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Coronakrise: Anschluss bei der Digitalisierung verpasst

Die Menschen haben wären des Lockdowns von zu Hause gearbeitet. Illustration: Marcus Spunkt

Die Corona-Krise hat uns in den zurückliegenden Monaten vor Augen geführt, wie wichtig die Digitalisierung ist – und wie sehr Deutschland hinterherhinkt.

Wer A sagt, scheint auch B sagen zu müssen, beziehungsweise C und D. Zumindest vergeht seit März kaum ein Tag, an dem nicht das C-Wort fiele und in dessen Gefolge sogleich das D-Wort. Es geht nicht um Alphabetisierung und die richtige Reihenfolge im Alphabet, sondern darum, dass seit C wie Corona spätestens auch D wie Digitalisierung in Politik und Medien eine führende Rolle spielen. Automatisch einher geht damit die bange, bisweilen panische Fragestellung, ob Deutschland noch zu retten sei – in punkto Schnelligkeit und Qualität der Digitalisierung.


Wie also steht es um die zunehmend binomische Welt und Deutschland im speziellen? Beherrschen wir Quantencomputer und Co, weil Bits und Bytes schon längst nicht mehr reichen – etwa für eine blitzschnelle Verkehrsregelung oder für teilautonomes Fahren? Schon vor ungefähr zehn Jahren hat zum Beispiel der Automobilveredler Brabus damit geworben, die damalige M-Klasse zum Luxusbüro auf vier Rädern umfunktionieren zu wollen. Doch das beste Luxusbüro nützt ohne digitalen Zugang heutzutage recht wenig.

Die Urbanisierung schreite mit der Digitalisierung voran, ist allenthalben zu hören oder zu lesen, auch dass die neuartigen Kommunikationsmöglichkeiten alle Gesellschaften demokratischer und transparenter werden ließen. Inmitten dieses Chaos der digitalen (R)Evolution schlug das Corona-Virus erbarmungslos zu. Nein, diesmal kein Computervirus, sondern Sars CoV-2, ein Virus, das die Menschheit attackiert, sozusagen eine hermaphroditische Angelegenheit zwischen Mensch und Tier.

Seit der Jahrtausendwende ist die Digitalisierung verstärkt im Gange, wird bisweilen unter dem Stichwort „Internethype“ subsumiert. Man sei aber nach wie vor mittendrin in der Weichenstellung für die Zukunft. Schlanker, digitaler und weniger Verwaltungskosten – so die Losung für Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU) und Großunternehmen landauf landab.

Schulen digital abgehängt

Digital abgehängt sind teilweise vor allem die Bildungseinrichtungen – und da wird es kritisch. Denn wie sollen die Zukunft und das Morgen aussehen, wenn Kinder und Schüler nicht darauf vorbereitet werden können? Woran liegt diese Mangelwirtschaft? An den Lehrern? Sind die einfach zu faul? Bisweilen schon. Wie die digitale Schule in sieben Schritten erreichbar ist, das lässt sich unter dem Link des Berliner Unternehmens Bitkom finden.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat eine repräsentative Studie vorgestellt, nach der gut 90 Prozent der Lehrer ihre privaten Endgeräte für den Unterricht nutzen müssen – weil es keine Dienstcomputer gibt. Zudem fehlten die digitale Infrastruktur und Systemadministratoren. Der Digitalpakt Schule sei zu spät gekommen und nicht konsequent umgesetzt worden.

Wenn aber Gerätschaften vorhanden sind, werden sie dann auch vernünftig genutzt? Es gibt viele qualifizierte Lehrer, stellt Ilka Hoffmann, GEW Vorstandsmitglied Schule und zuständig für den digitalen Bereich, fest. Aber es bedürfe, so Hoffmann weiter, der gezielten Weiterbildung. Häufig sei auch eine grundlegende Fortbildung notwendig. Schnell wird der Ruf nach Fördergeldern laut und danach, was der Bund und was die einzelnen Länder zu tun in der Lage sind. Im Vergleich zu den Nachbarn Österreich und Schweiz jedenfalls ist Deutschland mehr oder minder digitale Wüste.

