Mobilität

Wie sitzt es sich eigentlich auf ehemaligen Flaschen?

Der Innenraum eines Audi - auf nachhaltige Materialien wird Wert gelegt. Foto: Audi

Recycelte und nachwachsende Rohstoffe sind im Mobilitätssektor nicht neu. Neuer ist der inzwischen gefühlt omnipräsente Megatrend Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie. electrified hat sich bei Audi, BMW und Polestar umgehört, wie man es damit hält.

Von Stephanie Janszen


PET-Flaschen, Altkleider, Geisternetze, Treibholz, Flachs oder der Verschnitt aus der eigenen Produktion – die Zeit, nachhaltige Materialien aus der Deckung zu holen und prominent zu inszenieren, ist gekommen.

Drei Experten aus den Bereichen Design, Nachhaltigkeit, Innovation und Entwicklung geben Einblicke in die nachhaltigen Aspekte des Innendesigns ihrer neuen Modelle. Die vorgestellten Insights aus den Innovations-Units der Automobilindustrie bestätigen: Challenge accepted. Eine innovative, zirkulare Ära hat begonnen.

Der Stoff Torsion bei Audi besteht zu 89 Prozent aus recycelten PET-Flaschen. Foto: Audi

Der Einsatz von 100 Prozent recycelbarer und auch recycelter Materialien ist bereits heute möglich und wird in geeigneten Bauteilen umgesetzt. Hochwertiges Sekundärmaterial ist die Voraussetzung für die Verwendung der Rezyklate im Herstellungsprozess. Die hohen Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit der Materialien entsprechen den gleichen wie bei Primärmaterialien, aber der Stand des Entwicklungsprozesses ist noch nicht dort angekommen. Die Marktverfügbarkeit solcher qualitativ hochwertigen Materialien muss sich noch signifikant entwickeln. Weniger Materialvielfalt und mehr Monomaterialien vereinfachen den Recyclingprozess und verkürzen den Weg zur angestrebten Kreislaufwirtschaft. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es eine Zusammenarbeit über Branchengrenzen hinweg.

Schub für E-Mobilität durch Pandemie

Die Pandemie hat der E-Mobilität nochmal einen deutlichen Anschub gebracht. Mit den Stromern bildet sich auch ein neues Kundenprofil heraus, das mit holistischem Blick auf das Gesamtprodukt Automobil sieht und Nachhaltigkeit, zirkuläre Prinzipien und innovatives Design voraussetzt.

Traditionelle Kundenvorstellungen hingegen korrespondieren seltener mit den neuen Designideen. Besonders im Luxussegment dominiert der Wunsch nach hochwertigem Interieur. Die Herausforderungen liegen auf der Hand: Wie lassen sich das Innenraum-Design nachhaltig gestalten und gleichzeitig die hochwertigen Standards erfüllen, die die Verbraucher erwarten? Wie lässt sich der Gap schließen, zwischen der Entwicklung nachhaltiger Materialien und dem ästhetischen Anspruch der Kunden? Wie bleibt man konkurrenzfähig gegenüber seinen eigenen konventionellen Produkten?

Audi

Tiziana Mauri von Audi. Foto: Audi

„Erfreulicherweise gibt es weltweit ein wachsendes Bewusstsein für ethische Verantwortung, Umweltbewusstsein und nachhaltige Materialien.“ Tiziana Mauri, verantwortliche Designerin bei Color&Trim, AUDI AG, ist überzeugt von dem neuen Weg in Richtung Nachhaltigkeit. Ihr Team steht für die innovative Umsetzung der neuen Herausforderung. Dass die Italienerin diese Aufgabe als positive Motivation versteht, wird sofort deutlich. Auf unsere Frage nach dem Einsatz nachhaltiger Materialien bei Audi, bekommen wir die gut gelaunte Antwort: „Die Frage müsste eigentlich lauten: Wo nicht?“ Und ja, ob Audi e-tron GT, Audi Q4 oder Audi A3: PET-Flaschen, Produktionsabfälle, Stoff- und Teppichbodenreste sowie Plastikmüll und Fischernetze stecken in Fußmatten, Bodenteppichen oder in den Sitzanlagen. Im Q4 e-tron besteht der Sitzbezug aus 45 Prozent Rezyklatanteil. Auch die Gepäckraumabdeckung besteht aus atmungsaktivem Mikrofasermaterial, das aussieht und sich anfühlt wie Veloursleder, aber fast zur Hälfte aus recyceltem Polyester besteht. Hier ist offenbar der Spagat zwischen Premiumanspruch und nachhaltigem Material gelungen. „Neue Materialien bringen auch neue Herausforderungen. Der Stoff Kaskade aus dem Audi e-tron etwa, erinnert eher an Wolle und Naturfasern und besteht doch aus Textilresten, PET-Flaschen und Webkanten.“

Natürlich sind die Kosten ein Faktor. Aufwendige Entwicklungen und hochpreisige recyclebare Materialien schmälern die Bilanz. Aber: “Der höhere Anfangspreis kann auf lange Sicht ausgeglichen werden. Materialien, die sich immer wieder recyceln lassen und dabei keinen oder nur einen sehr geringen Qualitätsverlust haben, sind wertvoll.“
Sämtliche Prozesse bei Audi sollen zukünftig mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit abgeglichen werden: Rohstoffherkunft, Produktion, Nutzungsphase, sowie das Recycling, bzw. die Wiederverwertung. Das Ziel: 100 Prozent Kreislaufwirtschaft. Das Versprechen: Zeitloses Design, nachhaltig und perfekt durchdacht, mit einer zeitlosen Botschaft.

