Sein Marktstart findet erst 2020 statt. Doch bereits jetzt finden die Erprobungsfahrten mit dem VW I.D. Neo statt, dem ersten E-Auto der Wolfsburger auf der neuen Plattform.
Frank Welsch probt den elektrischen Ernstfall. Und das kann man wörtlich nehmen. Denn der VW-Entwicklungschef ist gerade in Südafrika unterwegs und testet den I.D. Neo, das erste Auto einer neuen Modellfamilie, mit dem VW reichlich spät mit dem Strom schwimmen und endlich so richtig in der Ära der Akku-Autos ankommen will.
Schließlich ist der I.D. keine halbgare Umrüstung wie e-Up und e-Golf, sondern wurde erstmals komplett um die Batterie herum entwickelt. Deshalb fangen die Niedersachsen quasi bei Null an und haben ein entsprechend strammes Programm für Entwicklung und Erprobung. „Viel mehr als die Türgriffe, ein paar Scharniere und die 12-Volt-Batterie haben die I.D.-Modelle mit dem Rest der Palette nicht gemein“, sagt Frank Bekemeier, der die Entwicklung leitet.
Erste Testfahrt mit Prototypen
Normalerweise geschieht das im Geheimen. Doch weil die Konkurrenz schon eine, zum Teil sogar zwei Fahrzeuggenerationen voraus ist, gackern sie in Wolfsburg ausnahmsweise auch schon über ungelegte Eier und bitten sogar zur ersten Testfahrt mit ihren Prototypen. Die erinnern bei Format und Fahrleistungen nicht von ungefähr an einen guten alten Bekannten: den Golf.
„Denn wir wollen mit dem ersten I.D.-Modell die gleichen Kunden ansprechen“, sagt Welsch und skizziert deshalb vergleichbare Eckdaten: Die Länge wird irgendwo bei 4,25 Metern liegen, die Leistung des e-Motors an der Hinterachse bei etwa 204 PS, die Höchstgeschwindigkeit im besten Fall bei 180 km/h und der Preis bei unter 30.000 Euro – „so viel wie man für einen ähnlich gut ausgestatteten TDI bezahlen müsste“.
Reichweite von 550 Kilometer
Kurz danach sind die Parallelen zwischen der alten und der neuen Welt allerdings auch schon erschöpft. Im Schlechten, weil der I.D. Neo allenfalls mit dem größten seiner drei Akkupakete auf eine WLTP-Reichweite von 550 Kilometern kommt und so mit dem durstigsten Golf mithalten kann, während das Einstiegsmodell wohl nach 330 WLTP-Kilometern an die Steckdose muss. Und im Guten, weil der elektrische Erstling alle Vorzüge der neuen Architektur nutzt, deshalb zehn Zentimeter mehr Radstand hat und entsprechend mehr Platz bietet. Erst recht, weil die Niedersachsen konsequenterweise den Kardantunnel weggelassen haben, der sonst im Fond den Fußraum mindert.
Außerdem bekommt der Neo ein Cockpit, das seinem Namen gerecht wird. Statt des üblichen Layouts mit großem Bildschirm unter einer breiten Hutze gibt es nur noch ein kleines Display, das frei hinter dem Lenkrad steht und daneben einen um so größeren Touchscreen. Die Grafiken sind frisch und kunterbunt, statt Schaltern gibt es überall nur noch Sensor-Felder, an der Frontscheibe flimmert die nächste Generation von Head-Up-Display und mit der Sparachsteuerung ohne einstudierte Befehle und einem Feedback im neuen LED-Streifen unter der Frontscheibe soll der Dialog zwischen Mensch und Maschine eine neue Dimension erreichen.
Fahrt so unspektakulär wie im Golf
Das Fahren mit dem I.D. Neo ist dagegen so unspektakulär wie mit einem Golf. Einsteigen, anlassen, losfahren – selbst die neue Bedienung geht einem irgendwie auf Anhieb von der Hand. Dass man sich trotzdem ein wenig umstellen muss, liegt weniger am Set-Up von Lenkung und Fahrwerk, das ohnehin noch längst keinen finalen Stand hat.
Und auch nicht an der Ruhe an Bord, weil zumindest bei den Prototypen ständig der Wind an der Tarnfolie zupft und die Reifen viel zu laut abrollen. Sondern Schuld daran ist er deutlich kleinere Wendekreis. Weil im Motorraum mehr Platz ist, können die Räder weiter einschlagen und der ID Neo kratzt schneller die Kurve. Nicht einmal so viel Platz wie ein Up braucht er für eine 180-Grad-Wende. Das kann ja nicht schaden, wenn man einen derart radikalen Kurswechsel anführen soll.
Die Bedeutung des I.D. Neo für die Marke VW und den gesamten Konzern kann man kaum groß genug einschätzen. Nicht umsonst soll seine Plattform allein bis 2022 mehr als zwei Dutzend Modelle tragen und so den größten Beitrag dazu leisten, das bis 2025 jeder fünfte VW mit Batterie statt Benzintank verkauft wird. Sie sind zwar wie immer ein bisschen spät dran. Aber es wird auch in Wolfsburg so langsam ernst mit der elektrischen Revolution und Männer wie Welsch und Bekemeier sind gut beraten, diesen Ernstfall grünlich zu erproben: „Denn Fehler können wir uns bei diesem ambitionierten Plan keine erlauben.“ (SP-X)
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