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Prinzessinnengärten: Ein Refugium mitten in der Stadt

Die Luft in den Großstädten wird immer schlechter. Entsprechend werden Naherholungsflächen wie die Prinzessinnengärten in Berlin immer wichtiger.

Sie sind nicht nur eines der bekanntesten urbanen Gartenprojekte Berlins, sondern Europas: die Prinzessinnengärten am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg. Hier zwischen der vielbefahrenen Oranien-, Prinzen- und Prinzessinnenstraße setzten Robert Shaw und Mario Clausen im Sommer 2009 mit über hundert Freiwilligen ihre Idee um, auf einer 5800 Quadratmeter großen verwahrlosten Brache eine soziale und ökologisch-urbane Landwirtschaft mitten in der Stadt zu schaffen. Entstanden ist ein „Refugium in der Stadt, ein Naherholungsgebiet, das allen Besuchern offen steht“, sagt Hans Boës.


Der Wirtschaftsingenieur arbeitet seit 2011 bei den Prinzessinnengärten mit. Am Tag unserer Verabredung führt Boës zwei kanadische und einen amerikanischen Studenten durch die Prinzessinnengärten. Sie sind spontan zu einer Führung vorbeigekommen, um sich von Boës (59) alles zum „Urban Gardening“ in den Prinzessinnengärten erzählen zu lassen. Und Boës, ein gebürtiger Berliner, der einst zur Hausbesetzerszene in Kreuzberg gehörte, hat seinen internationalen Gästen während des Rundgangs viel zu erzählen.

„Wir bieten Bienen einen Lebensraum“

In den Prinzessinnengärten gibt es auch Bienenstöcke. Foto: Lina Grün

So berichtet Boës davon, dass in den Prinzessinnengärten nicht nur 500 verschiedene Gemüse- und Kräutersorten in Hochbeeten angebaut, sondern auch Bienen gehalten werden. „Hier“, sagt Boës und zeigt auf mehrere Bienenstöcke, „bieten wir den Bienen einen Lebensraum in der Stadt“: Ein Aspekt, dem angesichts des Bienensterbens aufgrund der Monokulturen und der Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft eine besondere Bedeutung beikomme. Die Prinzessinnengärten wollen ihren Beitrag zur Biodiversität leisten; sie wollen das Mikroklima in der Stadt verbessern helfen. „Unser Anliegen ist es, ein Bewusstsein für ökologischen Anbau von Gemüse und der Verwendung von regionalen Lebensmitteln zu schaffen.“

Entsprechend werden in der Küche der Prinzessinnengärten auch nur Produkte aus der Region verwendet, berichtet Boës. Pro Tag werden je nach Besucherandrang um die 200 Essen ausgegeben. Zu annähernd 50 Prozent kommen die Einnahmen dann aus dem Restaurant und der Gastronomie. Der Rest komme aus Spenden, dem Verkauf von selbstgezüchteten Pflanzen oder Fördermitteln, wie Boës sagt. Der Jahresetat der Prinzessinnengärten liege dabei so zwischen 700.000 und einer Million Euro. „Mittlerweile sind wir sogar in der Lage, den Mitarbeitern angemessene Gehälter zu zahlen.“ Die Zeit der Selbstausbeutung gehe langsam zu Ende.

Doch in Zeiten, in denen die Menschen in den Großstädten mit steigenden Mietpreisen zu kämpfen haben und die Gentrifizierung längst auch in Kreuzberg voranschreitet, haben die Prinzessinnengärten Jahr für Jahr um ihren Fortbestand zu kämpfen. Bereits 2012 sollte die Fläche an einen Investor veräußert werden, erst nach Protesten konnte der Fortbestand gesichert werden. Seit Ende 2018 hangelt sich die Nomadisch Grün gGmbH als Trägerorganisation von Jahr zu Jahr. „Unser Ziel ist es, einen längerfristigen Pachtvertrag mit dem Bezirk auszuhandeln“, sagt Boës.

