Interviews

«Wir hören eben nicht mit dem Denken beim Auto auf»

ADAC SE-Vorstand Jörg Helten. Foto: Theo Klein/ADAC

Der ADAC bietet seinen Mitgliedern mittlerweile ein breites Leasing- und Finanzierungangebot auch für elektrifizierte Fahrzeuge an. Darüber sprachen wir mit Jörg Helten von der ADAC SE.

Die Bandbreite des Angebots reicht dabei von Modellen wie dem Renault Megane E-Tech Electric bis hin zum Polestar 2. Wie sich das Geschäft entwickelt und welche Pläne man verfolgt, zum Full-Service-Anbieter bei der Mobilität zu werden, darüber sprachen wir mit Jörg Helten. Er verantwortet bei der ADAC SE als Vorstand unter anderem Finanzdienste und Finanzen.


«Die Elektromobilität wächst überdurchschnittlich»

electrified: Herr Helten, die Elektromobilität boomt dank der erhöhten Kaufprämie. Haben Sie bei der ADAC SE mit ihren Finanzierungs- und Leasingangeboten für elektrifizierte Fahrzeuge von diesem Boom profitiert?

Jörg Helten: Ja, da liegen wir im Trend. Neben dem noch jungen Angebot für Privatleasing von Elektrofahrzeugen bieten wir den ADAC Mitgliedern in Partnerschaft mit der Bank11 auch sehr attraktive Sonderkonditionen für die Finanzierung von Elektrofahrzeugen an. Diese gelten auch für gebrauchte E-Fahrzeuge. Die Elektromobilität wächst in beiden Geschäften überdurchschnittlich.

electrified: Plug-in-Hybride kamen im Vorjahr lauft Kraftfahrtbundes-Amt auf einen Anteil von 12,4 Prozent an den Neuzulassungen, reine E-Autos auf 13,6 Prozent. Welchen prozentualen Anteil machen elektrifizierte Modelle mittlerweile an ihrem Kreditgeschäft aus?

Helten: Momentan machen elektrifizierte Fahrzeuge in unserem Kreditgeschäft einen Anteil von rund 24 Prozent aus. Also fast ein Viertel unseres Finanzierungsvolumens entfällt auf reine E-Autos und Plug-in-Hybride. Und der Anteil steigt weiter.

electrified: Stellen Sie fest, dass das Geschäft mit Autofinanzierungen einen immer stärkeren Anteil am Gesamtumsatz ausmacht?

Helten: Der Anteil der Autofinanzierung an unserem Gesamtumsatz von rund einer Milliarde Euro ist in den letzten Jahren gestiegen, auch wenn das Geschäft mit den Autoversicherungen weitaus mehr Volumen hat. Wichtiger als der Vergleich untereinander ist uns, dass die Geschäfte im jeweiligen Wettbewerb bestehen können. Wachstum und Profit sind dabei aber nicht immer das Maß aller Dinge. Noch wichtiger ist uns, in jeder Sparte das beste Angebot für die ADAC Mitglieder zu machen.

«Deutliche Steigerung von 47 Prozent»

Jörg Helten in der ADAC-Zentrale in München. Foto: Foto: Theo Klein/ADAC

electrified: Wie hat sich das Kreditvolumen für Elektroautos 2021 im Vergleich zum Vorjahr entwickelt?

Helten: Wir haben die Elektro-Sonderkondition erst seit Mitte des Jahres 2020 im Angebot. Daher können wir keinen Jahresvergleich machen, sondern nur die jeweils zweiten Halbjahre gegenüberstellen: Im genehmigten Kreditvolumen ergibt sich vom zweiten Halbjahr 2020 auf das zweite Halbjahr 2021 eine deutliche Steigerung von 47 Prozent.

electrified: Was sagen sie potenziellen Kunden auf die Frage, weshalb sie ihr neues Auto beim ADAC und nicht beim Händler finanzieren sollen?

Helten: Wenn Interessenten eine Lösung suchen, die einfach, verbraucherfreundlich und transparent ist, sind sie bei uns gut aufgehoben. Und ein entscheidender Vorteil liegt darin, dass sie – im Gegensatz zur Finanzierung beim Händler – mit dem ADAC Autokredit als Barzahler auftreten können und somit einen größeren Hebel haben, Rabatte auszuhandeln.

electrified: Beim Privatleasing bieten Sie den neuen Renault Megane E-Tech Electric bei einer Laufzeit von drei Jahren mit einer Gesamtlaufleistung von 30.000 Kilometern für eine monatliche Leasingrate von 230 Euro zu einem Effektivzins von 0 Prozent an. Sind 0 Prozent Zins ein Lockangebot?

