Seit 1970 wird traditionell am 21. März der Tag des Waldes begangen. Wie wichtig ein solcher Tag ist, zeigt die aktuelle Bundeswaldinventur. Sie attestiert dem Wald einen schlechten Zustand; er leidet unter dem Klimawandel.
Von Petra Krimphove
Der Helfer wird selbst zum Problemfall, er braucht dringend Hilfe: Eigentlich leistet der deutsche Wald als CO2-Speicher einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Doch die aktuelle Bundeswaldinventur stellte ihm ein alarmierendes Zeugnis aus: Unsere Wälder haben ihre Senkenfunktion verloren. Das heißt: sie geben erstmals mehr CO2 an die Atmosphäre ab als sie aufnehmen können. Schuld daran ist ausgerechnet der Klimawandel. Können Wälder unter diesen Bedingungen überhaupt wieder zu aktiven Klimahelfern werden?
Die gute Nachricht: Die Gesamtfläche deutscher Wälder hat nicht abgenommen, das darf sie laut dem Bundeswaldgesetz auch nicht. Wird gerodet, zum Beispiel für Industrieansiedlungen wie für die Elektroautofabrik von Tesla in Brandenburg, oder stirbt Wald ab, muss an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen, müssen neue Bäume gepflanzt werden. Doch warum hat dann die CO2-Speicherkapazität des Waldes abgenommen? „Das liegt zu allererst an den verheerenden Schäden an den Fichtenbeständen durch die Dürrejahre ab 2018“, sagt Peter Spathelf, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde und Wald-Experte. Seine Hochschule war an der aktuellen vierten Bundeswaldinventur beteiligt, die im Oktober veröffentlicht wurde. Es ist eine Art Bestandsaufnahme der deutschen Wälder, für die rund 100 Expertentrupps alle zehn Jahre im ganzen Land Bäume vermessen und Wälder begutachten. Die Werte für die aktuelle Inventur wurden bereits 2022 nach festgelegten Rastern in ganz Deutschland erhoben.
Letztes Jahrzehnt für Baumbestand verheerend
Für den Baumbestand in Deutschland war das letzte Jahrzehnt verheerend. Zwischen 2018 und 2022 fielen Wälder in der zweifachen Größe des Saarlands Trockenheit und Schädlingen zum Opfer. Im Harz, dem Thüringer Wald, dem Frankenwald und im Sauerland sind nun ganze Hänge kahl beziehungsweise übersät mit Stämmen, die durch Wassermangel und Borkenkäferbefall so schwach waren, dass sie Stürmen nicht mehr standhalten konnten. Darunter waren auch wertvolle mittelalte Bestände, die ansonsten durch ein weiteres Wachstum zur Klimabilanz beigetragen hätten. Der Fichtenbestand sank im Vergleich zur Bundeswaldinventur 2012 um 16 Prozent. Auch der einst als robust geltenden Kiefer setzt der Klimawandel zu.
Damit fallen große Baumbestände als Klimaschützer aus. Eigentlich sind die Leistungen von Mooren und Wäldern als CO2-Senken ein wichtiger Teil der Klimabilanz. Zwölf Prozent der CO2-Emissionen Deutschlands werden vom Wald gespeichert. Bäume sind wahre Klimahelden: Sie wandeln über die Photosynthese das schädliche Treibhausgas CO2 um, speichern den Kohlenstoff im Holz und geben Sauerstoff ab. In einem Kubikmeter Holz, das durchschnittlich 500 Kilogramm wiegt, stecken rund 250 Kilogramm Kohlenstoff, also rund die Hälfte des Gewichts. Aktuell sind in Deutschland schätzungsweise 1,184 Millionen Tonnen Kohlenstoff in lebenden Bäumen gebunden, weitere 46,1 Tonnen im Totholz, das heißt in im Wald liegenden abgestorbenen Bäumen.
