Mobilität

TGT: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilität

André Schirmer ist Studiendekan an der Hochschule Fresenius. Foto: Benjamin Pichelmann

Der Erfolg der Verkehrswende hängt auch davon ab, ob die Menschen ihr Mobilitätsverhalten ändern. Doch wie schaffe ich es, dass die Bevölkerung häufiger das Auto stehen lässt und stattdessen auf Bus und Bahn und Angebote der Micromobilität zurückgreift?

Die Initiative „The Good Turn“ (TGT) will mit ihrem TGT-Index für eine nachhaltigere Mobilität sorgen. Bis Oktober soll dazu eine App gelauncht werden. Aber braucht es so etwas? Es gibt sie bereits: Apps, die verschiedene Mobilitätsangebote unter einer Oberfläche bündeln. Ein Beispiel ist Jelbi, die App der BVG, der Berliner Verkehrsbetriebe. Hier können sich Nutzerinnen und Nutzer bequem über Verbindungen des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) wie Bus, Tram, U- oder S-Bahn und Fähren informieren und sich zugleich Tickets buchen.


Jelbi geht noch einen Schritt weiter: Die BVG-App bietet die Möglichkeit, sich Tretroller, Räder, Scooter, ein Carsharing-Fahrzeug oder einen BerlKönig zu bestellen, ein Ridesharing-Fahrzeug. Mobility as a Service steht hinter einem derartigen Angebot. Mit ihm sollen Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt dazu gebracht werden, möglichst bequem von A nach B zu kommen, im Idealfall ohne Auto, auch wenn Carsharing ein Teil des Angebots ist.

Geringe Nutzung unterschiedlicher Verkehrsträger

Diese Intermodalität – also die Nutzung unterschiedlichen Verkehrsträger – findet indes zu selten statt – und führt (noch) nicht zu einer Entlastung des Verkehrs in der Stadt. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey wechseln die Bewohnerinnen und Bewohner der zehn größten deutschen Städte gar nicht oder selten das gewohnte Verkehrsmittel. 79 Prozent der Befragten nutzen nur ein bis zwei verschiedene Verkehrsmittel.

Das soll sich ändern. Dazu haben die Unternehmen FischerAppelt, Philipp und Keuntje und Umlaut die Initiative „The Good Turn“ gegründet. Diese Initiative hat sich im Zusammenschluss mit Partnern zum Ziel gesetzt, die Menschen dazu zu ermutigen, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern, wie Christian Clawien sagt, Digitalstratege bei FischerAppelt. Die Partner wollen bis Oktober kommenden Jahres eine App launchen, die die unterschiedlichsten Mobilitätsdaten wie beispielsweise Verkehrsfluss, Luftqualität oder das Aufkommen „Grüner Mobilität“ in Echtzeit anzeigt – und das vernetzt mit den unterschiedlichsten Mobilitätsangeboten.

Launch auf Weltkongress

Andre Schirmer im Treppenhaus der Hochschule Fresenius. Foto: Benjamin Pichelmann

Gelauncht werden soll der sogenannte TGT-Index auf dem Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme und Services (IST) in Hamburg. Dieser TGT-Index ist der Kern der Initiative: Er will die Komplexität des Stadtverkehrs auf eine Zahl herunterbrechen. Mit ihr soll dabei nicht nur die Verkehrsbelastung in der Stadt abgebildet werden, sondern auch Empfehlungen für die Nutzung der unterschiedlichen Mobilitätsangebote gegeben werden.

Braucht es so etwas? Schon heute gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Mobilitäts-Apps wie beispielsweise die von Jelbi, Reach Now oder Moovel. „Ich glaube, dass sich das erst in der Zukunft zeigen wird“, sagt André Schirmer, Studiendekan Mobilitätswirtschaft an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Doch die Idee sei hochinteressant, schiebt Schirmer hinterher. Deshalb begleitet die Hochschule Fresenius in Hamburg das Projekt auch zusammen mit der RWTH Aachen wissenschaftlich.

