Wer in diesen Monaten die sozialen Medien verfolgt, der stellt dort eine zunehmende Verrohung der Diskussionskultur fest. Dabei rückt das Elektroauto immer stärker in den Fokus der Auseinandersetzung. Doch warum ist dem so? Ein Gastbeitrag von Stephan Rammler.
Von Stephan Rammler*
Die Straße ist ein politischer Raum. Historisch betrachtet ist sie der politische Raum überhaupt. Dort begannen Revolutionen und dort endeten sie. Sie ist der Schauplatz und die Bühne, auf der politische Konflikte öffentlich dargestellt und ausagiert werden, sie ist eine Arena der politischen Konfliktkultur.
Nimmt man die Straße überdies als Ursprungsbegriff und Metapher für die moderne Gesamtheit zielgerichteter und gelingender Raumüberwindung in einem vielgestaltigen, komplexen und interdependenten Mobilitätssystem, bestehend aus Infrastrukturen, Fahrzeugen, Organisationen und Menschen, so ist die gezielte Störung seines reibungslosen Ablaufs ein ultimatives politisches Druckmittel.
Mobilitätsunterbrechung als politisches Kampfmittel
Das unterstreicht die jüngste Streikwelle der GDL ebenso wie die von Verdi organisierten Ausstände im Luftverkehr oder im öffentlichen Nahverkehr. Die Idee der politisch motivierten Unterbrechung von Abläufen ist nicht neu, doch sind solche Interdependenzstörungen in den hochkomplexen, stark arbeitsteiligen und deswegen auch hochfragilen Wirtschaftssystemen von heute besonders wirksam. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“!
Die Effektivität dieser auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten der Störung der reibungslosen Abläufe in der industriellen Maschinenwelt zielenden Kampfparole des sozialistischen Klassenkampfs wird deswegen allenthalben wiederentdeckt und von Kräften aller politischen Couleur „auf die Straße“ getragen, angefangen bei den Gewerkschaften, den Aktivisten der „Letzten Generation“, die die Störung des Autoverkehrs als eine verursachergerechte öffentliche Kampfansage gegen das klimaschädliche System des fossilen Energieeinsatzes insgesamt sehen, bis zu den diese Aktionen kopierenden Bauerprotesten mit Traktoren und Misthaufen auf Autobahnen, die aber inhaltlich für das ganze Gegenteil der Ziele der Klimaschützer eintreten und damit weitreichende politische Zugeständnisse in Bund und EU erpressen konnten.
Wenn wichtige Autobahnen über Wochen blockiert werden, wie gerade wieder von den polnischen Bauern, die für eine noch weitergehende Rücknahme von EU- Regelungen des Green New Deals und gegen die Einfuhr ukrainischen Getreides angehen, so können im eng vernetzten europäischen Wirtschaftsraum enorme volkswirtschaftliche Schäden entstehen.
Störung kritischer Infrastrukturen
Und so steht auch der Versuch der jemenitischen Huthi- Rebellen, eine der wichtigsten Lebensadern der globalen maritimen Logistik zu unterbrechen, für die Neuentdeckung der Störung kritischer Infrastrukturen als ein ultimatives politisches Kampfmittel. In diese Richtung zielt schließlich auch das jüngste Beispiel der linksradikalen Vulkangruppe, die mit Anschlägen auf die Stromversorgung des neuen E-Auto Werkes von Tesla in Grünheide gegen die Erweiterung des Werkes angehen will.
Es geht auch ihr um die möglichst schädliche Unterbrechung des Ressourcen- und Informationsflusses in den Lebensadern des global operierenden marktwirtschaftlichen Kapitalismus. „Gegen den Fortschritt der Zerstörung“, so das Bekennerschreiben der Vulkan-Aktivisten, setze man „die Sabotage“. Die Kritik entzündet sich dabei an Tesla als Protagonisten eines seelenlosen, von einem „destruktiven Fortschrittglauben“ getriebenen globalen Technofix-Kapitalismus, wie vor allem auch an seinem Produkt, dem Elektroauto und der vom ihm vermeintlich erzeugten Illusion einer klima- und umweltverträglichen Mobilität.
Zornkollektive in den Echokammern sozialer Medien
Überraschend ist nun an diesen vielfältigen Beispielen allenthalben nicht nur die konsequente Umsetzung der Methode, sondern vor allem die diskursive Härte und Unversöhnlichkeit, mit der solche Gruppen ihre Interessen auf Kosten des Kollektivs durchzusetzen versuchen. Diese Härte wurzelt in der Nervosität und selbstreferentiellen Erregungsdynamik von miteinander oft kaum mehr sprechfähigen Zorn- und Erregungskollektiven, die sich in politisch wie moralisch und wissenschaftlich gleichermaßen wenig kuratierten Echokammern der sozialen Medien ausagieren und sich so zunehmend zu einer Kompromisslosigkeit aufpeitschen, die oft sehr ratlos macht.
Der in diesen plattformbasierten Diskursfronten evident werdende digitale Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit, in der nun jeder Einzelne zum Absender von ungeprüften Botschaften in einen weit ausgreifenden Diskursraum hinein werden kann, wird damit immer mehr zum Problem einer auf Kompromisse abzielenden öffentlichen und demokratischen Kommunikation über die Zukunft einer klimagerechten und nachhaltigen Mobilität und der Wege zu ihr.