Helten: Im Gegenteil. Der Effektivzins von 0 Prozent für den Renault Megane E-Tech Electric ist eine strategische Entscheidung unseres Kooperationspartners Renault Deutschland und der Renault Financial Services. In Kombination mit unseren qualitativen ADAC Vorteilen – wie z.B. einem umfassenden Rückgabeschutz oder Sonderkündigungsmöglichkeiten – können wir damit ein hochwertiges Paket für die Mitglieder schnüren.

«Es ist richtig, Förderung am elektrischen Fahranteil auszurichten»

electrified: Herr Helten, welche Erfahrungen haben Sie bislang persönlich mit der E-Mobilität gemacht?

Helten: Ich bin Fahrer eines Plug-in-Hybrides. Für mich ist das eine gute Einstiegstechnologie, um sich der E-Mobilität anzunähern. Man lernt im Alltag, wie es sich mit der Reichweite, dem Laden und der Nutzung der Ladekarte verhält. Der Schritt vom Plug-in-Hybrid zum reinen E-Auto ist dann auch nicht mehr so weit.

electrified: Seit diesem Jahr werden PHEVs nur noch gefördert, wenn Sie eine elektrische Reichweite von 60 Kilometer haben, ab 2023 sollen es 80 Kilometer sein. Ist dies ein Schritt, um die Akzeptanz dieser Technologie zu steigern?

Helten: Es ist richtig, die Förderung stärker am elektrischen Fahranteil auszurichten – und eine höhere Reichweite ermöglicht einen höheren elektrischen Fahranteil. Aus ADAC Sicht sind jedoch vor allem drei Dinge bei der Förderung besonders relevant: Zuverlässigkeit, Planungssicherheit und Transparenz. Deshalb tritt der ADAC etwa dafür ein, die für 2022 zugesagte Förderung auch dann zu garantieren, wenn Verbraucher wegen Lieferschwierigkeiten das Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig im Jahresverlauf erhalten. Und auch über die zukünftige Gestaltung der Förderung sollte zeitnah Klarheit herrschen.

electrified: Es gibt Forderungen, die Kaufprämie an den elektrischen Fahranteil zu knüpfen. Wäre das ein Mittel, das Image des PHEV zu verbessern?

Helten: Die sukzessive Erhöhung der elektrischen Mindestreichweiten ist richtig. Nicht weniger wichtig ist allerdings die höhere Ladeleistung: Es muss zum Beispiel auch bei Plug-in-Hybriden möglich sein, sie während einer Kaffeepause schnell wieder aufzuladen, um damit den elektrischen Fahranteil zu erhöhen.

«Ladetechnologie muss der Entwicklung Schritt halten»

EnBW hat an der Preisschraube gedreht. Foto: EnBW

electrified: Die neue Mercedes C-Klasse bietet schon eine Ladeleistung von bis zu 55 kW…

Helten: …ich bin mir sich, dass hier andere Hersteller nachziehen werden. . Denn ja: Die Ladetechnologie muss der Entwicklung Schritt halten. Nur wer schnell laden kann, wird auch häufiger rein elektrisch unterwegs sein. Dies erfordert allerdings auch ein entsprechendes öffentliches Schnellladenetz – sonst bleibt die hohe Ladeleistung im Auto ungenutzt.

electrified: Müssen sich auch die Reichweiten von Plug-in-Hybriden über die ab 2023 geltenden 80 Kilometer hinaus vergrößern? Mercedes bietet vereinzelt bereits 100 Kilometer an.

Helten: Damit diese Technologie echte Umweltvorteile bringt, müssen sich auch die Reichweiten in diese Richtung weiterentwickeln. Nur so könnten Plug-in Hybride die täglichen Kurzstrecken komplett elektrisch abbilden und die Langstrecke weiter als Verbrenner bewerkstelligen – bis die Reichweiten-Thematik dank neuer Batterie-Generationen und einer dichteren Ladeinfrastruktur passé ist.

electrified: Erwarten Sie mit Blick auf die Novellierung der Prämie starke Einflüsse auf Ihr Geschäft, insbesondere mit Blick auf Plug-in-Hybride?

