Mobilität

VW I.D. R Pikes Peak: Elektrischer Gipfelstürmer

Dass Volkswagen beim legendären Bergrennen Pikes Peak vorne mit dabei sein wird, war klar. Dass die Wolfsburger aber so souverän den Gipfel erklimmen, überrascht doch.

Aber Romain Dumas bewies im VW I.D. R Pikes Peak sein Ausnahmekönnen – und fuhr einen neuen Rekord heraus. Wie er das tat und über die Wolken zur Bestzeit fuhr, hat beeindruckt.


Faszination kommt bereits beim Start auf: Pffffffssssssss….. und weg. Zahlen sind das eine, die Realität das andere. Wer eine Beschleunigung von 2,25 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 erlebt hat – fast ohne Geräusche – wird es nicht mehr vergessen.

Und das, obwohl viele sagen, dass E-Mobilität emotionsarme Mobilität bedeutet. Falsch. Es werden andere Emotionen geweckt, Gänsehaut gibt es gerade am Pikes Peak. Und das lag nicht an den kalten Temperaturen vor Ort. So geschehen beim Training am Freitag vor dem großen Rennen am höchstbefahrbaren Berg in den USA in Colorado, 30 Minuten von Colorado Springs entfernt.

Perfektioniert bis ins Detail

Dass der VW I.D. R Pikes Peak zu den schnellsten Fahrzeugen der so genannten „Unlimited“-Klasse gehören wird, war klar. Und dieses Schauspiel bewies das eindrucksvoll. Mit einem feinen Zischen verabschiedete sich die graue 5,20-Meter-Flunder im Tarnkleid des Teils ebenso grauen Bergmassivs. Viele anwesende Fotografen gingen beim Versuch, den I.D. R einzufangen, leer aus.

Bislang hatte alles gepasst. Bei den technischen Vorbereitungen in den letzten zehn Monaten, beim Training in Frankreich und auch hier, in den USA. Dass der 680 PS starke I.D. R Pikes Peak bis in die letzte Datei seines Nervenzentrums perfektioniert war, war ebenso klar. Oben am Berg, auf 2800 Meter Starthöhe, stand er über Nacht in einem auf rund 20 Grad Celsius beheizten Zelt. Draußen waren es etwas mehr als null Grad, zu kalt für den empfindlichen Wagen. Denn bei einem E-Renner müssen nicht nur die Reifen auf Temperatur gebracht werden, auch der Akku und das Gesamtfahrzeug fühlen sich bei rund 20 Grad am wohlsten. Nichts wurde also dem Zufall überlassen, was angesichts des Betreuungstrosses von geschätzt „einem Zentner“ Menschen kaum verwundert.

VW kam mit Hightech-LKW inklusive eigener Ladestation und viel Manpower. Die Konkurrenz reiste übrigens mit schrabbeligem Camper und Hänger an, in dem das gesamte Team und der Rennwagen Platz fand. Wie viel das Projekt für VW kostete, mochte niemand sagen. Nur so viel war herauszukitzeln: „Weniger als ein LeMans-Auftritt.“

Dass der I. D. R ganz vorne mit dabei sein wird, war von Anfang an klar – sonst hätte sich VW nicht auf das Spiel eingelassen der Welt zu zeigen, was E-Mobilität alles kann. Gerade in den USA ein kluger Zug. Nur leider nicht unbedingt zielführend. Denn in den USA stößt das Rennen auf weniger Interesse als im Ausland. Und selbst in Colorado Springs wissen viele Einheimische nichts von dem Spektakel am Berg, das 2018 zum 96. Mal seit 1916 ausgetragen wurde. So verteilten sich am Renntag über den Berg rund 21.000 Besucher an der Strecke. Reguliert und eingezäunt von offiziellen Stellen, was dem ursprünglichen Charme verblassen lässt, wie langjährige Besucher mitteilten.

Nur der Rekord zählt

Spätestens nach dem ersten Zeittraining auf einem Teilabschnitt des Pikes Peak in derselben Woche war klar: VW fährt nicht nur vorne mit. Es geht um den Rekord, den der gebürtige Neuseeländer Rhys Millen im Jahr 2016 auf seinem PP100 Prototyp gefahren hat. Mit mehr als 1000 PS und über 2.000 Newtonmeter sorgte der offene Elektro-Rennwagen im Jahr 2016 für Furore. Obwohl er lange nicht an die Fabel-Rekordzeit von Sebastian Loeb heran kam. Der schaffte es 2013 mit seinem 875 PS starken Peugeot mit V6-Benziner auf 8:13. Ryhs Millen setzte die E-Marke bei 8:57. Immer noch phänomenal, da unter neun Minuten. Diesen Wert wollte Volkswagen Motorsport unterbieten – so die Idee.