Das Auto als politisches Vehikel
Im Mittelpunkt dieser unversöhnlichen Debatte in den sozialen Medien stehen nun zunehmend das Elektroauto und deren Befürworter. Denn so wie die Straße im Allgemeinen ein Raum ist, in dem sich die hohe symbolisch-emotionale Aufladung des gesamten Politikfeldes Mobilität widerspiegelt, ist im Besonderen das Auto immer schon ein Vehikel politischer Emotionen. Neben Ernährungs- und Konsumfragen wird die Abwehr der postfossilen Automobilität heute zum stellvertretenden Gegenstand der Kritik von transformationspolitischen Veränderungsnotwendigkeiten hin zur Nachhaltigkeit und Klimaneutralität im Allgemeinen.
In den sozialen Medien geht es dabei besonders schlimm zu, was ich auch aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Digitale, aber auch direkte verbale Angriffe gegen E-Auto- Besitzer und Menschen, die sich für klimafreundliche Mobilität einsetzen seien ein bundesweiter Trend, stellte die Geschäftsführerin der Opferschutzorganisation HateAid in einem Interview gegenüber dem Spiegel fest. Hätten bislang vor allem Windräder Anfeindungen ausgelöst, so richte sich der Zorn heute zunehmend gegen Elektrofahrzeuge als symbolische Artefakte der Transformation. Auch auf der Straße kommt es zunehmend zu Konfrontationen mit E-Autofahrern, zu Tätlichkeiten im fließenden Verkehr wie dem Ausbremsen oder dem Schneiden der Fahrbahn, zu Beleidigungen, zerstörten Ladestationen, zerstochenen Reifen und angespuckten Fahrzeugen.
Im Buch „Klimarassismus. Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“ deuten dessen Autoren den erzwungenen Abschied vom Verbrenner als „Kulturschock“. Fossile Fahrzeuge seien vor allem für weiße Männer Teil ihrer Identität, deswegen interpretierten sie die Antriebs- und Mobilitätswende als Angriff auf ihre dominante Stellung und nähmen Elektroautos auf dieser Folie als Bedrohung wahr. Das wiederum, so die Autoren, könne zur autoritären Radikalisierung beitragen. Vor allem die AfD springt auf diesen Trend offenbar auf und befördert ihn selbst indem sie die Verkehrswende zu einem Krieg der links-grünen Eliten gegen Verbrennungsmotoren stilisiert und von einer erzwungenen Transformation zum Nachteil der deutschen Automobilindustrie und deren hochwertigen Arbeitsplätzen spricht.
Parteipolitische Macht- und Sichtbarkeitskämpfe
Parteipolitische Macht- und Sichtbarkeitskämpfe der FDP, der CSU, der Freien Wähler aber vor allem eben der AfD nutzen in dieser Weise rückwärtsgewandte automobilpolitische Argumente also geschickt als Mittel des politischen Machterhalts bzw. Machtgewinns. Und je mehr die AfD dieses Thema forciert, desto mehr sehen sich auch die anderen Parteien, die in Konkurrenz mit der AfD stehen, gezwungen im Überbietungswettbewerb um eine möglichst rückwärtsgewandte Automobilpolitik mitzuhalten. So kommt es zu einer wechselseitigen Stabilisierung von kurzfristigen Partei- und Lobbyinteressen einerseits und einer sozialpsychologisch als „retrotopische“ Fixierung (vgl. dazu Zygmunt Baumann, Retrotopia 2017) deutbaren verbraucherseitigen Empfänglichkeit gegenüber bewahrend-stabilisierenden Botschaften angesichts höchst unsicherer und wenig erfreulicher genereller Zukunftserwartungen und bei zeitgleich wachsender sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
Es zeigt sich darin, dass Menschen in der Klimatransformation und angesichts weiterer existentieller Krisen womöglich stark überfordert sind. Sie fürchten das Neue, den möglichen Verlust ihrer Art zu leben und wenden sich dann rückwärts, in Richtung einer „Früher war alles besser“- Nostalgie und deren rechtnationalen Protagonisten, in der das Traditionelle, das Nationale, das Bekannte und die althergebrachten Lebensstile und damit eben auch die fossile Mobilität weiter existieren können.
In dieser allgemeinen Verunsicherung und Radikalisierung schlägt das automobilpolitische Pendel mit dem Erstarken rechtsnationaler Parteien nach der ersten Euphorie ums Elektroauto nun zurück und droht die wenigen bislang erreichten Fortschritte in Richtung der postfossilen Mobilität und Verkehrswende wieder zurückzudrehen und der so unbedingt nötigen Klimatransformation in der Mobilität enorm zu schaden.
Zum Autor
Prof. Dr. Stephan Rammler lebt und arbeitet heute als freier Wissenschaftler und Schriftsteller in Berlin. Er ist zugleich Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Der Politikwissenschaftler und Ökonom war von 2002 bis 2022 Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Universität der Künste in Braunschweig wo er 2007 auch ein gleichnamiges Institut gründete. Von 2018 bis 2023 war er zudem Direktor am IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. Aktuell arbeitet er als Zukunfts- und Transformationswissenschaftler zu den Themen Mobilität, Digitalisierung, Resilienz und Klimafuturologie.