Das Start-up Elexir aus Saarbrücken ist dabei die Grenzen der Digitalisierung im Auto auszureizen. Mit ihrem Baukastensystem will das Team um Gründer Stefan Nürnberger das Auto zum „Smartphone auf Rädern“ verwandeln.
Wer kennt das nicht? Man steigt in das Auto eines Carsharing- oder Autovermieters ein – und es kommt einem alles fremd vor: Die Lenkradhöhe stimmt nicht, der Sitz ist zu niedrig, die Klimaanlage bläst kalte Luft ins Gesicht. Wohlfühlen geht anders.
Ein kleines Start-up aus dem Saarland will das ändern: Die Vertrautheit, die man von seinem eigenen Auto kennt, will das von Stefan Nürnberger, Sohyeon Park, Stefan Leber und Daniel Frassinelli gegründete Unternehmen Elexir mit seinem System aus Hard- und Software auch in fremde Autos bringen – und noch viel mehr. In Saarbrücken arbeiten sie an dem von der Autobranche viel zitierten „Smartphone auf Rädern“.
Mit ihrem Ansatz legen sich die derzeit noch 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Start-ups mit den Big Playern der Branche an. Allein der Stuttgarter Zulieferer Bosch beschäftigt weltweit 17.000 Software-Entwickler. 17.000 gegen 13? Doch ein solcher Vergleich schreckt Nürnberger nicht. „Die Mitarbeiterzahl ist kein Erfolgsgarant. Es kommt auf den innovativen Ansatz und die richtigen Mitarbeiter an. Außerdem werden wir uns bis Ende nächsten Jahres mehr als verdoppeln, um alle geplanten Produktfeatures umsetzen zu können. Unser Ziel ist es, das Android des Autos zu sein“, sagt der 35-Jährige, der bis zum vergangenen Jahr noch Juniorprofessor am Helmholtzzentrum für Cybersicherheit in Saarbrücken war.
Konkurrent der Big Player
Am „Smartphone auf Rädern“ arbeitet auch Europas größter Autobauer VW. Auch dort hat man erkannt, dass die Zukunft des Konzerns entscheidend von der eigenen Softwarekompetenz abhängt. Dazu wurde Cariad gegründet. Die Softwareschmiede soll bis 2025 eine skalierbare Softwareplattform mit einem einheitlichen Bediensystem und einer Cloud-Anbindung für alle Marken des Konzerns entwickeln.
Wie viele andere Hersteller – mit Ausnahme von Tesla – hat auch VW die Softwareentwicklung zu lange den Zulieferern überlassen. „Die OEMs kaufen ihre Software bei den Zulieferern laut den Vorgaben des Lastenheftes ein – ohne dabei großen Einfluss auf die Steuergeräte zu haben“, stellt der promovierte Informatiker Nürnberger fest. Damit würden sich die Hersteller viele Einsatzmöglichkeiten der im Fahrzeug verbauten Kameras und Sensoren schlicht berauben, sagt Nürnberger. „Ich denke, dass die Hersteller sich zu lange ausgeruht haben. Sie haben Software nicht als Alleinstellungsmerkmal verstanden, sondern als notwendiges Übel.“ Dieses Manko will Elexir beheben.
Deshalb ist das Hard- und Softwaresystem der Saarländer modular aufgebaut. Zum einen soll es den Ressourceneinsatz an Kabeln und Kupfer reduzieren, auf der anderen Seite ist es mehr durch die Software definiert. „Bei uns ist es möglich, nicht immer die gleiche Software zu verwenden, sondern sie benutzerdefiniert zu gestalten.“ Wer also bestimmte Funktionen nutzen will, kann sie sich über zuvor im App-Store heruntergeladene Funktionalitäten ergänzen und ins Auto spielen lassen, erklärt Nürnberger, den zwei seiner ehemaligen Doktoranden in die Selbstständigkeit begleitet haben. Sie waren derart von der Idee angetan, dass sie ihre Promotionsvorhaben beendet haben.
Die Idee des jungen Start-Ups hat mittlerweile eine Vielzahl von Investoren überzeug. Aktuell arbeitet Elexir an seinem Baukasten-System, mit dem Hersteller einfach Funktionen entwickeln können. In Zukunft werden auch Kleinserienhersteller auf die Technik zurückgreifen, um schnell komplexe Fahrzeug-Extras entwickeln zu können.
