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CityTrees: Elektroautos am Moosbaum laden

Unterschiedliche Moos-Sorten im Gewächshaus von Green City Solutions. Foto: Markus Altmann

Sie starteten als Bio-Tech-Luftfilter für verkehrsgeplagte Städte. In der neuesten Generation sind die moosbehängten „CityTrees“ des Start-ups „Green City Solutions“ intelligente Mess- und Datenstation.

Von Petra Krimphove


Im Gewächshaus blüht Peter Sänger förmlich auf, es ist sein Revier: Der studierte Gartenbauer, einer der Gründer von „Green City Solutions“, geht durch Reihen voller Moos, zeigt auf die „graue Zackenmütze“ und das „Schnabeldeckelmoos“ und schwärmt von ihren faszinierenden Eigenschaften: Moose ernähren sich weitgehend aus der Luft, sie nehmen dauerhaft Feinstaub auf und verstoffwechseln ihn. Dass ihre winzigen, dicht stehenden Blättchen gemeinsam eine riesige Oberfläche bilden, macht sie als Feinstaubfilter besonders effizient.

2014 hatten vier junge Gründer in Dresden darauf aufbauend die Idee, mithilfe von moosbekleideten Konstruktionen in feinstaubbelasteten Innenstädten für reinere Luft und besseres Klima zu sorgen. Sie nannten die eher Mooswänden als Bäumen ähnelnden Gerüste dennoch „CityTrees“. Seither hat sich einiges getan. 2016 zog das Start-up nach Berlin, dann nach Bestensee, tüftelte mit wissenschaftlicher Unterstützung und Fördermitteln weiter und produzierte Prototypen. Die brachten dem Unternehmen erste Umsätze und die Chance, ihr Produkt im öffentlichen Raum zu präsentieren und Neugier zu erwecken.

50 CityTrees in zehn Ländern

Peter Sänger erklärt die Eigenschaften des Mooses. Foto: Markus Altmann

Eine überschaubare Zahl von 50 CityTrees ist bisher in zehn Länder geliefert worden. Die Kunden stammen zu je einem Drittel aus Kommunen, aus Unternehmen und aus der Immobilienwirtschaft, die etwas für die Luft aber wohl auch für ihr grünes Image tun möchten

Im Januar 2019 übernahm die Thies Network GmbH die Mehrheit an dem Start-up, damit wurde eine Art reset-button für das Projekt gedrückt. 21 Vollzeitmitarbeiter hat das junge Unternehmen mittlerweile, nur zwei der Gründer, Peter Sänger und Zhengliang Wu, sind noch im Boot. Der eine ist Gartenbauexperte – der andere IT-Spezialist. Da passt es, dass sie ihr Produkt mittlerweile als „perfekte Kombination aus Pflanzen und Internet of Things Technologie“ bewerben.

Das ist auch dem neuen Miteigentümer zu verdanken. Die Thies Network GmbH brachte nicht nur notwendiges Kapital, sondern auch Know-How aus dem Gebiet der Messtechnik mit. Der neue CityTree ist weit komplexer als seine Vorgänger: „Ein neues Stück Infrastruktur“, so Peter Sänger, sei aus dem einstigen Luftreiniger geworden, eine Kombination aus Luftreiniger, Messstation für Klima- und Schadstoffdaten, Kühl-Hub und vor allem icloud basierter Datenzentrale. Und da er an das Stromnetz angeschlossen ist, eignet sich der CityTree 2020 potenziell auch als Ladestation für E-Mobilität in der Stadt. 39990 Euro kostet die neueste Version, die mit den integrierten Holzbänken wie ein attraktives City-Möbel aussieht.

Moos wird selbst angebaut

Moos kann Feinstaub filtern. Foto: Markus Altmann

Rund 50 Kilometer südlich von Berlin werden derzeit die ersten Exemplare der neuen Generation zusammengebaut. „Green City Solutions“ zog im Herbst 2018 aus dem Berliner Zentrum heraus in das kleine brandenburgische Bestensee. Hier entstand einst nach der Wiedervereinigung auf einem alten Kasernengelände für DDR-Grenztruppen ein Ausbildungszentrum für Handwerksberufe. Das schloss seine Pforten – und die Gründer fanden auf der Suche nach neuen Flächen alles vor, was sie zur Weiterentwicklung ihrer Idee brauchten: Gewächshäuser, in denen einst Gärtner geschult wurden, Hallen, in denen die CityTrees nun zusammengesetzt werden, Büroräume und Platz für Labore. Endlich kann das Unternehmen nun das Moos – den Kern seiner Produkte – selber anbauen.

Früher musste „Green City Solutions“ das grüne Material einkaufen. „Überall, bis nach Norwegen“, erinnert sich Sänger. Ob die gelieferten Moose aus nachhaltigem Anbau stammten, ließ sich kaum kontrollieren, doch das ist ihm wichtig.