Boës entwickelt Solar-Roller

Hans Boes bietet in den Prinzessinengärten auch einen Fahrradservice an. Foto: Lina Grün

Der Rundgang hat uns mittlerweile zu einem Frachtcontainer geführt, in dem Boës eine Fahrradwerkstatt betreibt. Hier bietet der 59-Jährige nicht nur einmal in der Woche einen kostenlosen Radservice („Spenden sind willkommen“) an, sondern entwickelt auch seine eigenen Fahrräder, darunter beispielsweise einen Solar-Roller. „Mit ihm kann man im Sommer durchschnittlich ein bis zwei Stunden elektrisch unterwegs sein“, sagt Boës, der sich selbst als Zukunftsforscher bezeichnet.

Er selbst hat 1992 sein Auto abgeschafft. Seither nutzt er nur noch sein Fahrrad. Oder besser gesagt: seine Fahrräder oder Tretroller. „Es ist doch schlicht nicht vernünftig, wenn man mindestens eine Tonne Blech bewegt, um damit zu 90 Prozent nur 1,1 Personen durchschnittlich nicht weiter als sechs Kilometer zu bewegen“, sagt Boës. „Wenn wir jetzt nicht umdenken, kommen wir auch nicht zu einer Verkehrswende“, ist sich der 59-Jährige sicher.

Es sei für ihn energetischer Unsinn, ein Auto durch die Stadt zu bewegen, da helfe auch die Elektromobilität nicht viel weiter, „auch wenn sie schon viel effizienter als ein Verbrennungsmotor ist. Deshalb entwickelt Boës seine Zweiräder. Sein letzter Entwurf ist der Klapproller Kick-E. Er wurde von Boës so konzipiert, dass er auch im zusammengeklappten Zustand noch als Lastenroller beziehungsweise Einkaufstrolley verwendet werden kann. Sein Akku ermöglicht mit ihm Geschwindigkeiten bis zu 25 km/h. Angeboten werden die von Boës entwickelten Zweiräder auf seiner Internetseite postfossilemobile.de.

Nur ein paar Meter von der Werkstatt von Boës entfernt steht das Tiny-House „Nest“. Es ist in nur vier Wochen von Freiwilligen errichtet worden und basiert auf einem Raster von 2,5×1,25 Meter. Es soll zeigen, wie sich Wohnen auf kleinem Raum zu erschwinglichen Preisen in der Großstadt realisieren lässt. Damit neigt sich der Rundgang in den Prinzessinnengärten seinem Ende entgegen.

Neue Prinzessinnengärten in Neukölln

Die Prinzessinnengärten kämpfen immer wieder um ihren Verbleib an altbekannter Stelle. Foto: Lina Grün

Und, wie geht es weiter mit diesem Projekt im Herzen Kreuzbergs? Das wird die Zeit und die Verhandlungen mit dem Bezirksamt Lichtenberg-Kreuzberg zeigen. Doch das Projekt der Prinzessinnengärten wird so oder so weitergehen. Denn in Neukölln lässt die Nomadisch Grün gGmbH gerade auf der ehemaligen Fläche des St. Jacobi Friedhofs einen weiteren Prinzessinnengarten entstehen. Für das „Urban Gardening“ ergeben sich dadurch ganz neue Möglichkeiten.

So versteht die Trägerorganisation ihren neuen Gartenstandort in Neukölln auch als Experiment, wie mit den zukünftig verstärkt freiwerdenden Friedhofsflächen Grünräume in der Stadt geschaffen werden können. Auf dem St. Jacobi Friedhof ergeben sich auch ganz neue Nutzungsmöglichkeiten, wie Boës berichtet. „Während wir in Kreuzberg aufgrund der Beschaffenheit des Bodens nur mit Hochbeeten arbeiten können, ist in Neukölln auch das gärtnern direkt im Boden möglich:“

Mit seinem neuen Standort will die Nomadisch Grün gGmbH das „Urban Gardening“ dauerhaft in Berlin verankern. Vor allem will man auch seinen Beitrag leisten, wie historische Flächen sinnvoll erhalten werden. Denn grüne Oasen und Naherholungsgebiete in den Städten kann es nie genug gegen.

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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