Aussichten

Audi wandelt sich zum Anbieter von vernetzter und nachhaltiger Premiummobilität. Ziel: bilanziell CO2-neutrales Unternehmen bis spätestens 2050, minus 30 Prozent des ökologischen Fußabdrucks der Flotte (ggü. 2015)

BMW

Andreas Vetter von BMW. Foto: BMW

Auch in München drehen sich die neuen Designprozesse um Nachhaltigkeit – FSC-zertifiziertes Holz in der Mittelkonsole, nachhaltige Gerbstoffe aus Olivenbaumblättern. „Die Bodenverkleidungen sowie die Fußmatten des BMW iX bestehen aus einem Kunststoffgarn, das in einem speziell entwickelten Prozess aus wiederverwerteten Nylonabfällen gewonnen wird. Als Ausgangsstoff dienen dabei unter anderem aus dem Meer geborgene Fischernetze sowie zerschlissene Bodenbeläge und Restabfälle aus der Kunststoffproduktion.“ Andreas Vetter, Leiter Nachhaltigkeit bei BMW GROUP, gibt Einblicke in die Herstellung des bekannten Stromers: „Im BMW iX werden rund 60 Kilogramm Recycling-Kunststoff eingesetzt. Chrom im Exterieur und Interieur wurde im Vergleich zu Fahrzeugen, bei denen entsprechende Nachhaltigkeits-Maßnahmen nicht umgesetzt werden, um bis zu 90 Prozent reduziert.“

Nicht jedes Bauteil kann bislang aus 100 Prozent Rezyklat hergestellt werden, die Verfügbarkeit hochwertigen Sekundärmaterials ist einfach noch nicht gegeben. „Dennoch:“, führt Vetter fort, „Unsere Fahrzeuge haben bereits einen Sekundärmaterial-Anteil von 20-30% und reduzieren damit ihren CO2e-Footprint gegenüber einem Fahrzeug mit 100% Primärmaterial um 15-25% in der Lieferkette.“ Einige Bauteile, wie z.B. die Unterbodenverkleidung bestehen bereits zu 100 Prozent aus recycelten Kunststoffen. Eine vergrößerte Auswahl, sinkende Kosten und die steigende Nachfrage werden den nachhaltigen Prozess weiter beschleunigen.

Forschung und Entwicklung spielen eine zentrale Rolle. BMW punktet hier besonders im Bereich der nachhaltigen Kunststoffproduktion.
Das Pilotprojekt mit BASF und verschiedenen Unternehmen der ALBA Group untersucht neue Möglichkeiten zum Recycling von Automobil-Kunststoffen. Ziel ist, eine möglichst umfassende Kreislaufwirtschaft zu etablieren und den Materialeinsatz von Primär-Kunststoffen zu verringern. Natürliche Ressourcen sollen geschont, das Abfallaufkommen für die thermische Verwertung reduziert und die CO2-Emissionen minimiert werden.

Ausblick

Ziel: Klimaneutralität über die gesamte Wertschöpfungskette bis spätestens 2050. Eine Recyclingquote von 95 Prozent wird bereits heute erfüllt. Erhöhung des Anteils von Sekundärmaterialien auf 50 Prozent.

Polestar

Fredrika Klarén ist beim schwedischen Autobauer Polestar Head of Sustainability. Foto. Polestar

Polestar, der neue Player aus Schweden, setzt alle Zeichen auf Kreislaufwirtschaft. Fredrika Klarén berichtet von der neuen Blockchain-Lösung des Unternehmens und der 100%igen Rückverfolgung des verwendeten Kobalts bei der Batterieherstellung, kontrollierter Einhaltung von Menschenrechten in den Abbaustätten und den vielseitigen innovativen Ansätzen der Polestar Flotte.

Bei der Innenausstattung setzt Polestar auf das `Design towards Zero‘-Ziel: „Im Innenraum des Precept, unseres Konzept-Fahrzeugs, werden Sitzbezüge verwendet, die aus einem einzigen Faden aus recycelten PET-Flaschen 3D-gestrickt sind.“, erklärt Klarén. „Wir nutzen Bodenteppiche aus recycelten Fischernetzen und Vinyl aus recyceltem Kork für Sitze und Armlehnen. Für die Innenverkleidung wird ein natürlicher Verbundwerkstoff auf Flachsbasis verwendet, der normalerweise aus neuen Kunststoffen hergestellt wird.“ Auch im Polestar2, dem ersten reinen Elektroauto der Premiummarke, wurden Chrom und Leder durch recyceltes Holz und WeaveTech ersetzt, ein staub- und wasserabweisendes veganes Material, das von Taucheranzügen inspiriert ist. Auf die Kosten angesprochen, antwortet sie sehr direkt: „Solange die nachhaltige Alternative gleichwertig oder sogar besser ist, verschließt sich kein Kunde. Nachhaltigkeit wird das neue Premium sein und mit der Zeit wird es auch zum Allgemeingut werden.“

Fredrika Klarén ist überzeugt: “Ein weiterer Schlüsselfaktor für einen nachhaltigen Wandel ist Transparenz“. Polestar veröffentlicht Ökobilanzen für alle Fahrzeuge, beginnend mit dem Polestar 2 und fordert die Automobilindustrie auf, Transparenz bei der Berichterstattung über den CO2-Fußabdruck, die ethische Lieferkette und die Rückverfolgbarkeit von Materialien zu schaffen. Und die Schweden gehen voran, sie wollen der transparenteste Automobilhersteller der Welt sein: In der Produktnachhaltigkeitserklärung von Polestar lassen sich eben auch die Nachhaltigkeitsnachweise vergleichen.

Ausblick

Entwicklung eines wirklich klimaneutralen Autos bis 2030: Reduzierung der Emissionen, ohne auf Kompensation zu setzen. Polestar Credo: Neue Methoden, Materialien und kreative Ansätze für eine wirklich nachhaltige Mobilität.

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