Wenn es eine Region in Deutschland gibt, auf die die Deutschen so dermaßen abfahren, dann ist es das Allgäu. Wie haben die Region auf der Deutschen Alpenstraße mit dem ID. Buzz von VW entdeckt.
Von Andreas Haslauer und Stefan Schütz (Fotos)
„Jetzt langt’s aber! Regieret‘ nur Seggl auf dieser Welt?“, bruddelte Gottfried Härle. Wahrscheinlich gibt es kein Volk auf diesem Planeten Erde, das so schön motzt und meckert wie die Schwaben. Auf wen war Härle 1972 aber so sauer, als der damals 17-jährige Leutkircher Amerika besuchte? „Ich war von mir, meinem Umfeld, eigentlich von allen maßlos enttäuscht“, sagt der Mann, der mit seinem weißen Schnauzer und seinem sympathischen Habitus eine Mischung aus Jean Pütz, dem Wissenschafts-Mann aus dem Fernsehen, und Peter Lustig, dem legendären „Löwenzahn“-Moderator im Hippie-Bauwagen ist.
Härle hatte bis dahin noch nie etwas von dem „Club of Rome“ gehört. Bis zum Sommer 72. Als er die Studie der Organisation, die sich seit jeher für Nachhaltigkeits-themen einsetzt, las, wusste er: „Wenn niemand die Welt verändert, dann muss ich es tun.“
Härle-Brauerei in vierter Generation
Der Mann, der nun seit 1985 bereits in vierter Generation die Härle Brauerei im Allgäu leitet, veränderte die Welt. Erst organisierte der Volkswirt 1983 die legendäre Menschenkette von Stuttgart nach Ulm, eine Friedensbewegung mit 400.000 Menschen. Aber auch in der Brauerei ließ der Schwaben-Rebell keinen Stein auf dem anderen. Als einer der ersten Brauereien in ganz Europa führte Härle 1994 eine Ökobilanz ein, 2001 schraubte er seine erste Photovoltaik-Anlage aufs Dach, acht Jahre später ist er die erste Brauerei in der Republik, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien – also Wind- und Sonnenenergie, Holzhackschnitzel, Biogas, Biodiesel und Wasserkraft – herstellt. „Soweit ich weiß“, sagt der Maultaschen-Revoluzzer, „gibt es keine Brauerei hierzulande, die so nachhaltig, umwelt- und klimafreundlich wirtschaftet wie wir.“
So, wie Härle, ticken viele im Allgäu. Ganz viele. Zusammen sind wir nun den zweiten Teil unserer Alpenstraßen-Serie – dieses Mal vom Westallgäu bis zum Schwäbischen Meer, dem Bodensee – abgefahren. Die Ambitionen der Macher sind zwar ambitioniert, aber realistisch. „Unser Ziel ist klar“, kündigt Oswald Pehel an, Vorstand des „Bayerischen Fernwege e.V.“, die Alpenstraße soll „zu einem der zehn schönsten Straßen auf der Welt werden.“ Das ist mal eine Ansage!
DNA bereits gefunden
Während viele Tourismus-Destinationen noch ihre DNA suchen, hat Bernhard Joachim, der Chef des Tourismusverbandes Allgäu/Bayerisch-Schwaben, sie gefunden. „Wir haben schon einige Konzepte ausprobiert“, erklärt Joachim. Dass, was die Urlauber in der Region erleben wollen, ist die „heile Welt“, sagt Joachim, der gerne am Wochenende mal auf den Hochgrat in der Nagelfluhkette wandert, abends gerne in den „Lustigen Hirschen“ geht, dann ein Allgäuer Bierle genießt. Die Zahlen belegen den „Heile Welt“-Trend: Von 2003 bis 2019, dem letzten vollen Tourismus-Jahr vor Corona, besuchten mit fünf Millionen Gästen 85 Prozent mehr das Allgäu. Tendenz: weiter steigend!
