Mercedes- und Skoda-Fahrer müssen zum Tanken weder Bargeld noch Kreditkarte dabeihaben. Und auch andere Waren und Dienstleistungen sollen künftig direkt vom Auto bezahlt werden.
Das Tanken wird zum schnellen Boxenstopp: Neue Bezahlsysteme machen den Weg zur Kasse überflüssig, die Rechnung wird direkt vom Steuer aus beglichen. Lediglich die Zapfpistole muss der Fahrer noch selbst einstecken. Und das ist nur der Anfang – das sogenannte In-Car-Payment könnte für die Autobranche zum Milliardengeschäft werden.
„Wir sind überzeugt, dass sich das Auto weiter zu einem wichtigen Vertriebskanal entwickelt“, sagt Nico Kersten, CEO von Mercedes Pay. Der Stuttgarter Autobauer zählt zu den großen Treibern der Entwicklung: Fahrer eines Pkw der Marke können Waren und Dienstleistungen direkt aus dem Fahrzeug heraus bezahlen. Dafür sind weder Passwort noch Handy nötig, Nutzer authentifizieren sich über den Fingerabdruck-Sensor in der Mittelkonsole des Fahrzeugs.
Tanken als Auftakt
Wichtigste Anwendung für In-Car-Payments ist aktuell der Tankvorgang. Mercedes-Fahrer können bereits an knapp 4.000 Tankstellen in Deutschland digital die Rechnung begleichen. Auch Skoda und BMW bieten ihre Kunden diese Komfortfunktion mittlerweile an.
„Was wir sehen, ist, dass der Anwendungsfall Kraftstoffkauf momentan in der kompletten Branche stark adaptiert wird. Das ist der erste Fall, der ein Massenthema werden kann für In-Car-Payments,“ so Uli Kiendl, CEO des Start-ups Ryd.
Das Unternehmen aus München stellt die Technik hinter den Bezahlsystemen der Autohersteller. „Auch Autowäsche, an der wir gerade arbeiten, kann in den kommenden drei bis fünf Jahren eine wichtige Anwendung werden, hat aber nicht die Frequenz wie Tanken. Laden wird demnächst sicherlich ebenfalls ein Thema, ist in den Autos schon teilweise verbaut. Generell sind die sogenannten fahrzeugnahen Dienstleistungen, zu denen auch Parken zählt, sinnvolle Anwendungen. Im Ausland kommt das Thema Maut hinzu, gerade in Südeuropa.“
Viele Tankstellen angeschlossen
Europaweit hat Ryd rund 10.000 Tankstellen an sein Bezahlsystem angeschlossen, 5.000 davon in Deutschland. Zu den Partner zählen neben Anteilseigner BP/Aral auch Esso, HEM, BFT und Repsol. In vielen Fällen mussten Kiendl und sein Team Überzeugungsarbeit leisten: „Die klassischen Tankstellen waren zunächst skeptisch, da sie sich stark über das Shop-Geschäft finanzieren. Mittlerweile ist es aber auch dort angekommen, dass das Bezahlen aus dem Auto heraus ein Trend ist, dem man sich nicht verschließen kann. Und dadurch, dass wir zeitnah auch Autowäsche und andere Services ins Programm nehmen, bietet sich mit uns auch neue Verdienstmöglichkeiten für Tankstellenbetreiber.“
Zu aktuellen Nutzerzahlen sagen weder Ryd noch die Autohersteller etwas. Doch laut einer Studie von Mastercard kann gut jeder zweite Autofahrer bis 39 Jahren vorstellen, sein Fahrzeug zum Zahlen zu nutzen. Tanken sehen 60 Prozent als sinnvolle Anwendung, Nummer eins ist aber mit 65 Prozent das Begleichen von Parkgebühren. Bei anderen Waren und Dienstleitungen besteht aber noch Skepsis: Nur jeder Dritte würde aktuell direkt über das Auto-Display die Autowerkstatt buchen und bezahlen.
Gute Geschäfte warten
Auch eine Studie von Juniper Research lässt auf gute Geschäfte hoffen. Demnach soll die Zahl der weltweiten Zahlvorgänge im Auto von 87 Millionen im Jahr 2021 auf 4,7 Milliarden im Jahr 2026 steigen. Von jedem Klick profitieren neben den Kreditkarteninstituten oder den anderen Finanzunternehmen auch die Autohersteller und die Vermittler wie Ryd. Beim Kraftstoffkauf beispielsweise funktioniert das so: Ryd kauft beim Mineralölunternehmen Spritkontingente mit einem kleinen Rabatt und verkauft Super und Diesel dann zum Standardpreis an den Tankkunden weiter.
Der Autohersteller verdient beim Tanken nicht direkt mit, profitiert im Idealfall aber von einem glücklichen Kunden. Außerdem eröffnet das In-Car-Payment eine weitere Einnahmequelle. Schon heute bieten neben Mercedes auch Hersteller wie Audi und Porsche in ihren Neuwagen Dienstleistungen und Ausstattung zum Download an. Wer etwa ins Ausland fährt, kann sich kostenpflichtig für kurze Zeit die digitalen Karten seiner Zielregion auf das Navigationsgerät laden, wer im Winter friert, schaltet sich online gegen Gebühr die Sitzheizung frei. Oder zahlt in den Herbstmonaten für besseres LED-Licht. Für die Hersteller sind das neue Einnahmequellen, die über den gesamten Fahrzeug-Lebenszyklus hinweg funktionieren. Mercedes hat 2022 mit Produkten und Services wie Navigation, Echtzeit-Stauwarnung oder Karten-Updates bereits mehr als 1 Milliarde Euro an software-basierten Umsätzen erzielt. Nicht alle Zahlungen liefen über das In-Car-Payment, der Anteil dürfte aber genauso wachsen wie das Gesamtvolumen.
Offenheit bei Kunden wichtig
Allerdings muss auch der Kunde mitspielen, der gerade im Bargeldland Deutschland traditionell skeptisch ist, wenn Transfers nur noch elektronisch erfolgen. Mercedes-Manager Kersten ist aber optimistisch, was die Akzeptanz der neuen Bezahlmöglichkeit angeht: „Wir sind davon überzeugt, dass die Technik genutzt wird. Der Kunde wird die Vorteile erkennen und sich schnell daran gewöhnen.“ Voraussetzung sei nur, dass das digitale Bezahlen so einfach ist, dass es Autofahrer intuitiv nutzen könnten.
„Und wenn Sie einmal getankt haben, ohne dass Sie reinlaufen mussten, dann wollen Sie das nicht mehr missen.“ Auch Kiendl sieht das so: „Wenn der Kunden die Schwelle übersprungen hat und In-Car-Payment erstmals nutzt, dann macht er das von fünf Tankvorgängen viermal wieder. Und auf das eine Mal verzichtet er nur, weil nicht jede Tankstelle angeschlossen ist. (SP-X)