Dieses Auto ist ein Hingucker: der Mercedes EQ Silver Arrow. Er huldigt den legendären Silberpfeilen. Doch in Serie wird er nie gehen.
Wunsch oder Wirklichkeit? So genau weiß man das in der Wüste nie. Erst recht nicht hier am Stadtrand von Dubai, wo die Scheichs so reich sind, dass sie sich fast jeden Wunsch wahr machen können. Deshalb kann man sich auch hier und heute nicht sicher sein, ob der silberne Sportwagen nun real ist, der sich da auf mehr als fünf Metern mit seinem Alukleid in der Sonne aalt, oder ob er doch nur eine Fiktion ist, die vom Fiebertraum in der Wüstenhitze befeuert wird.
Bis man dem Wagen so nahe kommt, dass man ihn klar sehen, spüren und mit ein bisschen Geschick sogar einsteigen kann. Denn das ist keine Fata Morgana im Überschall, sondern das ist der Mercedes EQ Silver Arrow, der zwischen der Weltpremiere diesen Sommer auf dem Concours d’Elegance in Pebble Beach und dem bevorstehenden Schattendasein in der geheimen Garage der Mercedes-Designer einen kurzen Ausflug in die Wirklichkeit machen darf.
Was sind schon Bentleys und Bugattis
Hier beim Fotostop im Nirgendwo wirkt der Silberpfeil von übermorgen zwar wie ein Fremdkörper und erinnert ein bisschen an das Flugzeug aus dem Kleinen Prinzen, das in der Wüste notlanden musste, nur dass es eher ein Raumschiff ist als eine Propeller-Maschine. Doch ein paar Stunden später in der Stadt sieht die Sache schon ganz anders aus. Da gleitet der Silberpfeil noch einmal aus seinem Transporter, rollt hinaus auf die breiten Straßen, die nachts zu Boulevards der eiligen Eitelkeiten werden, und stiehlt all an den Lamborghinis und Ferraris, Bentley und Bugattis die Schau. Für die hat heute niemand einen Blick, sondern alle Köpfe drehen sich und alle Handys richten sich auf die Vision für einen Supersportwagen, die für ein paar Stunden schon heute Realität geworden ist.
Ein leises Surren
Dass der Wagen dabei nur leise surrt und nicht aufbrüllt wie die Boliden, die sich mit wilden Gasstößen zumindest ein wenig Aufmerksamkeit zurückholen möchten, das tut der Sache keinen Abbruch. Im Gegenteil wird der Mercedes so zum stillen Star und fasziniert nur umso mehr. Erst recht, wenn sich der in blaues Licht getauchte Einsitzer wie von Geisterhand in Bewegung setzt. Dabei sieht der Silver Arrow nicht nur absolut edel aus, er ist auch ungeheuer bequem.
Wo Lewis Hamilton sich in seinen Formel 1-Renner quetschen muss wie in einen Kompressionsstrumpf, fühlt man sich unter der halb offenen Kanzel, die auf Knopfdruck aufschwingt wie bei weiland in Top Gun eher wie in einer riesigen Wellnesswanne und wartet darauf, dass jemand das Wasser einlässt und den Strudel anschaltet –erst recht, wenn einen die riesigen Displays im Cockpit in blaues Licht tauchen und man umgeben ist von blankem Holz wie in einem luxuriösen Spa.
Aber Entspannung ist jetzt nicht. Stattdessen legen einem die Mechaniker die blauen Hosenträger-Gurte um, die im Mercedes-Stern vor dem Bauch einrasten, das digitale Cockpit und der Bildschirm im Lenkrad flammen auf und mit einem leisen Surren legt sich die Abdeckung wie ein Kragen aus Glas und Aliminium über die Schultern, so dass nur noch der Kopf heraus schaut. Dann gibt jemand das Startsignal, die Polizei sperrt die Straße und die Zukunft kommt in Fahrt. Und zwar verdammt schnell.
Zwei E-Motoren mit 750 PS
Schließlich drehen die nur halb verkleideten Räder vorn und hinten mit zwei E-Motoren, die zusammen 750 PS entwickeln. In der Theorie dürfte das für einen Sprint von 0 auf 100 in weniger als drei Sekunden reichen und die 432,7 km/h, mit denen der originale Stromlinien-Rennwagen W125 vor 80 Jahren seinen Weltrekord eingefahren hat, sollten locker drin sein.
In der Praxis allerdings will man das gar nicht wissen. Zu wertvoll ist das Einzelstück und zu fragil, als dass ich das Fahrpedal am Ende meines Liegesitzes mit mehr als dem kleinen Zeh streicheln würde. Außerdem fühlt sich hier schon Schritttempo an wie Lichtgeschwindigkeit. Erst recht, wenn einem Mercedes-Formel1-Teamchef Toto Wolf auf dem Panorama-Bildschirm hinter dem Lenkrad als virtueller Fahrlehrer schlaue Tipps für die Ideallinie gibt.
Lange allerdings dauert der Zauber nicht. Zwar sollen die Akkus im Wagenboden für über 400 Kilometer reichen. Doch die Geduld der Techniker ist nach kaum mehr als 400 Metern erschöpft. Zu groß ist die Sorge um das millionenschwere Einzelstück und zu groß sind die Begehrlichkeiten der Scheichs, die so gar nicht verstehen wollen, das ausgerechnet dieses Auto weder für Geld noch für gute Worte zu kaufen ist. Sobald die Nacht zu Ende geht, geht deshalb für den Silberpfeil auch der Ausflug in die Realität zu Ende und die Frage nach Wunsch oder Wirklichkeit ist wieder offen. Doch zumindest eines hat diese nächtliche Erscheinung bewiesen: Eine Fata Morgana funktioniert bisweilen auch im Mondschein. Zumindest im Morgenland. (SP-X)
Hinterlassen Sie einen Kommentar