Entscheidend unter dem Klimaschutzaspekt ist, dass nur wachsende Stämme zusätzliches CO2 absorbieren Die besten Kohlenstoffspeicher sind mittelalte Bäume zwischen ihrem 20. und 60. Lebensjahr, in ihrer stärksten Wachstumsphase. Es sei denn, die Bedingungen sind zu feindlich. In klimatisch herausfordernden Jahren stellen sie ihr Wachstum quasi ein – und nehmen entsprechend kaum noch CO2 aus der Atmosphäre auf.
Lehren aus Desastern ziehen
Waldbesitzer und Förster haben Lehren aus den Desastern gezogen, der Waldumbau ist in vollem Gange. „Wir müssen unseren Wald schützen. Wir müssen ihn umbauen, damit er vielfältiger und widerstandsfähiger wird und den Klimawandel überlebt“, sagt Spathelf. Wo früher Monokulturen standen, mischen sich nun vielerorts bereits drei bis vier Baumarten, unter ihnen auch immer mehr Lärchen und die aus Nordamerika stammende Douglasien. Beide kommen mit veränderten klimatischen Bedingungen besser zurecht als Fichte und Kiefer. Alte und junge Bestände werden kombiniert, die Arten diversifiziert – Vielfalt macht den Wald stark. Dabei nutzen Förster die natürliche Verjüngung des Waldes und ergänzen sie durch Pflanzungen.
Nicola Uhde, Waldexpertin des BUND fordert, den Blick zu weiten, auf den Erhalt der bestehenden Wälder. Man dürfe in der Klimakrise den Blick nicht nur auf die Schäden in den Nadelforsten richten. „Wichtiger ist es, auf die vielen Laubmischwälder zu schauen, die wir noch haben, und diese bestmöglich zu schützen. Was können wir tun, damit unsere Laubmischwälder trotz Klimastress überleben?“
Sie hält nichts davon, den Wald auf seine Holzerträge oder seine Klimaschutzleistungen zu reduzieren und ihn nur durch Holzbrille oder CO2-Rechner zu betrachten. „Der Erhalt des Waldes und seiner Schutzfunktionen muss bei allen Entscheidungen vor seinen Nutzfunktionen stehen“, betont Uhde.
Ein Drittel Deutschlands ist bewaldet
Dabei gilt es, die unterschiedlichsten Akteure mit ins Boot zu holen. Rund ein Drittel Deutschlands ist bewaldet. 11,5 Prozent sind es in Schleswig-Holstein, in Rheinland-Pfalz hingegen 43 Prozent. Insgesamt befinden sich mit 48 Prozent hierzulande fast die Hälfte der Wälder in Privatbesitz. Auch hier zeigt sich eine große Spanne: In Hessen sind es nur 25 Prozent, in Nordrhein-Westfalen beachtliche 63 Prozent. Vielerorts handelt es sich um große Waldflächen, seit Jahrhunderten im Besitz von einstigen Adelsfamilien, wie im Sauerland oder in Bayern. Die andere Hälfte der deutschen Wälder befindet sich in Landesbesitz (29 Prozent), dem von Körperschaften wie Kirchen und Gemeinden (20 Prozent) und vom Bund (3 Prozent).
Nicht nur die Wälder in öffentlicher Hand, sondern auch Privatwälder der Großgrundbesitzer würden meist vorbildlich bewirtschaftet und umgebaut, sagt Spathelf. Doch in den vielen kleinteiligen Privatforsten geschieht selten etwas. Kleine Waldstücke, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, ohne dass je jemand einen Fuß in sie setzt „Es ist eine Herausforderung, kleinteilige Privatwälder umzubauen“, sagt der Experte. Deren Besitzer sind weit schwerer zu erreichen oder gar für den aktiven Waldumbau zu motivieren.