Nachzügler bei der Digitalisierung

Ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, Exportweltmeister und industrieller Motor abgehängt im europäischen und internationalen Wettbewerb? Bitkom sieht diese führende Rolle bei einer künftig durchgängig digitalisierten Welt bedroht. Dazu Christopher Meinecke, Bereichsleiter Digitale Transformation: „Einer repräsentativen Umfrage unseres Unternehmens zufolge gibt es eine deutliche Mehrheit (58 Prozent) der Geschäftsführer quer durch alle Branchen, die ihr Unternehmen als Nachzügler bei der Digitalisierung sehen.“ Drei Prozent meinten sogar, so Meinecke weiter, den Anschluss verpasst zu haben. 37 Prozent haben Schwierigkeiten mit der digitalen Welt, 12 Prozent sehen sich in ihrer Existenz bedroht.

Bei der Digitalisierung nämlich geben so unterschiedliche Länder wie Dänemark, Singapur, die USA oder China das Tempo vor. Diese Länder „gehen die Digitalisierung entschieden, mit Begeisterung, Engagement und in Höchstgeschwindigkeit an“, erzählt Meinecke. „In den USA zum Beispiel sind die IT-Investitionen pro Einwohner heute bereits doppelt so hoch wie in Deutschland, und sie wachsen auch noch doppelt so stark. Die Schere öffnet sich weiter, und sie öffnet sich schnell.“

Das Digitale neu denken

Zurecht fordert Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in diesem Zusammenhang eine größere Unabhängigkeit der europäischen Wirtschaft, auch wenn es sich innerhalb des kleinen Europa um mitunter äußerst divergierende Interessen handelt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht hier gar von der „Schicksalsgemeinschaft Europäische Union“ – die in diesen Krisenzeiten Flagge zeigen muss, will sie nicht zwischen den mächtigen Blöcken Amerika, China und Russland zerrieben werden.

Wenn Deutschland im Juli für sechs Monate die EU Ratspräsidentschaft übernimmt, wird das Land dafür sorgen müssen, dass es besser läuft mit der Digitalisierung, nicht zuletzt auch im eigenen Land. Bitkom fordert hier kein Update, sondern einen Restart.

„Wir müssen das Digitale von Grund auf neu denken, in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Statt einer Vielzahl an Strategien brauchen wir eine Digitalpolitik aus einem Guss, die sich auf unsere spezifischen Stärken konzentriert und diese ins digitale Zeitalter überführt.“

Vier Eckpfeiler seien hier zu bedenken: Erstens muss der Bund mit mehr Bildungskompetenz ausgestattet sein. Zweitens braucht es für Deutschland die besten Infrastrukturen für Smart Country Germany, gerade für die Netze Verkehr und Energie. Drittens sollte sich der Staat uneingeschränkt dem Prinzip „digital by design“ verpflichten und seine Verwaltung von Grund auf umbauen. Und zu guter Letzt braucht es in der Datenpolitik eine neue Balance zwischen dem Schutz persönlicher Daten und dem Einsatz von Daten.

Daten sind der Rohstoff eines digitalen Deutschland. Damit dieser Rohstoff gehoben werden kann, bedarf es exzellenter Infrastrukturen als Fundament und vor allem digital kompetenter Menschen als deren Treiber.

Digital nicht ohne real

Homeoffice und Homeschooling – die Coronakrise hat uns gezeigt, wie wichtig Digitalisierung ist. Illustration: Marcus Spunkt

Die Pandemie ist zweifelsohne zum Lackmus-Test für den Stand der Digitalisierung geworden. Homeoffice ist Trend. Allerdings ist es auch eine Binse, dass diese Art von Büro ohne reale Welt eine gefährliche Blase sein kann, Gerüchte und Verschwörungstheorien gewissermaßen im luftleeren Raum entstehen zu lassen, weil bisweilen der reale Bezug verlorenzugehen droht.

