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Biennale der Berliner Philharmoniker: Paradise Lost?

Die Biennale stand in diesem Jahr unter dem Motto"Paradise Lost? Von der Bedrohung der Natur". Foto: Stephan Rabold

Die Berliner Philharmoniker sind bekannt für ihr gesellschaftliches Engagement. Das reicht beispielsweise von der Flüchtlingshilfe bis hin zum Klimaschutz. Was man dabei macht, war auf der diesjährigen Biennale zu sehen.

Von Corina Kolbe


In der Berliner Philharmonie waren plötzlich ungewöhnliche Klänge zu hören. Aus Lautsprechern schallte Konzertbesuchern Vogelgezwitscher entgegen, das sich mit dem Stimmengewirr im Foyer mischte. Dass sich Amseln, Meisen und Finken in einer traditionsreichen Kulturinstitution präsentieren durften, war kein Zufall. Bei der spartenübergreifenden Biennale der Berliner Philharmoniker standen der Kampf gegen den Klimawandel und der Schutz gefährdeter Arten im Fokus. „Paradise Lost? – Von der Bedrohung der Natur“ lautete das Motto des Festivals, das seit 2021 im Zweijahresturnus stattfindet. Sinfonie- und Kammerkonzerte, Filmvorführungen, Tanztheater und Diskussionen kreisten diesmal um dringliche Fragen, die das künftige Leben auf der Erde betreffen.

Obwohl zu erwarten ist, dass die Folgen der Erderwärmung für alle Menschen spürbar werden, behindern ideologisch motivierte Grabenkämpfe allzu oft konsequente Gegenmaßnahmen. Im jüngsten Bundestagswahlkampf rückte das Thema weitgehend in den Hintergrund, während Rechtspopulisten schon seit längerem von einer „Klimalüge“ sprechen. Das Publikum der Biennale konnte nun mit eigenen Augen und Ohren verfolgen, was geschieht, wenn sich Künstler und Wissenschaftler gemeinsam mit der Zukunft unseres Planeten beschäftigen. Statt das Problem zu verdrängen oder rasche Lösungen zu versprechen, geben sie wertvolle Gedankenanstöße, um mit Hilfe der Kunst einen kritischen gesellschaftlichen Diskurs in Gang zu halten.

Musik als Naturgewalt

Gleich zu Beginn des Festivals spielten die Berliner Philharmoniker unter Leitung von David Robertson ein neues Werk des tschechischen Komponisten Miroslav Srnka. „Superorganisms“ handelt von Lebewesen, die erst in der Gemeinschaft an Kraft gewinnen und ihre Existenz sichern können. Srnka hatte dabei Bienen- und Ameisenvölker im Sinn. Die Musik entfaltet sich in großen Wellen, die immer wieder aus dem Nichts kommen. Das Orchester verkörpert hier einen Schwarm und die dazugehörige Schwarmintelligenz. In Ludwig van Beethovens sechster Sinfonie mit dem Beinamen „Pastorale“, die danach erklang, spiegeln sich dagegen die Empfindungen des Menschen in der Natur, bis hin zur Angst vor der zerstörerischen Gewalt eines Gewitters.

Das Licht und Eis des hohen Nordens inspirierte die finnische Komponistin Outi Tarkiainen zu ihrem Stück „Day Night Day“, das die Philharmoniker mit der Dirigentin Marin Alsop zur Uraufführung brachten. „Ich sehe Musik als eine Naturgewalt, die einen Menschen überfluten und sogar ganze Schicksale verändern kann“, sagt Tarkiainen. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin bot unter Leitung von Nicholas Collon faszinierende Einblicke in die Landschaften Islands, etwa in dem Stück „Geysir“ von Jón Leifs, der in seiner Musik den Ausbruch einer brodelnden Quelle heraufbeschwört. Die ebenfalls eng mit der Natur verbundene Komponistin Anna Thorvaldsdottir sucht in ihrem 2020 entstandenen Werk „Catamorphosis“ nach einem Gleichgewicht zwischen „Macht und Zerbrechlichkeit, Hoffnung und Verzweiflung, Bewahrung und Zerstörung“. In den „Märchentänzen“ von Thomas Adès ließ das Orchester mit dem bekannten Geiger Pekka Kuusisto eine idyllische Welt mit Vogelsang erstehen.