Helten: Die Plug-in-Hybride spielen bei uns in der Nachfrage eine unverändert starke Rolle. Wie gesagt: Ich glaube, dass Plug-in-Hybride für viele eine wichtige Einstiegstechnologie in die Elektromobilität darstellen.

«Werden bestimmte Technologien nicht benachteiligen»

electrified: Sie empfehlen Plug-in-Hybride perspektivisch Ihren Kundinnen und Kunden nach wie vor? Einen Schwenk Richtung der reinen E-Autos erwägen Sie nicht?

Helten: Wir werden bestimmte Technologien nicht benachteiligen, wir sprechen uns grundsätzlich für eine Technologieoffenheit aus. Dabei unterstützen wir jeden Schritt in Richtung nachhaltiger Antriebe. Wir werden aber nicht anfangen, die Verbraucher zu bevormunden.

electrified: Opel-Deutschlandchef Andreas Marx hat gerade gefordert, dass die Kaufprämie nicht vom Zulassungsdatum, sondern vom Datum des Kaufvertrages abhängig gemacht wird. Unterstützen Sie eine solche Forderung?

Helten: Ja, beim Abschluss des Kaufvertrages sollte es eine Zusage über die Förderung geben. Ausbezahlt werden könnte sie dann weiterhin bei der Zulassung.

electrified: Neben der Finanzierung bietet der ADAC auch spezielle Versicherungen für E-Autos an, die beispielsweise auch eine Absicherung des Akkus oder auch des Ladekabels beinhalten. Wird das vom Kunden stark angenommen?

Helten: Unser Versicherungsangebot wird deshalb gut angenommen, weil es alle wesentlichen Deckungskomponenten für Elektroautos aufweist. Auch die Versicherungswirtschaft stellt sich natürlich auf die Kundenbedürfnisse in diesem hochlaufenden Markt ein. Unsere ADAC Autoversicherung sichert für Elektro- oder Hybridfahrzeuge Akku, Ladekabel und Wallbox, aber auch kostspielige Themen wie die Lagerung und Entsorgung der E-Autos, in überdurchschnittlichem Umfang ab.

«150.000 Bestellungen der ADAC e-Charge Karte geben uns Recht»

electrified: Der ADAC bietet in Kooperation mit EnBW auch eine Ladekarte an, die vergünstigte Ladetarife ermöglicht. Braucht es ein solches Angebot angesichts einer Vielzahl von Anbietern überhaupt?

Helten: Allerdings. Gerade in diesem undurchsichtigen Markt mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Tarifen und Preismodellen haben wir eine sehr attraktive Ladekarte ohne monatliche Grundgebühr und mit transparenten Preisen geschaffen. Und mehr als 150.000 Bestellungen der ADAC e-Charge Karte geben uns Recht. Es ist ja gar nicht so einfach herauszufinden, zu welchem Tarif man laden kann, wenn man in Europa unterwegs ist und eine Ladestation anfahren will. Unser Angebot soll im Tarif-Dschungel dazu beitragen, dass unsere Mitglieder mit der höchstmöglichen Transparenz ihr E-Fahrzeug laden können: Keine Grundgebühr, einheitliche, klar ausgewiesene Tarife und transparente kWh-Abrechnung.

electrified: Welche Rolle spielen digitale Bezahlmodelle in ihrer Strategie wie beispielsweise In-Car-Payment fürs Laden oder Parken oder auch das Geschäft mit Kreditkarten?

Helten: Momentan spielen digitale Zahlungsmöglichkeiten noch eine untergeordnete Rolle, aber dieser Bereich wird stark wachsen. Das Zahlen als Stand-Alone-Funktion, wie wir es seit Jahrzehnten kennen, wird mehr und mehr verschwinden. Wir werden zukünftig deutlich mehr Connected Services im Fahrzeug sehen, sei es im Payment-Bereich bei Tanken, Laden und Parken, sei es im Bereich Remote Assistance und Predictive Maintenance oder aber auch im Bereich Infotainment.

electrified: Was planen Sie hier für die Zukunft? Beispielsweise die Integration der Ladefunktion in ihre Kreditkarte?

