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Mike Kluge: Das Rad, seine große Liebe

Mike Kluge gibt sich selten zufrieden. Eigentlich nie. Weil dem einstigen Querfeldein-Weltmeister früher die Räder nicht gut genug waren, gründete er die Marke „Focus“. Mit Erfolg.

Von Andreas Haslauer


Mike Kluge hadert nicht mit Situationen, er handelt. So auch an Weihnachten 1976. Draußen schneite es wie verrückt, drinnen packte der 14-jährige Mike am Heiligabend sein Weihnachtsgeschenk aus: sein langersehntes Touren-Rennrad „Mein Peugeot will ich aber unbedingt heute noch ausprobieren!“, protestierte er gegen den Einwand seiner Eltern. „Mike, schau‘, draußen ist es doch dunkel, eisig und kalt“, versuchte seine Mutter ihn auf den nächsten Tag zu vertrösten. Er solle erst mit seinem Weihnachtsgeschenk rausgehen, wenn das Wetter besser sei.
„Ich will aber heute fahren!“

Bevor er jedoch auf die Straße ging, montierte er die „peinlichen Schutzbleche“ (Kluge) ab. „Also bin ich raus, testen, was das Rad im Schnee so alles aushält.“ Nach einer Viertelstunde war der erste „Achter“ in der Felge. Diesen wollte er geradebiegen, indem er die Speichen so spannte wie seine Gitarre. Nach 30 Minuten war sein Hinterrad ein Fall für den Wertstoffhof. Wie seine Eltern reagierten? Wäre nicht Weihnachten gewesen, „hätte ich wohl den Hintern versohlt bekommen“.

Vor 35 Jahren begann die Leidenschaft

Es ist der Moment, an dem Kluge seine große Liebe – das Fahrrad – entdeckt. Darüber ist er bis heute froh, schließlich verdient Kluge damit seit 35 Jahren seinen Lebensunterhalt. Zunächst „versägt“ er mit seinem Touren-Rennrad seine Klassenkameraden auf dem Pausenhof. Zwei Jahre später schaut er auf dem elterlichen Sofa Didi Thurau während der „Tour de France“ zu. Thurau trug 15 Tage lang das gelbe Trikot, Kluge saß 15 Tage lang wie erstarrt vor dem Fernseher. In der Woche nach der Rundfahrt meldete Vater Lothar den kleinen Mike nicht nur bei einem sondern gleich bei drei Rennen an. Mike gewann alle.

Was es heißt, Niederlagen zu kassieren, erfuhr er erst bei den „Zehlendorfer Eichhörnchen“, später beim „RC Charlottenburg“. Gleich bei seinem ersten Rennen 1978 wurde er mehrmals überholt. Mike wurde Letzter. Und so ging das fast ein Jahr lang. „Jedes Mal bekam ich auf die Fresse. Und das zeichnet mich aus.“ Denn: Kluge glaubt an Kluge. „Irgendwann wird es klappen“, sagte er zu sich selbst. Dann kam das Rennen auf dem „Rollberg“ in Berlin-Neukölln, das ist so etwas wie das Berliner „Paris–Roubaix“. Die goldene Regel bei der Fahrt über das Kopfsteinpflaster lautet: Geschwindigkeit bringt Sicherheit! Also ballerte Kluge über alles drüber und gewann das Rennen.

„Das war ich meinem Vater schuldig, der geduldig auf meinen ersten Sieg wartete.“ Zusammen sind sie nachts um drei Uhr von Berlin aufgebrochen, um bis nach Straßburg 800 Kilometer zu fahren, abends wieder retour. Sein Vater sagte immer: „Mike, wenn es für den Sieg reicht, ist es gut. Wenn nicht, ist nicht schlimm.“ Das war der Vater-Sohn Deal: Mike hat auf den nächtelangen Fahrten geschlafen und Rennen gewonnen, sein Papa ihn gefahren. Kaputt waren am Sonntagabend beide. Und glücklich.

Die ersten Jahre beschreiben Kluges Charakter. Der Berliner mit der frechen Schnauze lässt sich wenig sagen. Besser gesagt: gar nichts. Er! Zieht! Sein! Ding! Durch! Mit Erfolg. Als der Radprofi 1990 den Gesamtweltcup gewann, war er dennoch mit der Gesamtsituation – vor allem der Qualität seiner Räder – unzufrieden. „Mir sind bei fast jedem MTB Rennen die Bikes um die Ohren geflogen“, echauffiert Kluge sich heute noch. Das hat ihn einige Siege gekostet – und viele blaue Flecken bereitet. „So schwer kann es doch nicht sein ein vernünftiges Rad zu bauen“, dachte er sich.

Vom Gründer zum Berater

Kluge handelte, in dem er mit in seiner Hinterhof-Werkstatt die Marke „Focus“ aus dem Boden stampfte. Heute ist er Berater, unterstützt das Marketing. In den Anfangsjahren baut er das Geschäft mit den Cyclocrossern mächtig aus. „Unsere Crosser hatten Kultstatus, weil alles stimmte: der Auftritt, die Erfolge, die Optik und die Geometrie.“ Das war die Zeit, in der Kluge über das Wohl und Wehe bei Focus entschied. Dann entschieden emotionslose Controller die Geschicke der historischen Marke. „Eine Marke mit so viel Emotionen kann man nicht mit seiner Excel-Datei führen“, so Kluge, der auf diese Zeit mit Wehmut zurückblickt. Der 59-Jährige fühlte sich in der Buchhalter-Welt fremd und verkaufte die Marke.

