Hyundai hat seinen Stromer Ioniq 6 grundlegend überarbeitet. Die Neuheiten haben wir auf einem Roadtrip über sechs Grenzen und knapp 850 Kilometern erfahren.
Größerer Akku, Design-Modifikationen, leicht gewachsene Außenabmessungen, überarbeiteter Innenraum, neue Ausstattungsstruktur: Die Hyundai-Crew hat an der Elektro-Limousine Ioniq 6 kräftig Hand angelegt. „Größer, länger“ weiter war das Motto. In Zahlen: Die Akkus wuchsen von 53 und 77,4 auf jetzt 63 und 84 kWh, die Länge um vier Zentimeter auf jetzt 4,93 Meter und die maximale Reichweite gibt Hyundai jetzt mit 680 statt bisher 614 Kilometer an. Doch dazu später mehr.
Front und Heck wurden stark modifiziert, der Ioniq 6 wirkt von vorne und hinten einen Tick knackiger, trägt stolz ein Haifischprofil und eine neu gestaltete Beleuchtungsanlage. Die neuen Kanten machen sich gut, der koreanische Sechser wirkt nicht mehr ganz so rundgelutscht, er hat mehr Persönlichkeit bekommen. Die schwarz gehaltene Heckpartie passt allerdings nicht unbedingt richtig gut zu allen elf möglichen Farben, neu sind Transmission Blue Matte und Sunset Brown Pearl.
Modifikationen auch im Innenraum
Auch der Innenraum wurde überarbeitet und mit neuen, teilweise recycleten Materialien ausgestattet. Die beiden je 12,3 Zoll großen Displays blieben erhalten, Apple CarPlay und Android Auto sind jetzt kabellos verfügbar. Und die neu sortierte Mittelkonsole bietet nun beispielsweise Sitzheizung und -lüftung mit einem Knopfdruck. Nach wie vor nicht wirklich ideal für alle, die öfter mal unterschiedliche Autos nutzen: Die Scheibenheber-Schalter zwischen den Sitzen sind definitiv nur die zweitbeste Lösung. Gut dagegen die Methode zur Deaktivierung des Tempowarners: Die Lautstärkewalze am Lenkrad drei Sekunden drücken – schon ist Ruhe.
Bei unserer ausführlichen Testfahrt nahmen wir das relativ dezente Klingeln allerdings gerne in Kauf. Die Möglichkeit, sich an einem Tag Strafzettel aus gleich sechs Ländern einzufangen, erschien dann doch nicht wirklich erstrebenswert. Womit wir endlich beim Fahren wären, in einem Ioniq 6 der neuen Ausstattungsversion N Line, die optisch dem demnächst startenden Kraftsportler Ioniq 6 N nachempfunden ist. Der Startpunkt: Krakau in Polen. Das Ziel: Zagreb in Kroatien. Und dazwischen noch Tschechien, Slowakei, Österreich und Ungarn.
Kälte reduziert Reichweite
Erste eindrucksvolle Erfahrung in der zwei Grad kalten Hoteltiefgarage in Krakau: Statt der unter Idealbedingungen ermittelten 680-Kilometer-Reichweite laut WLTP-Norm zeigte das Zentralinstrument gerade mal 329 Kilometer an. Schon eine krasse Differenz. Aber eben die physikalische Realität, wie sich auf den gesamten gut 830 Kilometern quer durchs östliche Europa mit erfreulich unkomplizierten Grenzübergängen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zeigte.
Die entscheidende Frage: Wie oft würden wir bis zur Ankunft im fernen Zagreb mit dem eleganten Stromgleiter eine Ladestation anpeilen müssen? Dreimal, viermal – oder vielleicht noch öfter, trotz des 84-kWh-Akkus? Und: Würde der ambitionierte Ein-Tages-Trip überhaupt klappen? Als deutscher Autofahrer setzt man ja automatisch keine übergroßen Erwartungen in ein eng geknüpftes Ladenetz in diesen Regionen.
Schon die ersten Kilometer in Richtung tschechischer Grenze zerstreuten die Hoffnung, dass angesichts der klimatischen Bedingungen der Normverbrauchswert von 17,5 kWh je 100 Kilometer auch nur ansatzweise zu schaffen sein würde – nicht mal mit „warmgefahrener“ Batterie und mit deutlicher Zurückhaltung am Fahrpedal im Eco-Modus.