Helten: Wir suchen immer nach innovativen Lösungen. Mit ADAC Pay haben wir zum Beispiel ein digitales Bezahlsystem entwickelt. Wir haben es im März 2021 erfolgreich pilotiert und arbeiten an weiteren Funktionen. Hier sind künftig viele unterschiedliche Anwendungen möglich. ADAC Pay funktioniert mit allen handelsüblichen Kreditkarten sowie natürlich mit der ADAC Kreditkarte. Die App lässt sich auch über die bekannten Wallet-Lösungen Apple Pay oder Google Pay nutzen. Wir werden den Leistungsumfang der App in den nächsten Monaten kontinuierlich erweitern und den Nutzern weitere attraktive Vorteile anbieten.

electrified: Der ADAC ist bereits heute Anbieter von Versicherungen, Autokrediten oder Ladekarten. Ist ihre Strategie zu einem Full-Service-Anbieter bei der E-Mobilität zu werden?

Helten: Unbedingt! Im Gegensatz zum klassischen Fahrzeuggeschäft ist die E-Mobilität ein Systemgeschäft. Der ADAC möchte seinen Mitgliedern hierfür ein möglichst umfassendes Portfolio aus einer Hand anbieten. Dieses umfasst aktuell Fahrzeug-Angebote inkl. Leasing, Finanzierungen und Versicherungen, Informationen zu etwaigen Fördermitteln, ausgewählte Wallboxen sowie Ladekarten.

electrified: Überlegen Sie als ADAC hier auch als Zertifikate-Händler bei der THG-Quote einzusteigen?

Helten: Wir planen, ein Angebot gemeinsam mit einem Partner zu lancieren. Wie bei anderen Lösungen auch, geht es uns darum, die Kosten für Elektroautofahrer möglichst gering zu halten und die tägliche Nutzung möglichst praktikabel zu gestalten.

electrified: Die Ladetarife sind in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen, auch bei ihrem Kooperationspartner EnBW. Stellt das nicht einen Hemmschuh für den Markthochlauf der E-Mobilität dar?

Helten: Ich gehe davon aus, dass das der Markt regeln wird. Wichtig aus ADAC Sicht ist es vor allem auch, dass die Preise für das Ad-Hoc-Laden sinken. Nicht vergessen dürfen wir aber, dass jenseits der öffentlichen Ladestruktur das private Laden sowie das Laden beim Arbeitgeber für den Hochlauf der E-Mobilität ganz entscheidend sein wird. Auch hier muss es also Fortschritte geben.

«Der Ausbau der Infrastruktur bleibt eine Herausforderung»

electrified: Bundesweit gibt es derzeit mehr als 50.000 öffentliche Ladepunkte für E-Autos? Lobbyverbände finden diese Zahl zu gering. Muss da deutlich mehr getan werden bei der Infrastruktur?

Helten: Insgesamt ist es wichtig, dass es hier noch schneller voran geht, aber der Ausbau der Infrastruktur bleibt eine Herausforderung, insbesondere vor dem Ziel von über 15 Millionen elektrischer Fahrzeuge in 2030. Unser Beitrag ist, den Markt vom Nutzer – dem Autofahrer – her zu denken und diesem ein möglichst umfassendes Angebot zu machen, inklusive Wallbox-Angeboten für das Laden zuhause.

electrified: Welche Rolle können Sie als ADAC SE mit ihrem Angebot spielen, um die Verkehrswende zu beschleunigen?

Helten: Wie gesagt: Wir verfolgen auf allen Ebenen einen technologieoffenen Ansatz. Und wir hören eben nicht mit dem Denken beim Auto auf, sondern verstehen uns schon seit Jahren als Mobilitätsexperte und Mobilitätsclub. Auch unsere kommerziellen Angebote als ADAC SE beschränken wir nicht auf vier Räder. So haben wir zum Beispiel mit ADAC ‚e-Ride‘ auch für E-bikes und Elektroroller eine eigene Plattform, auf der wir mit verschiedenen Herstellern Sonderkonditionen für Kauf, Leasing und Abo bieten. Verlässliche Informationen und ganz praktische Angebote aus einer Hand – das ist beim ADAC unser Weg, zu einer nachhaltigen Mobilität beizutragen.

Das Interview mit Jörg Helten führte Frank Mertens

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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