Romain Dumas, Volkswagen-Konzern-Kind, war der Auserwählte fürs kleine Volant. Gute Voraussetzungen, hatte der 60 Kilogramm leichte Franzose doch bereits drei Mal am Pikes Peak gewinnen können und kennt die Strecke mit ihren 156 Kurven und Kehren recht gut. Denn ein Training mit dem Rennfahrzeug auf den gesamten 19,99 Kilometer vom Start in 2.800 Meter Höhe zum Gipfel auf etwas mehr als 4.300 Metern gibt es nicht. Rennerfahrung bringt also die entscheidenden Vorteile.

Offensichtlich auch mehr als schiere PS-Power. Denn im Vergleich zu Millens Prototyp ist der VW I.D R Pikes Peak mit 500 kW Leistung und 650 Newtonmeter Drehmoment geradezu schwachbrüstig unterwegs. Aber dafür stimmt beim VW die Aerodynamik bis ins Detail, die in der Höhe noch wichtiger ist als auf Meeresspiegel. Und sind die technischen Feinheiten rund um die Batterie ausgeklügelter als bei jedem anderen Elektro-Rennwagen – VW eben. Das leichte Gesamtgewicht von etwas mehr als 1.000 Kilogramm ergänzt das Gesamtpaket, um Fabelzeiten neu zu schreiben.

Neuer Rekord – war ja klar

Zwei Tage später auf Starthöhe in 2.800 Metern. Der I.D. R hat sich gegen 9:30h in der Früh gesammelt und führt das Starterfeld der Vierräder an, da er die beste Trainingszeit einfahren konnte. Die Rekordjagd des ältesten Bergrennens und zweitältesten Rennens der USA kann beginnen. Dumas ist sichtlich entspannt. Wieso nur?

Die Antwort wissen alle 7:57 Minuten später. Dumas unterbot auf den 20 Kilometern, die im Mittelabschnitt sogar teils feucht und wolkenverhangen waren, den alten E-Rekord um eine Minute. Das sind auf dieser Distanz nicht nur Welten, das sind Universen. Aber der Franzose unterbot damit auch den Gesamtrekord seines Landsmanns Sebastian Loeb um 15 Sekunden. Das sind dann die Welten im Motorsport.

Der Jubel fiel verhaltener aus, als es im Showland USA wahrscheinlich bei solch einem Erfolg üblich ist. VW kommt eben aus Deutschland und da drückt man überschwängliche Riesenfreude bereits damit aus, sich nach dem Gewinn ein blaues Team-T-Shirt mit dem Aufdruck: „New Electric Record: I.D. R PIKES PEAK 2018“ überzustreifen und gesittet einen Schluck Sekt aus dem Glas zu nippen. So richtig überrascht scheint kaum einer der Beteiligten zu sein. Wenngleich das Alternativ-Shirt mit „New Alltime Record…“ nicht aus der Schublade gezogen werden konnte. Hinter vorgehaltener Hand hört man, dass VW in der Woche vorm Rennen selbst erst dran glaubte, dass der Gesamtrekord zu knacken sein könnte. Der I.D. R performte am Berg besser als erwartet. Die Simulationen aus den vergangenen Wochen halfen zwar, die Grundarbeit zu setzen. Was der Wagen aber am Berg zu leisten vermag, fühlte man erst am Berg selbst.

Wie immer bedeutet nach dem Rennen auch vor dem Rennen. Ob Volkswagen Motorsport jedoch beim Pikes Peak am Ball bleibt, darf bezweifelt werden. Wie spannend ist es, wenn man den eigenen Rekord bricht? Doch ein Anwärter für weitere Rekordfahrten hat sich nur Sekunden nach der Zielflaggen-Durchfahrt gefunden. Sebastian Loeb twitterte: „Looks like Sébs time of 8:13.878 has been broken on Pikes Peak International Hill Climb, by an electric powered car with 7:57.148, so congratulations Romain Dumas and now let’s see what @peugeotsport can think of for 2019. ;-)“. Wir bleiben dran und sind gespannt, ob und was Peugeot 2019 entgegenzusetzen hat. Etwas mehr Entwicklungszeit wie die von VW genutzte wäre vorhanden.

Über den Autor

Michael Blumenstein

KFZ-Mechaniker, Automobilkaufmann, Redakteur, Pressesprecher und wieder Redakteur. Immer mit viel Motorliebe. Auf zwei Rädern unterwegs seitdem er laufen kann. 50 Länder be- und durchreist, die meisten mit Verbrenner unterm Hintern. Dem E-Hype kann er nicht immer folgen, ist aber bereits Tausende E-Kilometer gefahren und genießt dabei stets die Ruhe und Entschleunigung. Und bekommt bei jedem Strom-Tankstopp zu viel schlechten Kaffee ab.

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