Verbrauch von 22,6 kWh
Nach den ersten 100 Kilometern hatte sich die Verbrauchsanzeige auf 22,6 kWh eingependelt, die Reichweite war auf 238 Kilometer gesunken und der Akkustand auf 60 Prozent. Ganz schön viel Stromdurst für ein Fahrzeug, das wegen seiner ausgefeilten Aerodynamik als extrem sparsam bekannt ist. Zur Einordnung: Die von uns im Hochsommer 2023 gefahrene Version mit Heckantrieb kam auf einen Testverbrauch von gerade mal 15,8 kWh/100 km.
Die erste Ladestation steuerten wir kurz darauf mit nicht vorkonditionierter Batterie an. Die Folge: Mehr als rund 60 kW ließ sich der Stromspender nicht einflößen, trotz der um 20 auf jetzt 260 kW erhöhten Maximal-Ladeleistung. Die gezapften 9,5 kWh ließen den Akkustand in knapp elfeinhalb Minuten immerhin auf 69 Prozent ansteigen. Genug für die nächste Etappe.
Sie führte über eine Bergstrecke mit festgefahrener Schneedecke, die der Sechser aus Korea auch dank seines Allradantriebs völlig unbeeindruckt absolvierte. Beim nächsten Tankstopp an einem Ionity-Schnelllader in der Slowakei mit vorgewärmtem Akku wurden in gut 20 Minuten 30,9 kWh gebunkert. Dieser zweite Nachschlag reichte dann für die Fahrt bis zum Mittagsstopp im Ionity-Ladepark im österreichischen Parndorf, der nach exakt 488,4 Kilometern mit 57 Kilometern Restreichweite und einem Akkustand von 18 Prozent erreicht wurde. Der Durchschnittsverbrauch bis dahin: 23,4 kWh/100 km.
Ankunft mit neun Prozent Batteriestand
Angesichts dieser Werte wurde der Ioniq 6-Akku in Parndorf komplett gefüllt. Die Herausforderung: Würde es uns gelingen, ohne nochmaliges Tanken die 350 Kilometer nach Zagreb zu schaffen? Dass es knapp werden würde, war klar. Schließlich zeigte der Bordcomputer gerade mal 352 Kilometer Reichweite an. Jetzt kam es auf jede Zehntel Kilowattstunde an.
Vier Stunden und 15 Minuten später waren wir schlauer: Es hatte hingehauen, wenn auch nur knapp. Mit einem Durchschnittsverbrauch von 21,1 kWh/100 km, gerade noch neun Prozent Akkufüllung und 32 Kilometer Restreichweite rollten wir knapp 13 Stunden nach dem Start am Hotel in der kroatischen Hauptstadt vor. Die letzten rund 100 Kilometer hatten wir allerdings den Schongang eingelegt, denn zwischendurch war die prognostizierte Reichweite immer wieder mal unter den Wert für die noch abzuspulenden Kilometer gesunken. Haupt-Stromfresser waren dabei Überholmanöver auf ungarischen Landstraßen mit hoher Lkw-Dichte.
Komfortable Reiselimousine
Welche Erkenntnisse hat der Mammuttrip gebracht? Zum einen, dass die deutliche Überarbeitung dem Hyundai-Gleiter rundum gutgetan hat. Und dass der Ioniq 6 nach wie vor eine angenehme, komfortable Reiselimousine ist, mit der sich auch sehr lange Distanzen weitgehend ermüdungsfrei und ohne Rückenprobleme zurücklegen lassen.
Zum anderen bestätigte sich ein weiteres Mal, wie massiv niedrige Temperaturen den Akkus zusetzen und wohlklingende, unter Idealbedingungen ermittelte Normwerte schlichtweg pulverisieren. Wobei sich der neue Ioniq 6 mit einem Durchschnittsverbrauch von rund 22 kWh/100 km noch vergleichsweise tapfer schlug. Deutlich wurde beim Trip von Krakau nach Zagreb erfreulicherweise aber auch, dass mittlerweile auch osteuropäische Länder ein durchaus brauchbares Ladenetzwerk bieten. Auch ambitionierte Touren in diesem Gebiet sind definitiv kein Problem mehr.
Und: Keine der drei angesteuerten Ladesäulen zögerte auch nur eine Sekunde damit, den Hyundai mit Strom zu versorgen. Bestellstart für den Ioniq 6 ist noch vor dem Jahreswechsel. Die ersten Fahrzeuge sollen dann im Lauf des ersten Quartals bei den Kunden anrollen. Und zwar zu Preisen ab 44.550 Euro für die Basisversion mit Heckantrieb, kleinerem Akku und 125 kW/170 PS. Die Version N Line mit großem Akku, wahlweise mit Heck- und Allradantrieb und mit einer Leistung von 239 kW/325 PS kostet ab 58.300 Euro. (SP-X)



