Mobilität

«Lasst uns gemeinsam die Zukunft neu denken»

Wie bewegen wir uns in Zukunft? Dieser Frage widmen sich die Designer von NVGTR. Foto: NVGTR

Wie schaut die Mobilität im Jahr 2050 aus? Fahren wir dann alle nur noch autonom? Und vor allem: Wie nachhaltig sind wir dann unterwegs? Es sind Fragen wie diese, mit denen sich die Designer von NVGTR aus München beschäftigen.

„Es ist alles im Wandel und es wird auch zukünftig alles im Wandel sein.“ Genau das sei es, was für einen „Gestalter, einen Formgeber enorm inspirierend“ ist, sagt Dominik Meier. Zusammen mit Christian Jurke und Dirk Licht gehört der Schweizer zu den Gründern des Design-Studios NVGTR in München.


Das Trio hat sich nicht weniger zum Ziel gesetzt, als Visionen nutzbar zu machen: Das soll im Idealfall möglichst im Einklang mit der Umwelt und der Natur geschehen. „Wir mögen große Klammern“, gesteht Meier ein. So habe man beispielsweise für Siemens Mobility in die Jahre 2030 und 2050 geschaut und sei der Frage nachgegangen, wie der Verkehr der Zukunft auf der Schiene unter Berücksichtigung der Aspekte autonomes Fahren, Circular Econnomy und Internet of Things (IoT) ausschaut, wie Jurke erzählt.

Dabei entwarfen die Designer von NVGTR unter dem Oberbegriff „Mobility becomes Space von demand“ Zugabteile, die die Größe von Räumen haben und in denen man wohnen, arbeiten und leben kann und mit denen man über Nacht zum nächsten Termin reist. „Man kann die Architektur der nicht-dynamischen mit der der dynamischen Welt verbinden und hier zu einem neuen Verständnis von Ressourcenverbrauch kommen“, sagt Meier.

Space on Demand

Mit diesem „Space on demand“ habe man für Siemens einen Schlüsselbegriff definiert, der als Grundlage für das Portfolio der Zukunft dient. Man habe Siemens aufgezeigt, „wie Produkte ausschauen müssen, wenn sich Mobilität in Räumen abspielt, die sich bewegen und wie diese bespielt werden müssen“, berichtet Jurke. Da sich die Mobilitätsbedürfnisse wandeln, müssten auch die Zwischenzeiten beim Reisen neu definiert werden, fügt Meier hinzu: „Es geht nicht mehr nur darum, aus dem Fenster zu schauen, eine Zeitung zu lesen oder Mails zu checken. Es geht darum, diese Zeit kreativer zu gestalten.“ Bei NVGTR verfolge man deshalb auch den Ansatz, dass „Architektur zur Mobilität und Mobilität zur Architektur wird“, so Meier. Bei all dem müsse berücksichtigt werden, dass es unterschiedliche Bedürfnisse zu unterschiedlichen Zeiten gäbe. Deshalb müsse man „die richtigen Ressourcen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen“, fügt er hinzu.

Gast eines rollenden Hotels

Doch das, was die Designer von NVGTR angedacht haben, ist nicht nur etwas für die ferne Zukunft. Jurke verweist auf die zunehmende Attraktivität des Nachtzugsystems beispielsweise bei der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) und den Plänen der EU für Nachtzuglinie in Europa. „Dieser Space on demand wird immer wichtiger“, ist Jurke überzeugt. Der Kunde sei nicht mehr nur Fahrgast, sondern er ist Gast eines rollenden Hotels. Dafür müsse der Betreiber dann aber auch ein „Angebot auf Hotelniveau schaffen, um so die Nutzer zu begeistern“. Natürlich müsse diese Nutzung so effizient und Ressourcenschonend wie möglich gestaltet werden.

Bei all dem, was die Designer von NVGTR machen, geht es primär aber nicht darum, dass etwas schnell gebaut und realisiert wird. Vielmehr gehe es um Visionsentwicklung, wie Meier sagt. Man stelle „Hypothesen und Provokationen“ auf und mache sich Gedanken darüber, wie etwas in Zukunft ausschauen könnte. „Lasst uns gemeinsam die Zukunft neu denken und neue Perspektiven auftun“, so Meier. Im Idealfall sollen die daraus entstandenen Innovationen natürlich auch „auf dem Markt umgesetzt werden und zu einem positiven Impact führen.“.

