Wer über Mobilität redet, der kommt am Sharing nicht vorbei. Wie das Angebot ausschaut, hat sich electrified bei einer Fahrt in einem Smart in Paris angeschaut.
Von Susanne Roeder
„Wir stellen nagelneue Autos an den Straßenrand von Metropolen und laden wildfremde Leute ein, unsere Autos zu fahren und Spaß zu haben. Das ist ganz schön ungewöhnlich“, kommentiert Simon Broesamle, Chief Business Development Officer Share Now in Paris, schmunzelnd die bisher zehn Jahre Erfahrung mit Carsharing bei Daimler.
Angefangen hatte das stationsunabhängige Mobilitätskonzept mit 200 Smart Winzlingen in Ulm und um Ulm herum. Aus dem ursprünglichen Feldversuch ist mit Share Now, dem Zusammenschluss der Mobilitätsdienstleistungen der BMW Group (DriveNow) und der Daimler AG (car2go), zehn Jahre später das größte Carsharing Unternehmen der Welt entstanden. In Paris, der vierten Metropole, in der Share Now seit Januar dieses Jahres mit 400 Smarts EQ fortwo rein elektrisch unterwegs ist, präsentierte der Automobilhersteller jetzt seine ergänzenden Services und wagte Ausblicke in die nächsten zehn Jahre.
Mit dem TGV nach Paris
Die Strecke Stuttgart-Paris endet mit dem TGV pünktlich nach drei Stunden und neun Minuten und damit als Mobilitätsangebot unschlagbar schnell im Gare de l’Est. Dort angekommen orten Kollege Jan und ich das Fahrzeug, das wir uns teilen werden. Ein Blick auf das Smartphone genügt und wir sehen, dass eine Option nur 340 Meter entfernt vom Bahnhof steht. An einer kleinen Parkanlage am Kai erwartet uns ein fabrikneuer metallicblauer Smart Brabus, Tachostand 37 km.
Im von Daimler programmierten Smartphone ist mein Kollege der Besitzer, ich eine Freundin, die das Fahrzeug gerne von ihm ausleihen möchte – mit meiner App auf dem Smartphone bitte ich um Fahrerlaubnis, er erteilt sie mir, ich bestätige, buche meine gewünschte Fahrzeit mit zwei Stunden, entriegele das Fahrzeug und kann losfahren – mitten durch das Gewühle der Stadt mit 2,2 Millionen Einwohnern und rund 12,5 Millionen in der Metropolregion. Das gesamte Procedere hat tatsächlich nur wenige Sekunden gedauert, die App ist selbsterklärend. Hier merken wir eindrucksvoll, dass zehn Jahre beharrliches Testen und Weiterentwickeln mit entsprechend im Unternehmen angesammeltem Wissen signifikante Fortschritte vorweisen können.
„Ready to share“‘ heißt der Service, der beim privaten Carsharing unter Freunden, Nachbarn oder Kollegen die Fahrzeugübergabe tatsächlich einfach, sicher und unkompliziert macht. Es war vor zwei Jahren eine Weiterentwicklung durch die Smart Truppe, damals noch via Connectivity Box hinter der Windschutzscheibe. Der Autoschlüssel liegt im Auto. Die dafür notwendige Software, so erfahren wir von den Experten, ist jetzt tief im Gesamtsystem des Autos verbaut, gelte als nicht zu hacken. Ab dem nächsten Jahr stehen die so ausgerüsteten Smarts zur Verfügung. Nachrüsten bei älteren Smarts ist technologisch generell möglich, sei aber so aufwendig und teuer, dass es sich kaum lohne.
Sharing als Selbstverständlichkeit
Broesamle und sein Kollege Jakob Luickhardt, Leiter Portfoliostrategie und Hardware Smart Services, sind sich sicher: Diese Closed Community werde sich relativ zügig öffnen. Der französische Mobilitätsexperte Stéphane Schultz, der mit den beiden Strategen in einer Podiumsdiskussion die wesentlichen Veränderungen und Entwicklungen der Mobilität erörterte, betonte, die Fahrzeughalter seien fast gezwungen, sich um Einnahmegebühren für ihre Autos zu kümmern. Das betreffe insbesondere Metropolen wie Paris, wo der Unterhalt von Fahrzeugen unaufhörlich steigt und allein schon die Parkgebühren horrend sind, es sei denn man ist elektrisch unterwegs und kann gebührenfrei parken.
