Elektro

Sound of Silence für Elektroautos

Hier entstehen Töne für Elektroautos: das Soundlabor von Volvo. Foto: Volvo

Seit Sommer muss man Elektroautos auch hören können. In den Soundlaboren der Autobauer arbeiten Akustiker an den richtigen Geräuschen für die Stromer.

Zu ihnen gehört auch Fredrik Hagman. Er könnte auch in einem Musikstudio sein Geld verdienen. Er hat dicke Kopfhörer auf dem Kopf, starrt auf seinen Computermonitor und beobachtet zuckende Linien, deren Zacken sich auf und ab bewegen. So schaffen die Profis neue Töne, die kein Instrument der klassischen Art erzeugt. Hagman mischt hier keinen Soundtrack zusammen, der sich später dann in der Hitparade hocharbeitet.


Sein oberster Arbeitgeber ist auch kein Musikproduzent, sondern der Chef einer Autofabrik. Und die Klänge, die der Schwede mit flinken Händen auf vielen Reglern seines Pults heraustüftelt, sollen später im richtigen Leben Menschenleben retten.

Pflicht seit Sommer

Hagman erklärt: „Seit Sommer ist es Pflicht, dass neue Autos mit Elektromotor oder einem Plug-In-Hybrid-Antrieb Töne von sich geben müssen, die zum Beispiel Fußgängern oder Radfahrern als Warnung dienen. Die Regeln dafür sind in den verschiedenen Regionen zwar ähnlich, aber eben doch unterschiedlich.“ Im Göteborger Soundstudio von Volvo zeigt er, mit welchen Paragrafen er sich herumschlagen muss.

In Europa und China zum Beispiel muss das Geräusch in einem hörbaren Bereich von 40 bis 60 Dezibel liegen und nach dem Losfahren bis einschließlich Tempo 20 hörbar sein. In den USA muss sich das Auto bei laufendem Motor bereits im Stand melden und darf erst ab 30 km/h verstummen. Gemessen wird in zwei Metern Entfernung von einer gedachten Mittellinie des Fahrzeugs jeweils an den Flanken.

Hagmann dämpft die Erwartungen an allzu große Kreativität der Soundkulisse, die sich künftig über die Innenstädte oder die Riesen-Parkplätze der Einkaufszentren legt. „Natürlich könnten wir das Geräusch galoppierender Pferde imitieren, die Werke berühmter Komponisten dem Auto vorausschicken oder einen startenden Jet als Vorbild nehmen. Das hätte sicher viel Spaß gemacht, aber unser Auftrag war nun mal ein anderer.“ Die Tonmeister mussten also ein Geräusch schaffen, dass der Umwelt klar signalisiert, dass sich hier ein Fahrzeug nähert. Insofern musste es an einen klassischen Verbrenner erinnern, mit dem die hautnahe Begegnung nun mal gefährlich werden kann.

Schwer zu definierende Töne

Kein Wunder also, dass das Ergebnis, das jetzt erstmals zunächst im Stand an firmenfremde Ohren gelangen dufte, eher ernüchternd, wenn auch schwer erklärbar ist. Das Schnarren erinnert ein wenig an das Geräusch, dass zu hören ist, wenn bei einem Radiosuchlauf ein weit entfernter Sender erreicht wird, der sich mit einer Art Knarzen meldet. Es könnten aber auch die knatternden „Klänge“ eines Stücks Pappe sein, dass bei einem Fahrrad zwischen die Speichen gesteckt wird. Versuche haben laut Hagman gezeigt, dass dieser Volvo-Sound vom menschlichen Gehör gut aus der normalen Geräuschkulisse der Umgebung herausgefiltert werden kann.

Das änderte sich, als draußen vor dem Werksgebäude bei Göteborg ein mit diesem Klang ausgestatteter Volvo XC 60 auf regennasser Fahrbahn vorbei rollte. Das Platschen des vom Reifenprofil verdrängten Wassers übertönte das künstliche Motorgeräusch deutlich. „Ist doch gut so“, erklärt der Techniker. „Auch an diesem natürlichen Klang erkennt ein Fußgänger, dass sich ihn ein Fahrzeug nähert. Und darum geht es schließlich.“

Gepiepe im Rückwärtsgang

Völlig unterschiedlich dagegen sind die Töne, die der Volvo beim Einlegen des Rückwärtsgangs produziert. Sie ähneln dem Gepiepe, das Lastwagen oder Gabelstapler heute schon beim Rangieren von sich geben. „Wir haben unseren Sound aber einem Personenwagen angepasst, der nun mal viel feiner und sanfter klingen muss“, lächelt Hagman. Das Ergebnis überzeugt. Ein rückwärtsfahrender Volvo meldet sich durch helle Töne in kurzem Abstand. Sie muten ein wenig an wie ein Ausschnitt aus dem Erfolgsfilm „Das Boot“.

Wenn dort die Schiffe an der Wasseroberfläche ein U-Boot jagen, sendet ein Peilgerät Schallimpulse aus, die vom getauchten Bootskörper reflektiert werden. Dieses bedrohliche „Ping“ nutzt jetzt auch ein elektrisch angetriebener Volvo. Ebenso wie an der Front des Autos sorgt ein wasserfester Laufsprecher im Bereich der Stoßfänger für die Wiedergabe der Töne.

Als erster Volvo wird die rein elektrische Version des Kompakt-SUV XC40, die im nächsten Herbst erscheint, die künstlichen Töne nutzen. Es folgen dann die Stromer und Hybrid-Modelle, die neu auf den Markt kommen. Allerdings gibt es keine Vorschriften, wie die einzelnen Hersteller ihre E-Autos vertonen werden. Denkbar ist auch, dass Zubehörfirmen künftig spezielle Sounds entwickeln, die man sich dann in sein E-Auto laden kann, vergleichbar mit herunterladbaren Klingeltönen fürs Handy. Eine Gefahr, die Volvo-Mann Hagman nicht sieht: „Das wäre sicher zu kompliziert, weil dafür ja die Fahrzeugelektronik angezapft werden müsste. Und die ist heutzutage so sensibel, dass sich keine kleine Firma heranwagen wird.“ (SP-X)

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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