Für Schirmer werde derzeit mit einer Vielzahl von Instrumentarien versucht, den Verkehr in den Ballungsräumen zu kanalisieren, „ihn rauszubringen aus den urbanen Räumen“ und damit zugleich für eine lebenswertere Stadt zu sorgen. Dennoch wollen die Bewohner weiter mobil bleiben. „Genau das ist die Krux, mit der wir es zu tun haben.“ Von daher ist eine Transparenz über das Verkehrsgeschehen, wie es mit dem TGT-Index beabsichtigt ist, „sicherlich sinnvoll“, betont der Hochschullehrer. Damit würde man den Menschen ein Tool an die Hand geben, das ihnen möglichst unkompliziert die verschiedenen Alternativen aufzeigt, um schnell und umweltschonend von A nach B zu kommen. Die klassischen Medien haben in den zurückliegenden Jahrzehnten versucht, eine solche Transparenz mit dem Verkehrsfunk zu schaffen, der nach wie vor stark genutzt wird. „Aus gutem Grund. Schließlich will jeder wissen, ob auf dem Autobahnteilstück, was er nutzen will, gerade eine Störung besteht.“

Eine App bündelt Mobilitätsangebote

Für Schirmer kann die Idee von TGT in einem ersten Schritt dazu beitragen, „ein Hilfsmittel für die Entzerrung von Verkehren und darüber hinaus eine Möglichkeit sein, das Ziel der ökologisch vertretbaren Mobilität zu erreichen“. Das, was heute in vielen Apps abrufbar ist, soll sich zukünftig nur in einer App wiederfinden, einschließlich realer Verkehrsdaten und der Luftqualität in den Städten.

Was es braucht, sei schlicht eine Vereinfachung des Angebots. „Wer mag es schon, sich auf seinem Handy die verschiedenen Mobilitätsangebote in den unterschiedlichen Apps zusammen zu suchen?“, fragt Schirmer rhetorisch. Er verweist auf die Zahl der Ladekarten für Elektroautos. „Wir haben hier im Moment einen Markt von 300 verschiedenen Ladekarten mit einem Preisgefüge, das von den Kosten des Haushaltsstroms bis zum Dreifachen dieses Preises reicht“, so Schirmer. Der Wissenschaftler hat die Hoffnung, dass TGT hier eine Leuchtturm-Funktion einnehmen kann, indem es zu einer „Vereinheitlichung der Daten aus der Mobilitätswirtschaft und dem Mobilitätsgeschäft beiträgt“.

Auf dem Weg zur Intermodalität kommt für Schirmer einem Bonus-System eine wichtige Rolle zu. „Wenn wir mit dem Konzept weiter vorangekommen sind, dann sollte man sich genau darüber Gedanken machen und Gespräche mit möglichen Kooperationspartnern führen.“

Auto wird wieder stärker genutzt

Mit einem Index will die Initative “The Good Turn” das Mobilitätsverhalten ändern. Foto: FischerAppelt

Doch ist der Zeitpunkt ideal, sich gerade jetzt Gedanken über einen TGT-Index zu machen? Wegen der Corona-Pandemie nutzen die Menschen wieder verstärkt das Auto statt Bus und Bahn. Ideal sei der Zeitpunkt sicher nicht, gibt auch Schirmer zu. Im Sommer habe man gesehen, dass viele Menschen aufs Rad umgestiegen sind. „Die Pandemie war für das Radfahren etwas Gutes, für den ÖPNV indes etwas Schlechtes.“ Auch wenn das Sondereffekte waren, wird einiges die Zeit des ersten Lockdowns überdauern. Dazu gehören für Schirmer auch die Pop-up-Radwege, die in Städten wie Berlin eingerichtet wurden. Grundsätzlich, sagt der Mobilitätsexperte, habe uns die Pandemie dazu gebracht, sich über unser Mobilitätsverhalten Gedanken zu machen. Von daher sei die Zeit dann doch gar nicht zu schlecht, jetzt an einer solchen App zu arbeiten.

Wenn es den Machern von TGT gelingt, den Nutzern eine größtmögliche Transparenz und Auswahl an Mobilitätsangeboten im Kontext der Verkehrsströme zu bieten, dann könnte diese Initiative zu einem großen Erfolg werden, ist Schirmer überzeugt.

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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