„Sharing könnte bald eine Selbstverständlichkeit werden, analog dem sensationellen Erfolg von Airbnb“, meint Schultz. Broesamle und Luickhardt stimmen zu, das private Carsharing funktioniere sehr gut. Doch auch die Autos im offenen Leihverfahren Share Now seien durchschnittlich in erstaunlich gutem Zustand, so dass ein Tipping Point zu Sharing als Selbstverständlichkeit realistisch sei, ohne dass sich hierfür ein genaues Datum prognostizieren lasse.
Auf dem Weg zur Geburtstagsfeier ‚Zehn Jahre Sharing mit Smart‘, passenderweise in smarter ‚Coworking & Coffee‘ Atmosphäre in der Rue du Chemin Vert, sind auch außer uns viele andere Smarts unterwegs – als Taxi mit der Aufschrift ‚Ride Now‘,als ‚Share Now‘ elektrisch oder in Privatbesitz und als private Verbrenner. Paris mit seinen gewaltigen Parkplatznöten ist seit jeher der prädestinierte Einsatzort für den Winzling, der auch in der dritten Generation nicht länger ist als 2,69 Meter und einen unschlagbaren Wendekreis von 6,95 Metern hat. Nach Stuttgart, Amsterdam und Madrid hat Daimler mit Paris das rein elektrische Sharing-Quartett komplett gemacht.
Wachsen mit Share Now
Zwischen Quiches, Kaffee, Geburtstagskuchen und angeregten Diskussionen gibt es jede Menge Zahlen und Fachwissen zu verdauen. Binnen zehn Jahren ist durch die Fusion von DriveNow und car2go die Fahrzeugflotte von 200 auf das Hundertfache angestiegen. „Zehn Jahre sind in der Mobilität eine wirklich lange Zeit“, sagt Broesamle und verweist darauf, wie viele Unternehmen in diesem Bereich für nur einige Monate oder wenige Jahre bestehen. BMW und Daimler, der Pionier der Sharing Economy, wachsen dagegen kontinuierlich – mit der gemeinsamen Marke Share Now.
Das Portfolio fürs sogenannte free-floating Carsharing, die Form der Shared Mobility, bei der das Fahrzeug nicht wieder an den Ursprungsort zurückgefahren wird, sondern auf jedem freien Parkplatz innerhalb eines definierten Nutzungsgebietes abgestellt werden kann, umfasst neben Smart Fahrzeugen solche von Mercedes-Benz, BMW und die Mini Familie. Unterdessen zählt Share Now weltweit über vier Millionen Kunden, mehr als drei Millionen davon allein in Europa. Den Mitgliedern, wie Broesamle und Luickhardt die Kunden ihrer Mobilitätsservices lieber nennen, weil es eine Gemeinschaft des Teilens sei, stehen derzeit circa 20.000 Fahrzeuge der genannten Marken zur Verfügung, darunter 3.200 elektrische – auch da ist Share Now Benchmark.
Ergänzung im Mobilitätsmix
In Konkurrenz zum öffentlichen Verkehrssystem sehen die Experten die Angebote von BMW und Daimler nicht. Im Gegenteil, das free floating Modell sei eine gute Ergänzung im Mobilitätsmix. Zudem habe man begonnen, die anderen Verkehrsträger, vom Bus über die Bahn bis zum Fahrrad, in die Share Now App zu integrieren. Das Angebot von Share Now steht den Mitgliedern mittlerweile an 31 Standorten in 14 Ländern in Europa und Nordamerika zur Verfügung und werde täglich für mehr als 100.000 Fahrten genutzt, mehr als 12.000 davon bereits vollelektrisch. Mit Fahrtzeiten zwischen 20 und 30 Minuten von A nach B passe Share Now gut rein ins mittlere Preissegment.