Andrea Zietzschmann ist Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker. Foto: Stefan Hoederath

Andrea Zietzschmann, die Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker, blickt positiv auf das zweiwöchige Festival zurück. Mehr als 30.000 Besucherinnen und Besucher aus allen Altersgruppen kamen zu den Konzerten und Veranstaltungen. „Ich hoffe, dass unsere Biennale eine Inspiration dafür geboten hat, eines der wichtigsten Themen unserer Zeit, die Bedeutung und Bedrohung der Natur, aus verschiedensten Perspektiven zu reflektieren“, sagt sie.

Kooperation verschiedener Kulturinstitutionen

Wegweisend waren für sie nicht zuletzt die Themenzyklen des früheren Chefdirigenten Claudio Abbado. Bereits in den 1990er Jahren hatte Abbado, der sich auch persönlich für den Umweltschutz engagierte, in seinen interdisziplinär angelegten Programmen verschiedene Kulturinstitutionen Berlins mit der Philharmonie zusammengebracht. Diese Form der Kooperation wurde jetzt unter anderem mit der Neuen Nationalgalerie, dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin und dem Kulturzentrum Radialsystem fortgesetzt. „Kurz vor dem Festival fragte ich mich, ob man angesichts der drängenden aktuellen Probleme in der Welt ein solch ernstes Thema in den Fokus stellen sollte“, gesteht Zietzschmann. „Das Konzept ist aber sehr gut aufgegangen. Wenn der Einzelne ein Konzert in einer Gemeinschaft erlebt, findet er Trost und bekommt viele neue Anregungen.“

Ein Gesprächskonzert im Museum für Naturkunde zog zahlreiche neugierige Zuhörer an. Der Kontrabassist Martin Heinze und der Kontrafagottist Václav Vonášek, beide naturliebende Mitglieder der Berliner Philharmoniker, stellten ein ideenreiches, von der Tierwelt inspiriertes Programm vor. Die Schneckenforscher Katharina und Parm von Oheimb, die auf Berliner Friedhöfen und in den Regenwäldern Vietnams forschen, verrieten zwischen den Stücken Wissenswertes und Skurriles über die schleimigen Weichtiere.

Direkt neben den im Museum ausgestellten Dinosaurierskeletten boten Heinze und Vonášek dem Publikum die seltene Gelegenheit, ihre riesigen Instrumente auch einmal im Duett zu hören. „Schnecken verbindet man mit einem langsameren Leben, mit Entschleunigung“, meint Vonášek. Und Heinze, der unter anderem das Solostück „BEAST“ von James Tenney spielte, erklärt: „Das ist ein sieben Minuten langer, stehender Klang, bei dem man sich im Schneckentempo über das Griffbrett bewegt.“ Gemeinsam führten die Musiker ein Stück der britischen Komponistin Judith Weir auf, dessen Titel unweigerlich zum Schmunzeln anregt: „What sound will chase elephants away?“

Ernster wurde es bei der Vorführung des berührenden Films „Suiten für eine verwundete Welt“ im Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung. Die Cellistin Tanja Tetzlaff hatte für das Projekt Orte in Europa besucht, wo die Auswirkungen des Klimawandels bereits unübersehbar sind. Auf der Leinwand konnte man erleben, wie sie Suiten von Johann Sebastian Bach mitten in der geschundenen Natur spielt, etwa auf dem schmelzenden Rhone- und Aletschgletscher in der Schweiz, an den schwindenden Küsten des französischen Atlantiks und in zerstörten Wäldern des Harzes. Tetzlaff, vom Ausmaß der Schäden zutiefst erschüttert, erklärt, sie wolle die Natur durch ihr Engagement um Verzeihung bitten.