„Wenn mir eine Sache nicht passt, dann mache ich den Mund auf. Und diesen werde ich mir nie verbieten lassen, auch wenn ich dadurch immer wieder darunter leide“, ist auch so einer von Mikes Aussagen. Schließlich ist das Einzige, was er immer will, faire und tolle Rennen für den Sport und die Zuschauer. Wenn er aber wie bei der WM 1988 im Schweizer Hägendorf auf einem 2,8 Kilometer Rundkurs 1,5 Kilometer das Rad schieben oder tragen muss, dann ist das kein Radrennen für ihn, sondern ein Leichtathletik-Event. „Aus Protest lief ich eine Runde mit dem Rad kopfüber über die Strecke. Einige Fans spuckten mir vor die Füße. Dieser Boykott hat mich ein Menge „Fränkli“ gekostet. Zudem stand ich vor dem Abschluss eines Sponsoren-Vertrages mit Hugo Boss. Der Deal platzte. Kluge blieb Kluge. Und sich treu.

Fan von Rädern mit E-Antrieb

Kluge, der in der Branche der „Franz Beckenbauer des Radsports“ genannt wird (Kluge wurde als Fahrer und Trainer Weltmeister), ist heute einer der größten Fans von Rädern mit elektrischer Unterstützung. „Erst das E-Bike hat mir den Spaß am Radeln wieder zurückgebracht“, gesteht der Querfeldein-Champion, der 1992 den Titel in Leeds holte. Vorher musste er aber sein Wesen noch verändern. „Er zieht durch die Straßen Berlins. Feiert Partys, genießt das Leben“, schreibt die „Bild“-Zeitung. Mike, das Feierbiest.

Vor dem Weltcup in Kaprun trank er bis morgens um fünf in der „Baumbar“. Trotz des Nebels auf der Strecke gewann er das Rennen mit über drei Sekunden Abstand. Dennoch dachte er danach „Junge, so langsam übertreibst Du es. Wenn Du dein Leben ändern willst, dann jetzt.“ Das war der Punkt als er dem Berliner Party-Leben den Rücken kehrte und in den Schwarzwald zog. Er trainierten unten im Breisgau wie Sylvester Stallone in dem Box-Film „Rocky IV“. Kluge packte Gewichte in seinen Rucksack, radelte und rannte immer wieder Berge hoch. Egal, ob die Sonne brannte, es schneite oder hagelte. Kluge: „So wie ich in Berlin nachts um die Häuser zog, so trainierte ich nun wie ein Besessener.“ Es lohnte sich. Als er als Erster durchs Ziel in Leeds fährt weint er wie ein Schlosshund.

Quälen war früher

Quälen will er sich heute nicht mehr so. „Abends mit Freunden und Unterstützung hier auf den ‚Kandel‘ im Schwarzwald hochstrampeln, oben die großartige Aussicht genießen und zum Sonnenuntergang runterfahren: gibt’s was Schöneres auf der Welt?“, fragt Kluge. Die Zukunft des Rads wird daher mit Motor sein, prophezeit er. Kluge wäre aber nicht Kluge, wenn er nicht schon einen Schritt weiterdenken würde. „Viele E-Bikes sehen leider immer noch so aus als hätte jemand einen Akku und Motor hin geklatscht.“ Der dreifache Deutsche Meister glaubt aber nicht daran, dass die E-Bikes noch in zehn Jahren angesagt seien. Deshalb hat Kluge jahrelang überlegt, welche Technologie es geben könnte. Gemeinsam mit Ingenieuren hat er vor einigen Monaten das Start-up „bike-ovation GmbH“ gegründet. Das Ziel: weniger Gewicht und mehr Reichweite als ein batteriegestütztes E-Bike. Darüber hinaus soll es umweltverträglicher und nachhaltiger sein. Der erste Prototyp soll bereits in wenigen Monaten fertig sein, spätestens im Frühjahr 2022. Der „bahnbrechende wasserstoffbasierten Pedelec-Antrieb“ soll im Pendlerbetrieb, bei Cargo-Rädern in der Stadt sowie bei Mountain- und Trekking-Bikes eingesetzt werden. Eigentlich überall.

Auf die Frage, ob es ein Gegenentwurf zu den bereits bestehenden Wasserstoff-Bikes sei, antwortet Kluge: „Das hat mit den qualitativ hochwertigen und stylischen Ansprüchen, die unser Konsortium plant, nichts zu tun.“ Die Fahrräder, die Kluge bekannt sind, sehen so aus, hätte jemand nur ein paar alte Feuerlöscher drangebaut. „Unser Konzept geht da deutlich weiter, ist besser durchdacht und dadurch langfristig sicher erfolgreicher“, verspricht Kluge. „Viele verstanden damals nicht, als ich die Rad-Marke Focus gründete, viele rieten mir davon sogar vehement ab.“ Für ihn war es nur noch mehr Ansporn. Dieses Gefühl hätte er auch bei seinem neuen Wasserstoff-Bike. Auch bei diesem Projekt folgt er dem Motto von Rad-Legende Bernard Hinault: „Solange ich atme, werde ich angreifen.“

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