Auf der Schiene oder in der Luft: Gütertransport der Zulunft. Foto: NVGTR

Ein Beispiel für ein umgesetztes Produkt sei das mit der Grammer AG umgesetzte Sitzsystem aus energiefreundlichem Leichtbau und Monomaterialien. „Es kam ein super simples Material und ein simpler Produktionsprozess zum Einsatz, doch wir können damit einen voll funktionsfähigen Sitz erzeugen, der am Ende seines Lebens receycelt werden kann.“ Während ein herkömmlicher Sitz eines Regionalzuges aus 20 Materialien und 30 Teilen besteht, sind es beim Sitz von Grammer nur drei Materialien beziehungsweise fünf Teile, berichtet Meier und verweist auf die dadurch entstehenden CO2-Einsparungen. Bei jeder Entwicklung arbeitet das Design-Studio Ökobilanzierern zusammen, „die unsere Produkte fast in Echtzeit bewerten, damit wir den bestmöglichen Impact erzielen“. Mit Blick auf den entwickelten Sitz für die Grammer AG denke man bereits weiter, will zu komplett kompostierbaren Sitzbezügen und damit zu einer Kreislaufwirtschaft kommen. „Im nächsten Schritt wollen wir einen lernenden Zugsitz entwickeln, der durch die Nutzung immer besser wird“, erklärt Meier

In der Ottobahn am Stau vorbei

Derzeit entwirft NVGTR die Kabinen für die Ottobahn– ein auf Schienen geführtes Kabinentransportsystem für Personen und Güter. Es soll auf einer Höhe zwischen fünf und zehn Metern über den Straßen entlangführen. Doch im Gegensatz zur Wuppertaler Schwebebahn soll die Ottobahn von den Nutzerinnen und Nutzern per App gerufen werden. Für Meier ist die Ottobahn ein hervorragendes Beispiel, wie man Individualverkehr und den Öffentlichen Nahverkehr verbinden kann. In München soll die Ottobahn auf einer Lernstrecke über ein Distanz von 1000 Metern verkehren. Auf dieser Teststrecke sollen in den Kabinen unter anderem auch Sitze von NVGTR zum Einsatz kommen. In der zweiten Ausbaustufe wollen die Münchner sich auch ums das Exterieur und auch die Infrastruktur kümmern.

Für Meier sei die Ottobahn ein ideales Verkehrsmittel, um den Verkehr zu entlasten. Zudem sei sie günstiger als eine Straßenbahn. „Wenn man die Zulassung in den Kommunen ausklammert, ist es zugleich ein schnell zu installierendes Verkehrsmittel.“ Mit ihr könne man am Stau vorbei auf dem Mittelstreifen einer vierspurigen Ringstraße in die Stadt fahren. Klar habe die Ottobahn noch ein gutes Stück Weg vor sich, doch die Denkrichtung stimme. „Sie wäre ein Schub für die Verkehrswende“, ist Meier überzeugt. „Ist sie der einzige? Sicherlich nicht, aber sie kann ein wichtiger Teil sein.“

Mit Blick auf die Anstrengungen der Autoindustrie zeigen sich Jurke und Meier zurückhaltend. Lobend äußern sich die beiden mit Blick auf deren Anstrengungen zur CO2-Reduktion über Polestar. Die schwedische Elektromarke will bis 2030 ein CO2-freies Auto entwickeln. „Polestar hat hier eine Vorreiterrolle“, so Jurke. Auch BMW habe gute Ansätze mit Blick auf die Kreislaufwirtschaft wie mit seinem auf der IAA in München gezeigten Konzept iVision Circular. Einschränkend fügt Jurke indes hinzu, dass man bei Showcars oder Versuchen des Recycling nicht zu kurz springt und Greenwashing betreibe, „Die Autobranche hat sicher einen harten Knochen zu kauen, weil das System des Individualverkehrs in einer Sackgasse ist und wir ein intermodales System brauchen“, so Jurke. Jetzt gehe es darum, „dass Beste aus dem Individualverkehr mit den Öffis zusammen zu bringen“, sagt Meier.

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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