Allein zwischen 2015 und 2019 stieg die Anzahl der Übernachtungen auf 23,78 Millionen, was einen Zuwachs von 19 Prozent bedeutet. Auf deutsch: das Allgäu brummt. „Wenn Sie bei uns über die Straßen, die Täler und an den Bauernhöfen vorbeifahren“, schwärmt Joachim, gebe es nirgendwo in Deutschland mehr Harmonie und Schönheit. Am Schluss sei die Fahrt durchs Allgäu das „schönste Autokino der Welt“. Und in den Genuss kommen meist die Deutschen. Denn: 95 Prozent der Urlauber kommen aus Deutschland. Sie kämen wegen der Küche hierher. Überwiege der Bodensee eher mit der leichten und mediterranen Küche mit Fischen wie einem Zander und Weinen wie einem Spätburgunder, sei die Küche im Allgäu eher deftig. Die Deutschen würden besonders die regionalen Gerichte wie Kässpatzen oder etwas Gutes vom Rind lieben, so Tourismusmanager Joachim. Dazu dürfte es gerne ein Bier von einem Allgäuer Bierbrauer oder auch mal ein Enzian-Schnapserl sein, destilliert aus heimischen Wurzeln sein. Prost!
Mit dem ID. Buzz auf Tour
Für die Fahrt durch die heile Welt haben wir uns das passende Auto ausgesucht: einen ID.Buzz von Volkswagen. Auf Leder oder andere tierische Materialien haben die Wolfsburger gänzlich verzichtet. Ein Beispiel: Der Lenkradkranz besteht aus Polyurethan, einem Kunststoff, der so hochwertig wie Leder ist. Bei Sitzbezügen oder Bodenbelägen werden Rezyklate verwendet, also Materialien aus recycelten Produkten. Damit nicht genug: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen pro Fahrzeug in Europa um 40 Prozent sinken, der Anteil der E-Modelle am Absatz laut VW-Oliver Blume auf „mindestens 70 Prozent“ steigen. Das ist mal ein Statement! Die Zukunft fährt also elektrisch, grün und sauber.
Und wir fahren erst mal zum Schloss Neuschwanstein, dann direkt zu unserem ersten Hotel. Dort begrüßt uns Andreas Eggensberger, Chef des gleichnamigen Hotels, an einer der zwölf E-Ladestationen, die zu 100 Prozent aus Sonnenstrom geladen werden. Eggensberger ist so etwas wie die humane Antwort auf die „eierlegende Wollmilchsau“. Denn: Eggensberger ist Physiotherapeut, Masseur, Bademeister und Sozialwissenschaftler. Der Mann, der zusammen mit seiner Familie und dessen Bruder seit 1989 den Bioland-Hof Eggensberger betreibt, hat ähnlich wie Brauerei-Meister Härle an jeder Stellschraube gedreht, an der man drehen kann. Eggensberger stellte 2002 alles auf Bio um, seit 2008 ist das Vorzeige-Hotel am Hopfensee das erste klimaneutrale Hotel im Allgäu, seit 2019 sogar klimapositiv.
Nachhaltigkeit in beide Richtungen gedacht
Nachhaltig denken, sagt der gescheite Allgäuer, ist eines, nachhaltig handeln, das andere. Anders könne er auch nicht, schließlich sei Nachhaltigkeit nicht ein Konzept das sich ein paar pfiffige Berater ausgedacht haben, sondern eine Lebenseinstellung, eine Lebensüberzeugung. Daher ist es kein Wunder, dass Eggensberger schon 2015 die Gemeinwohl-Ökonomie eingeführt hat. Nicht die Gewinnmaximierung steht im Vordergrund, so der Hobby-Marx, sondern die Gerechtigkeit und der Mensch.
Zwischen den vielen Gesprächen rund um das wichtigste Zukunftsthema, genießen wir aber auch den Baumkronenweg in Füssen, einen 480 Meter langen und 20 Meter breiten Weg mitten im Walderlebniszentrum Ziegelwies. Dort wird einem spielerisch erklärt, was die „Aufgaben“ des Waldes in Sachen Natur und Kilmaschutz sind. Die Aufgaben meiner Waden ist es hingegen, bei Sonnenuntergang auf die Königin der Pass-Straßen in der Region, das Oberjoch, hochzustrampeln, dann dort oben ein kühles Radler zu genießen.