Interessant für große Flotten
Mit dieser Bausatzlösung lasse sich mit Blick auf die Funktionalitäten fast alles realisieren, sagt Nürnberger. „Unser System wird damit gerade auch für Carsharing-Unternehmen und Flotten interessant“, sagt der promovierte Infomatiker Nürnberger. „Viele Menschen schrecken von der Nutzung eines Carsharingfahrzeugs auch deshalb zurück, weil sie sich nicht mit den unterschiedlichen Funktionen des Mietautos auseinandersetzen wollen. Mit unserer Software gibt es dieses Problem nicht mehr.“ In einem Leihauto lassen sich so auch die Funktionalitäten vorfinden, die man von seinem eigenen Auto kennt. Es ist ein ähnlicher Ansatz, den auch das chinesische Start-up Byton verfolgt hat, bis es in finanzielle Schwierigkeiten geriet.
„Doch Byton wollte Autos bauen – wir bieten stattdessen ein Betriebssystem. Zum Start ist es leer, kann aber mit Apps gefüllt werden, die über entsprechende Funktionalitäten verfügen. Dadurch entsteht der Mehrwert – und das ganz nach den individuellen Bedürfnissen.“ Dadurch folgen die Gründer den veränderten Mobilitätsbedürfnissen, die sich längst nicht mehr am eigentlichen Fahren orientieren, sondern an der Individualisierung und dem Komfort. Es sind Geschäftsmodelle, die die Autobauer für sich entdeckt haben, indem man sich Funktionalitäten für sein Fahrzeug Over-the-Air dauerhaft hinzubuchen kann.
Die Möglichkeiten der Digitalisierung will man bei Elexir ausreizen. Als Beispiel nennt Nürnberger die im Auto verbauten Kameras und Sensoren. In herkömmlichen Autos nutzt man sie für verschiedene Assistenzsysteme wie Einparkfunktionen oder Erkennung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und Abständen. Doch sie können viel, viel mehr, sagt Nürnberger. „Mit ihnen lässt sich ein ganzes Ökosystem abbilden: Ein Paketbote kann beispielsweise die Rückfahrkamera dafür nutzen, den Strichcode an einem Paket zu scannen. Oder man kann mit der Frontkamera freie Parkplätze erkennen und sie an Parkplatzsuchende übermitteln. Die Möglichkeiten unseres Systems sind unbegrenzt.“
Sicherheit und Datenschutz an erster Stelle
Doch wie schaut es mit den Risiken aus? Die hält Nürnberger für überschaubar. Schließlich kämen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bereich der Cybersecurity. „Für uns“, betont Nürnberger, „stehen Sicherheit und Datenschutz an erster Stelle.“ Dennoch sieht auch er mit Blick auf die Zulassung durchaus Probleme. In der Kleinserie sei dies alles kein Problem, doch in der Großserie sieht das anders aus. Hier setzen viele Hersteller nach wie vor auf Sicherheitsnormen, die mit viel Papierbergen nachwiesen, dass sichere Software entwickelt wurde. Laut Nürnberger stößt dieser Ansatz mit der immer mehr zunehmenden Komplexität von Fahrzeugfunktionen an seine Grenzen. Das Startup Elexir setzt deshalb auf Software-Quellcode, der selbst beweisen kann, das er sicher ist und ein eigenes Betriebssystem, dass diese Zusicherung während des Betriebs sicherstellt.
Elexir jedenfalls lässt sich auch davon nicht abschrecken. Bis Ende 2022 will das Start-up, das im kommenden Jahr ein weiteres Büro in Berlin eröffnet, ein Kleinserienfahrzeug entwickeln, ab 2024/2025 soll die Software in der Großserie zum Einsatz kommen. „Als deutsches Start-up wollen wir zu einem relevanten Player bei der Software werden“, gibt Nürnberger als Ziel aus.
Dass das nicht leicht wird, weiß auch er. Der Zulieferer Brose hat unlängst auf der IAA Mobility in München die Software „Brain“ (Brose Access an Interior Network) vorgestellt. Auch sie will alle Funktionen im Fahrzeug miteinander verknüpfen und steuern – und verfolgt damit einen ähnlichen Ansatz von Elexir. Brose plant ab 2025 den Serieneinsatz von „Brain“.