Weg von Monokulturen
Wichtig, sagt Spathelf, sei eine gute Durchmischung von Wäldern. Mischwälder sind nicht nur schöner anzusehen und ein Hort von Biodiversität. Sie wachsen oft auch besser als Reinbestände, weil sie die Ressourcen besser nutzen als nur eine Baumart, in unterschiedlichen Tiefen wurzeln und Wasser ziehen oder auch in unterschiedlichen Kronenhöhen nach Licht streben. Und falls ein Schädling sich über eine Baumart hermacht, ist nicht wie in Monokulturen gleich der ganze Bestand gefährdet. „Nur ein resilienter Wald kann eine Klimaschutzfunktion erfüllen“, so Spathelf. So werden nun mehr widerstandsfähigere Buchen und Eichen gepflanzt, der Anteil an Laubbäumen wächst.
Die jungen Pflanzen, die Förster derzeit in den deutschen Wäldern setzen oder die im Zuge der natürlichen Verjüngung wachsen, nehmen entsprechend ihrer Größe noch wenig CO2 auf. In zwei Jahrzehnten, so die Hoffnung, sind die nun noch jungen Wälder so weit, dass sie wieder ihre Senkenfunktion erfüllen könnten. „Das wird sich wahrscheinlich noch nicht in der nächsten Waldinventur niederschlagen, aber vielleicht in der übernächsten“, sagt Spathelf. Vorausgesetzt, die Erderwärmung setzt sich nicht ungebremst fort. Der Haken: Der Waldumbau kostet Zeit, Geld und Interesse. Bund und Länder können für Privatbesitzer Anreize durch Fördermittel und Informationen setzen, doch zum Waldumbau zwingen kann man letztlich niemanden. Jede und jeder entscheidet selbst, welche Bäume in ihren und seinen Wäldern Flächen wachsen.
Bundeswaldgesetz novellieren
Durch Anreize und Vorgaben könne jedoch viel beeinflusst werden, sagt Nicola Uhde: „Der politische Rahmen stellt die Weichen.“ Sie fordert die neue Bundesregierung auf, das veraltete Bundeswaldgesetz zu novellieren und darin eine ökologische Waldwende einzuleiten. Der gesellschaftliche Fokus müsse sich von der Holzerzeugung auf den Erhalt des Ökosystems Wald verschieben. Ihr Plädoyer: So wenig Eingriffe im Wald wie möglich, auch auf jenen Flächen, wo ganze Fichtenforste zusammengebrochen sind und die Stämme kreuz und quer liegen. Statt die Flächen zu räumen und sie künstlich wiederaufzuforsten, sollte hier der Natur Zeit gegeben werden, denn dann wächst ein neuer Wald ganz von selbst heran. Die toten Stämme bleiben liegen – und sind so zugleich ein Hindernis für Rehe, die junge Triebe lieben und die nachwachsenden Bäumchen ansonsten ungehindert durch ihren Fraß schädigen. So könnten langfristig Laubmischwälder mit heimischen Baumarten entstehen, die mit den Klimabedingungen besser klarkommen als die für viele dieser Standorte nicht geeignete Fichte.
Forderungen nach schnellen Maßnahmen
Es könne jedoch durchaus ein, dass der Waldumbau – einschließlich der Einsicht, immer mehr Flächen besser sich selbst zu überlassen – mit dem Klimawandel nicht Schritt halten kann, sagt Spathelf. Bei einer Erderwärmung von drei bis vier Grad drohe ein unumkehrbares Desaster. „Dann gibt es möglicherweise einen Kipppunkt und der Wald kann sich nicht mehr anpassen.“ Wo heute Bäume wachsen, versteppen dann die Flächen. Der deutsche Wald wäre dann nur noch ein Mythos aus vergangenen Zeiten.
Der Wald wird sich allein nicht retten können, betont auch BUND-Expertin Nicola Uhde. Am wichtigsten sei es, wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen und die CO2-Emissionen möglichst rasch zu reduzieren. „Nur, wenn es gelingt, die Erderhitzung zu begrenzen, gibt es eine Chance, unsere von der Klimakrise gestressten Wälder zu bewahren – als Ökosysteme, Wasserspeicher, Kohlenstoffsenke, aber auch als Quelle von Holz, Erholung und Inspiration.“