Aufrütteln mit künstlerischer Arbeit

Die Bedrhung der Welt wurde bei der Biennale aus verschiedenen Perspektiven präsentiert. Foto: Stephan Rabold

Auch der Komponist Gregor A. Mayrhofer will mit seiner künstlerischen Arbeit aufrütteln. In dem Stück „Tipping Points. Vierzehn Arten den Klimawandel zu beschreiben“, das auf der Biennale von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker und Gästen uraufgeführt wurde, verbindet er seine eigene Musik mit Werken von Franz Liszt, Hanns Eisler und Olivier Messiaen. Eindrücklich verleiht er Kipppunkten im Klimasystem eine musikalische Gestalt. Bei dem Gesprächskonzert im Kammermusiksaal der Philharmonie trug der Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch seine Gedanken zur Klimakatastrophe vor und rief die Öffentlichkeit zum gemeinsamen Handeln auf.

Um das künftige Leben der Menschen in einer hochtechnisierten Welt ging es in Alexander Schuberts immersiver, audiovisueller Installation „Terminal Infinity“. Das Auftragswerk der Berliner Philharmoniker, wurde im Radialsystem von Musikern des Orchesters und seiner Karajan-Akademie, der Jugendtanzcompany von Sasha Waltz & Guests und anderen Tänzern aus der Taufe gehoben. In dem durch ein futuristisches Lichtdesign geprägten Stück wird reflektiert, wie der wachsende Einfluss der künstlichen Intelligenz das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt verändert.

Diskussionen zum Klimawandel

Über die Streitfrage „Verschwindet der Klimawandel von der politischen Agenda?“ diskutierten die Meeresbiologin Antje Boetius und der Soziologe Steffen Mau mit der Rundfunkjournalistin Christiane Florin. Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität in Berlin, bemängelte, dass der Klimaschutz im Bundestagswahlkampf so gut wie keinen Platz hatte. Boetius, die in diesem Frühjahr nach sieben Jahren als wissenschaftliche Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven an das Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien wechselt, berichtete dagegen auch über Fortschritte im Kampf gegen den CO2-Ausstoß. „Der Klimawandel verschwindet sicherlich nicht von der politischen Agenda. Was wir Menschen nicht schaffen, ins Gleichgewicht zu bringen, kriegen wir gnadenlos wieder zurück“, betonte sie. Jede Verzögerung und Verschiebung sei ein „Spiel mit dem Feuer“. Mau sieht beim Klimaschutz eher einen Zeit- als ein Zielkonflikt: „Zu schnell, zu viel oder nicht verkraftbar.“ Der Triggerpunkt sei die ungleiche Verteilung der Emissionen in der Gesellschaft. Je reicher die Leute seien, desto größer werde ihr ökologischer Fußabdruck, so der Experte. Bei Menschen mit niedrigeren Einkommen, die in ihrem Alltag die Pariser Klimaziele ohne Weiteres erreichten, löse die Klimadebatte rasch Existenzängste aus. Viele fürchteten hohe finanzielle Belastungen, die sie sich nicht leisten könnten, konstatierte Mau. „Die Gerechtigkeits- und Verteilungsfrage muss daher zur DNA aller klimapolitischen Maßnahmen gehören.“ Boetius warf in diesem Zusammenhang PR-Strategen vor, von der Verantwortung der Industrie abzulenken und vor allem dem Individuum die Schuld an der Misere zu geben. „So etwas ist völlig disproportional zum Erfolg des Klimaschutzes propagiert worden und hat zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt.“

Parallel zu dem facettenreichen Veranstaltungsprogramm waren im Foyer der Philharmonie mehrere Ausstellungen zu besichtigen. Der Naturschutzbund Deutschland, NABU, der aus seinem Archiv auch die Vogelstimmen beisteuerte, beschrieb Wege zu einem nachhaltigen Konsum durch den Schutz natürlicher Ressourcen vor zügelloser Ausbeutung. Die UNO-Flüchtlingshilfe, der die Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko seit 2021 als Botschafter verbunden sind, wies auf Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Konflikten, Armut und Vertreibung auf globaler Ebene hin. Und der langjährige Partner Deutsche Bank zeigt noch bis Juni im „Green Room“ in der Philharmonie Arbeiten aus der eigenen Kunstsammlung. Auf den Fotografien aus der Serie „Sandstars“ von Gabriel Orozco sieht man Treibgut, etwa Glasflaschen, Glühbirnen oder Bojen, die der mexikanische Künstler an der Küste des Naturschutzgebietes Isla Arena entdeckt hat.

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