Forschen an Zusammensetzung der Moose

Nun wird in Bestensee in Laborräumen und zwei geräumigen Gewächshäusern an den idealen Sorten und der perfekten Zusammensetzung der Moose geforscht. Wie reagieren verschiedene Moosarten auf Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen, wie verarbeiten sie Feinstaubduschen? Welche Mooskombination hält am längsten? Die im CityTree zusammengefügte Moosmischung muss tolerant sein, um den Härten des Asphaltalltags standzuhalten und permanent mit Feuchtigkeit versorgt werden, um nicht auszutrocknen. Bei den Analysen helfen auch Werkstudenten und Kooperationen mit externen Forschungseinrichtungen wie dem TROPOS in Leipzig und dem ILK in Dresden.

In einem der Gewächshäuser wächst das Moos für die CityTrees an großflächigen Matten. Sie hängen platzsparend an verschiebbaren Gerüsten, ähnlich wie Bücherregale in Bibliotheken. „Das haben wir selbst entwickelt“, erzählt Peter Sänger, wie so vieles auf dem Gelände. Drei bis sechs Monate benötigen die Moosmatten, bis ihr Bewuchs bereit für den Einsatz als Luftfilter ist.

Aus Fehlern gelernt

Mit Moos die Luft in den Städten sauberer machen, daran arbeitet Green City Solutions. Foto: Markus Altmann

Zu der Geschichte des CityTrees gehört, dass man aus Fehlern gelernt hat, da so manche Konstruktion und Idee sich in der Praxis nicht bewährte. Moose sind hart im Nehmen, sie wachsen in Wärme und Kälte und sind genügsam. Zuviel direkte Sonne gefällt ihnen jedoch nicht. Doch in der ersten Version war das Grün zu viel UV-Strahlung ausgesetzt. Es litt. „Moose ohne Verschattung, das ging nicht“, resümiert Peter Sänger. Also behängten die Gründer die Pflanzen mit einem engmaschigen Netz. Doch das erwies sich als nicht ausreichend zum Schutz. Zudem war das Aluminiumgerüst wenig nachhaltig, heizte sich auf und schädigte die Pflanzen.

Zwei alte Modelle stehen noch auf dem Hof in Bestensee. Deren Nachfolger, das Modell 2020, hat damit optisch nur noch wenig gemein: „In den letzten fünf Jahren ist enorm viel passiert“, sagt der Moosexperte. Nun schützen Holzlamellen statt Netze die Moose vor direkter Sonnenstrahlung, lassen sie aber sichtbar. Das ist wichtig für ein Produkt, das ja schließlich auf die Kraft der Natur setzt. Knapp vier Quadratmeter Moos, davon zwei auf jeder Seite, stecken in jedem Exemplar.

Sensoren steuern die Bewässerung

Im Inneren der Konstruktionen lassen Ventilatoren befeuchtete Luft zirkulieren und sorgen auch dafür, dass die mit Feinstaub belastete Umgebungsluft im Filter verteilt wird. Sensoren steuern die Bewässerung der Moose aus einem eingebauten Tank. Stattlich 95 Prozent weniger Strom verbraucht die neuste Generation. Die Moose werden automatisch mit aufbereitetem Wasser und Nährstoffen versorgt. Die CityTrees können nicht großflächig die Luftqualität oder das Klima einer Stadt verändern, ihr Wirkungsradius ist begrenzt. Eher wirken sie wie Klimainseln und eignen sich hintereinandergeschaltet besonders für extrem belastete Standorte.

Moosplatten hängen im Gewächshaus in Bestensee. Foto: Markus Altmann

Das Modell 2020 soll in die Serienproduktion gehen, nur dann macht es wirtschaftlich Sinn. „Das gleiche Modell kann in heißen südeuropäischen Städten und in Skandinavien stehen“, sagt Sänger. In Bestensee werden die Moose mit simulierten Umweltbedingungen für ihre künftigen Standorte getrimmt. So kann man das für Südeuropa gedachte Moosmaterial Hitzestress aussetzen, damit die Pflanzen lernen, toleranter zu werden. Eine intelligente Software in den CityTrees stimmt die gemessenen Umweltbedingungen dann vor Ort auf die notwendige Versorgung des Mooses ab. Fünf Jahre soll es dann seinen Dienst als Schadstofffilter erfüllen.

Doch stellen immer sauberere Antriebe nicht den Sinn des CityTrees in Frage? Keinesfalls, sagt Sänger. Bremsen- und Reifenabrieb verunreinige die Luft ebenso wie Abgase. „Es wird eh noch einige Zeit dauern, bis die Luft besser wird.“ Er setzt beim Marketing auch auf den kühlenden Effekt der Moos-Gerüste: Im Umkreis von bis zu fünf Metern senken diese durch die große Verdunstungsfläche der feingliedrigen Pflanzen die Temperatur um bis zu drei Grad. Für so manchen könnte sie in kommenden heißen Sommer also zum idealen Treffpunkt in der Stadt werden. „Sie riechen nach frischer Luft und feuchtem Wald. Das ist herrlich“, schwärmt Peter Sänger.

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