Volkswagen macht ernst in Sachen Elektroauto: Nur wenige Wochen nach dem ID.3 stellen die Niedersachen den ID.4 vor.
Nachdem sich VW lange Zeit gelassen hat mit dem Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) und seinem ersten dezidierten Akku-Auto, geht es bei den Niedersachsen jetzt Schlag auf Schlag. Die Auslieferung des ID3 hat noch gar nicht so richtig begonnen, da stimmen sie die E-Fahrer bereits auf den ID4 ein. Ende September ist digitale Weltpremiere und noch vor Weihnachten sollen zu Preisen ab etwa 37.000 Euro die ersten Autos bei den Kunden sein.
Die Eile kommt nicht von ungefähr. Schließlich ist der ID.4 das deutlich wichtigere Auto. Wo der ID.3 in der schrumpfenden Kompaktklasse antritt, startet der ID4 im Boomsegment der handlichen Geländewagen und während es den einen nur in Europa geben wird, feiern die Niedersachsen den anderen als Weltauto und planen neben der Produktion in Zwickau bereits zwei Fabriken in China und eine in den USA.
Kein anderes Auto aus dem MEB, so die Planung, wird sich häufiger verkaufen und keines wird wichtiger im Kampf gegen Tesla & Co. Kein Wunder also, dass VW reichlich trommelt für den elektrischen Weltbürger in Spe und bereits vor der offiziellen Enthüllung zu einer ersten Ausfahrt im nur noch dezent getarnten Prototypen auf das sonst so streng geheime Testgelände in Ehra-Lessien bittet.
Deutlicher Mehrwert beim ID.4
Dort erweist sich der ID.4 als ein ID.3 mit deutlichem Mehrwert. Denn für rund 7000 Euro gibt es nicht nur eine Innenausstattung, die zwar im Grunde das gleiche Layout hat und wieder mit kleinem Display hinter dem Lenkrad, großem Touchscreen daneben und wenig Schaltern drumherum aufwartet, die aber VW endlich wieder gerecht wird und Schluss macht mit den peinlichen Plastikwelten. Vor allem gibt es deutlich mehr Platz: Im Radstand mit 2,77 Metern unverändert, in der Länge aber auf knapp 4,60 Meter gestreckt, sitzt man vorne und vor allem hinten noch bequemer und kann hinter der elektrischen Klappe fast 600 Liter laden.
Damit sticht der ID4 nicht nur seinen kleinen Bruder aus, sondern auch das nur außen deutlich größere Tesla Model Y als seinen wichtigsten Konkurrenten sowie den Tiguan Allspace aus der alten Welt. Doch hat der Konzern schon beweisen, dass es auf der gleichen Plattform auch noch besser geht: Denn der Skoda Enyaq bietet – wie immer, wenn die Tschechen ihre Finger im Spiel haben – noch mehr Platz für Kind und Kegel.
Komfortables Fahrwerk
Beim Fahren sind die Unterschiede dagegen deutlich geringer – auch der ID4 ist gutmütig und komfortabel abgestimmt und wehrt sich mit Extras wie der Progressivlenkung sowie dem adaptiven Fahrwerk tapfer gegen das Übergewicht der Akkus. Und genau wie der ID3 oder der Enyaq nimmt er sich beim Rekuperieren deutlich zurück und zwingt den Fuß deutlich öfter aufs Bremspedal als etwa ein Nissan Leaf oder ein Polestar2. „Wir wollen die Kunden aus der alten Welt nicht verschrecken, sondern ihnen ein möglichst vertrautes Fahrgefühl bieten,“ rechtfertigt Technikchef Frank Bekemeier diese Strategie.
Nur in zwei Punkten bricht der ID4 mit den Konventionen seiner Klasse: Für ein SUV dieses Formats ist er ungewöhnlich handlich und wendig, weil die Vorderräder ohne den raumgreifenden Verbrennungsmotor dazwischen deutlich stärker einschlagen können. Und für ein Elektroauto traut er sich dank deutlich mehr Bodenfreiheit mutig auch ins Gelände und meistert in Ehra-Lessien auch jene Schotterpisten, Gruben und Kuppen, auf denen die Niedersachsen ihre Rallye-Autos testen – dabei kommt die Version mit standesgemäßem Allradantrieb erst im nächsten Jahr.
Vier Leistungsstufen im Angebot
Los geht es statt erst einmal mit gleich vier Leistungsstufen für den an der Hinterachse montierten E-Motor von 150 PS im Basismodell bis zu 204 PS in der vorläufigen Top-Ausstattung. Damit schafft der ID4 den Sprint von 0 auf 100 km/h in 8,5 Sekunden und hat Auslauf bis 160 km/h, was zwar bei vielen E-Fahrern schon einem Geschwindigkeitsrausch führen, den Tesla-Typen aber nur ein müdes Lächeln abringen wird. Schließlich kratzt das Model Y knapp an Tempo 250.
Den Strom liefern zunächst zwei Akkus: Ein Paket mit 52 kWh, das im WLTP-Zyklus bis zu 350 Kilometer Reichweite ermöglichen soll, oder eines mit 77 kWh und einem Aktionsradius von rund 520 Kilometern. Nachgeladen mit bis zu 100 kW beim kleinen und 125 kW beim großen Akku, verspricht VW den Hub von 5 auf 80 Prozent im besten Fall in weniger als 45 Minuten.
Zwar drückt VW beim ID.4 mächtig auf die Tube. Doch müssen die meisten Kunden noch bis zum nächsten Jahr auf den elektrischen Eroberer warten. Vor allem im Rest der Welt. Doch ausgerechnet für den Hersteller des wichtigsten Konkurrenten ist die Geduldsprobe offenbar schon vorbei: Denn auf dem Rückweg von seiner Stippvisite in Berlin hat Tesla-Chef Elon Musk noch einen Zwischenstopp in Braunschweig eingelegt und sich dort an der Seite von Herbert Diess eine Runde im ID.3 zurückgelegt hat. (SP-X)
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