Kurzum: Ob in Schule oder Büro, digital geht nicht ohne real. Der CEO eines Unternehmens beispielsweise muss immer wieder in sein Unternehmen gehen, um sich zu vergewissern, was real umgesetzt wird, wurde oder werden soll. Bei Bitkom hat man die Thematik etwas genauer untersucht.  So ist der Ansturm auf die Netzbetreiber offenbar moderat ausgefallen, was die Nutzung der Breitband- und Mobilfunknetze betrifft. Zumindest verfügen die Telekommunikationsnetze heute über eine ausreichende Kapazität, um HD-Videostreams flächendeckend zu ermöglichen, heißt es.

Wenn nun der Flugverkehr weiterhin quasi am Boden bleibt, digitale Konferenzen aber gewaltig und überall zunehmen, wie sieht es dann aus mit dem ökologischen Fußabdruck? Meinecke dazu: „Aktuell sind 1,8 bis 3,2 Prozent der globalen Emissionen von Treibhausgasen auf Herstellung und Betrieb digitaler Geräte und Infrastrukturen zurückzuführen. Dabei entfallen auf Rechenzentren und Kommunikationsnetze jeweils rund 15 Prozent und auf Hardware oder Endgeräte etwa 70 Prozent.“ Ob die Emissionen aufgrund wachsender digitaler Infrastrukturen und weiter ansteigender Ausstattung privater Haushalte und Unternehmen mit digitalen Geräten künftig weiter zunehmen, hängt maßgeblich vom Energiemix in den nationalen Stromnetzen ab. Kohle und Gas, es sei denn letzteres ist CO2 neutral beispielsweise aus Kompost hergestellt, sorgen für einen höheren CO2-Ausstoß als Sonne, Wind und Wasser. Logisch ist, dass die Digitalisierung umso nachhaltiger und umweltschonender wird, je mehr sie sich aus grünem Strom speist. Mit 100 Prozent Ökostrom kann jeder Haushalt nahezu klimaneutral im Internet surfen und streamen.

Vision und Realität

Somit ist es sicherlich nett und TV Aufmerksamkeit erheischend, wenn Staatsministerin Dorothee Bär wie einst über Flugtaxis schwadroniert, aber wirklich voran gebracht hat die CSU-Politikerin als Digitalisierungs-Beauftragte der Bundesregierung gefühlt nicht viel. Gerade während der Corona-Krise – als sich Deutschland aus dem Homeoffice heraus über die mangelhafte Digitalisierung im Lande und vor allem den Schulen beklagte – war von ihr wenig zu hören. Gern hätten wir uns mit der Staatministerin darüber unterhalten, was schief gelaufen ist in den zurückliegenden Jahren und welche Schlussfolgerungen sie daraus für die Zukunft zieht. Doch unser Interview-Wunsch wurde von ihrem Büro ebenso negativ beschieden wie die Bitte um die Beantwortung einiger Basisfragen zur Digitalisierung.

Stattdessen macht sich Peter Altmaier stark für die Digitalisierung. Denn ohne sie wird es keine Flugtaxis, keine (teil)autonomen Fahrzeuge und auch keinen stabilen Teleunterricht in Krisenzeiten geben. So müsse Deutschland das 130 Millionen schwere Konjunkturpaket nutzen, um auch bei Digitalisierung und Mobilität voranzukommen. „Hier müssen wir aufholen und investieren“, forderte er. Aber das nun offensiv verbal vorgetragene Engagement der Politik mit Blick auf die Digitalisierung ist ja nicht neu. Hier spricht man ja auch bereits seit Jahren über den Breitbandausbau für schnelles Internet. Doch geschehen ist seither wenig. Die Corona-Krise hat uns das noch einmal vor Augen geführt. Aber wer weiß, vielleicht wird jetzt ja alles schnell viel besser.

Über den Autor

Susanne Roeder

Während des Studiums der englischen und klassischen Philologie in Freiburg, Cambridge, Oxford und Promotion in englischer Sprache arbeitete sie bei BBC Radio Oxford und öffentlich-rechtlichen Sendern. Bei einer Agentur mit Mercedes-Benz als Hauptkunden begann ihre Liebe für Automobile. Nach Stationen als Pressesprecherin in der Industrie ist sie mit Globaliter Media selbständige Journalistin.

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