Zu Besuch im gallischen Dorf
Kräftig ins Zeug legt sich auch Renate Deniffel, die Bürgermeisterin des Energiedorfes Wildpoldsried, das so etwas wie das gallische Dorf bei Asterix & Obelix ist. Die Oberallgäuer Ortsvorsteherin produziert acht Mal mehr Strom und 60 Prozent mehr Wärme aus regenerativen Energiequellen als verbraucht wird. Der Mix aus Sonne, Wind und Biogas sichert die Nahwärme- und Energieversorgung, worauf Deniffel stolz ist: „Die Wildpoldsrieder:innen sind die Gestalter der Energiewende. Einige unter ihnen sind wahre Energiepioniere!“, jubelt die Frau, die einen Preis nach dem anderen abräumt.
Dann geht es weiter Richtung schwäbisches Meer. Bevor wir dort aber ankommen, machen wir noch einen Stopp im Edita, einem „Work Life Resort“ in Scheidegg. Gebaut hat das Hotel der heute 90-jährige Alois Berger, der 1955 den gleichnamigen Maschinenbauer gründete. Berger ist wie viele Allgäuer ein Sturkopf. Ein Liebeswerter. Schon immer wollte er einen Ort haben, an dem sich alle wohlfühlen: seine sieben Kinder, 13 Enkel, neun Urenkel. Seit 2018 hat er nun diesen Ort, sein Wohlfühl-Hotel.
Letzter Stopp Bodensee
Unser letzter Stopp ist der Bodensee. Dort ist der Sitz der Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB), die sich seit Jahren vehement für den Umwelt- und Klimaschutz einsetzt: Eine Vorreiterrolle hat die BSB nun auch bei E-Schiffen, eines surrt schon seit dem Sommer 2022 herum: Die MS „Artemis“, bei der das Freideck komplett mit Solarzellen bestückt ist. Dadurch wird zusätzlich grüner Strom an Bord produziert, für den Antrieb eingesetzt . „Wir freuen uns sehr, dass wir mit dem E-Schiff unsere Flotte noch umweltfreundlicher machen“, frohlockt BSB-Chef-Ober-Capitano Frank Weber.
Vollelektrische Antriebe sollen aber nur ein Baustein sein. Darüber hinaus gilt es, die Bestandsflotte von fossilen Brennstoffen wegzubekommen. Warum? Der Bodensee solle laut dem BSB-Management eine Modellregion für eine „klimaneutrale Zukunft der Binnenschifffahrt werden“.
Auf dem Rückweg kehren wir nochmal bei Bierbrauer Härle ein. Wir sitzen mit ihm und der zweiten Geschäftsführerin Esther Straub, die mit ihm seit 2016 mit auf der Kommandobrücke steht. Die Frau, die Staatswissenschaften in Passau, Istanbul und Mannheim studierte, ist nicht nur blitzgescheit und kosmopolitisch, sie ist auch eine Macherin. In der Brauerei treibt sie die Themen Frauenpower und Biodiversität voran.
Zusammen sitzen wir alle im Brauereigasthof Mohren, auf dem Härle-Gelände. Die Lebensmittel, die Pächter Thomas Werner bezieht, also Fleisch, Gemüse und Salat, kommen alle aus der unmittelbaren Umgebung, sind Bio. „Kein Rind, kein Schwein und auch kein Hühnchen hatte mehr als eine 50 Kilometer lange Anreise hinter sich“, erklärt Werner, der in Sachsen-Anhalt geboren ist und seit vielen Jahren im Allgäu lebt. Warum er hierhergezogen ist? „Wegen der heilen Welt“, sagt er. Und weil es hier in der Region „recht wenige Seggl“ gibt, ergänzt Härle. Und lacht sich dabei schlapp.