Broesamle betont, es sei erwiesen, dass Car Sharing den privaten Fahrzeugbesitz abnehmen lasse. „Ich zum Beispiel lebe in Berlin, wo es töricht wäre, ein Auto zu besitzen“, sagt er und ergänzt, er sage dies als jemand, der zuvor viele Jahre für BMW gearbeitet hat.
Es gebe in Berlin derart viele Sharing Möglichkeiten und zudem sei der öffentliche Nahverkehr sehr gut. Einer unabhängige Studie zufolge, die Share Now in Auftrag gegeben hatte, kauften 40 Prozent der Sharing Mitglieder entweder kein neues Auto, wenn sie ihr altes verkauften, oder aber die Mitglieder, insbesondere junge, hatten noch nie ein eigenes Auto und würden auch zukünftig keines kaufen. Das Ergebnis sind weniger Autos in den Straßen. Der französische Mobilitätsexperte Schultz wiederum bezieht sich auf Studien, wonach ein free floating Sharing Auto acht Autos in privatem Besitz ersetze. Dieser Service trage dazu bei, dass sich der Fahrzeugbestand signifikant reduziere, somit Platz frei werde, um die Städte lebenswerter zu machen.
„Paris hat uns mit offenen Armen empfangen“
Paris als vierte rein elektrische Stadt lag auf der Hand – in den ersten acht Monaten haben Mitglieder bereits 1,2 Millionen Kilometer rein elektrisch zurückgelegt. Die Stadt habe Share Now freudig willkommen geheißen, mit der voll elektrischen Flotte den CO2 Ausstoß der vom Verkehrskollaps bedrohten Metropole zu reduzieren. Der Verkehr ist so dicht, der Unterhalt eines eigenen Fahrzeugs derart teuer, dass laut Schultz nur noch 36 Prozent der Pariser Bürger ein Auto besitzen, wovon nur zehn Prozent davon ihr Fahrzeug täglich benützen, zumal Paris ein sehr gutes öffentliches Verkehrssystem habe.
Für die Auswahl von Paris als Share Now Hub spreche aber auch, dass die Stadt sehr dicht bewohnt sei, wodurch ein hohes Potenzial zukünftiger Share Now Nutzer vorhanden sei und mit mehr als 3.000 Ladestationen eine gute Ladeinfrastruktur vorgehalten werde. „Davon nutzen wir mehr als tausend Stationen.“ Aber auch unsere Mitglieder laden die Autos. Wenn Sie den Smart anschließen, erhalten sie von uns 2 Euro gutgeschrieben.“ Das Laden funktioniere deshalb sehr gut. Broesamle glaubt an das elektrische Car Sharing in den Städten. Allein in Paris, so der gebürtige Schwabe, stünden elektrischen Fahrzeugen 130.000 Parkplätze für kostenfreies Parken zur Verfügung.
Paris, eine nachhaltige Stadt
Insgesamt sei Paris sehr auf Nachhaltigkeit bedacht. Wenn die Stadt an der Seine als Gastgeber für die Olympiade 2024 fungiere, wolle sie weitgehend CO2 neutrale olympische Spiele ausrichten können.
In vielen Städten sei Share Now profitabel, hören wir im Coworking Büro und Bistro im Pariser Osten. Der Grundsatz des Fahrzeugteilens basiere auf Vertrauen, sei deshalb ein Lernprozess, weiß smart Services Experte Luickhardt.
So schnell wie der französische TGV, der mit 300 km/h durch Frankreich brauste, ist die Ausbreitung der Shared Dienste von Daimler und BMW bildlich gesprochen zwar nicht. Auf gutem Weg, ihre Gemeinde um Tausende neue Fans zu erweitern, sie mit sicheren und kinderleicht zu handhabenden Apps für sich zu gewinnen, sind die Automobilhersteller allemal. Auf der IAA in wenigen Tagen wird nicht nur der neue Smart vorgestellt, Share Now wird zudem über weitere Dienste und Neuigkeiten seiner Angebotspalette berichten.
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