmen wie DHL, Amazon und die Post auf den Ausbau der Radwege – sie sind eine starke Lobbystimme und wichtige Verbündete im Kampf für eine bessere Infrastruktur, sagt Dennis Knese: „Wenn sich wirtschaftliche Interessen zu einem insgesamt steigenden Radverkehr gesellen, treibt es das Thema in jedem Fall voran.“ Er sieht bereits Früchte: Derzeit mangele es weniger am Willen der Städte und Gemeinden, ihre Infrastrukturen fahrradfreundlicher zu machen, als an Experten: „Das Umdenken hat stattgefunden.“
Dass gerade das Bundesverkehrsministerium bis 2023 angekündigt hat, weitere 1,5 Milliarden Euro in den Radverkehr zu investieren und Deutschland zu einem „Fahrradland“ entwickeln zu wollen, ist ein weiteres Zeichen des Umdenkens in der Politik.
Hinterlassen Sie einen Kommentar