Interviews

Tibber will den Strommarkt aufmischen

Marion Nöldgen ist Deutschlandchefin von Tibber. Foto: Viktor Strasse

Kann es das geben? Einen Stromanbieter, der nichts am Stromverbrauch seiner Kundinnen und Kunden verdienen will? Genau das verspricht der norwegische Stromanbieter Tibber.

Die Energiepreise und damit die Belastung für die Kundinnen und Kunden steigen Monat für Jahr. Während die Kilowattstunde nach einer Strompreisanalyse des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft 2021 noch 32,16 Cent kostete, waren es im Juli schon 37,30 Cent. Der durchschnittliche Strompreis ist damit im Jahresmittel 15,5 Prozent höher als im Vorjahr. Doch das ist nur eine Momentaufnahme. Experten erwarten weiter steigende Kosten in bislang ungeahnter Höhe.


Es sind keine guten Aussichten für die Haushalte in Deutschland, daran dürften auch die Entlastungspakete der Bundesregierung wenig ändern. Angesichts der nicht enden wollenden Preissteigerungen schauen immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher nach einem günstigen Stromanbieter. Das Start-up Tibber, 2015 in Norwegen gegründet, will genau das sein.

Energiekrise führt zu enormen Kundenzulauf

Der Anspruch der Norweger ist dabei selbstbewusst: Sie wollen nicht weniger als den Strommarkt revolutionieren und seine verkrusteten Strukturen aufbrechen. Dabei profitieren die Norweger von den stetig steigenden Stromkosten. Sie haben zu einem enormen Zulauf an Neukunden geführt – und das auf allen Märkten, wie Deutschland-Chefin Marion Nöldgen berichtet. Mittlerweile hat Tibber fast eine halbe Million Kunden. In Deutschland liegt die Zahl „in einem mittelgroßen fünfstelligen Bereich“, berichtet Nöldgen. Die Wirtschaftsinformatikerin verantwortet das Deutschlandgeschäft seit Markteintritt Anfang 2020. Den Strommarkt revolutionieren will Tibber unter anderem mit einem dynamischen Stromtarif. So bezahlen Tibber-Kunden den Strom zu Echtzeitpreisen.

Marion Nöldgen war die erste Mitarbeiterin von Tibber in Deutschland. Foto: Viktor Strasse

Wie in allen anderen Bereichen würde auch am Strommarkt Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. „Wenn viel Energie vorhanden ist, sind die Preise günstig. Ist die Nachfrage höher als das Angebot, wird es teurer“, sagt Nöldgen. So sei der Preis morgens um acht Uhr ein anderer als mittags um 12 Uhr. „Jede Stunde gibt es einen neuen Preis.“ Nachdem der Bezug von Strom zu Echtzeitpreisen lange Zeit nur von der Industrie genutzt werden konnte, ist dies mittlerweile auch für Haushaltskunden möglich. Nun können auch sie von den daraus resultierenden „großen Einsparpotenzialen“ profitieren. Tibber reicht diese nach eigenen Angaben an seine Kunden weiter. In der Tibber-App können die Kunden einsehen, wie sich die Preise am nächsten Tag verhalten und sich entsprechend daran ausrichten, wann die Waschmaschine laufen lassen oder das Elektroauto laden.

Einsparpotenzial durch Smart-Charging

Ein Beispiel mit hohem Einsparpotenzial ist dabei das Smart-Charging-Feature von Tibber, wie Nöldgen sagt. Wer seine Wallbox beziehungsweise sein Elektroauto mit der Tibber-App verbindet, kann es dann aufladen, wenn der Strompreis besonders niedrig ist. Der Tibber-Algorithmus der App wisse, zu welchen Zeiten das Laden des E-Autos besonders günstig ist. Dadurch, dass der Strom fürs Laden nicht in Zeiten einer hohen Nachfrage fällt, seien zugleich auch Lastspitzen im Stromnetz auszugleichen. Durchs Smart-Charging seien jährliche Einsparungen „von 200 bis 300 Euro möglich“, sagt die Tibber-Managerin. Günstiger lässt sich ein Elektroauto noch dann laden, wenn Strom mit der hauseigenen Solaranlage zum Nulltarif erzeugt wird.

Damit Besitzer einer Solaranlage Strom auch zwischenspeichern können, macht sich Tibber derzeit auch Gedanken darüber, neben Wärmepumpen und Wallboxen auch Energiespeicher mit in sein Angebot aufzunehmen. Momentan hat man ein solches Angebot noch nicht. Doch es sei natürlich hochgradig sinnvoll, so Nöldgen.

Stromverbrauch in App verfolgen

Damit Kunden sich ihren Stromverbrauch in Echtzeit in der App anzeigen lassen können, braucht man indes einen digitalen Stromzähler. Dieser muss dann noch mit einem Kommunikationselement kombiniert werden, dem Tibber Pulse. Die App ermöglicht zugleich eine Analyse der Verbräuche. Der Tibber Pulse kann indes auch mit einem nicht smarten Zähler genutzt werden. Mit dieser „Brückentechnologie“ würde man Kunden die Möglichkeit einer stündlichen Abrechnung bieten.

Ein Einsparpotenzial für die Kunden entsteht nicht nur durch die zur Verfügungstellung von Strom zu Echtzeitpreisen, sondern auch dadurch, dass die Verbraucher sich Gedanken über ihren Stromverbrauch machen. So sei in der Tibber-App genau abzulesen, wann und mit welchen Geräten wieviel Strom verbraucht wird. Diese Transparenz sorge für eine Änderung des Nutzungsverhaltens: „Wenn ich effizientere Geräte nutze, ist das in der nächsten Stromrechnung sofort abzulesen.“ Wie Nöldgen sagt, stelle man bei seinen Kunden deutlich fest, dass sie bewusster mit ihrem Stromverbrauch umgehen.

Kontrolle durch transparente Preisgestaltung

Doch geht das Geschäftsmodell von Tibber in Zeiten wie diesen überhaupt noch auf? „Auf jeden Fall. Gerade in so hochpreisigen Zeiten wie diesen ist es umso wichtiger, dass man die Kontrolle darüber hat, wo man sparen kann“, sagt Nöldgen und verweist darauf, dass in liberalisierten Strommärkten alle Anbieter an den Strombörsen zu den gleichen Preisen Strom einkaufen würden. Der eine kaufe dabei längerfristig ein, der andere kurzfristiger. „Wir tun das kurzfristiger, weshalb bei uns die Effekte etwas direkter sind.“ Und das sowohl nach oben als nach unten, so die Managerin. „Letzten Endes gehe es in Hochpreiszeiten darum, dass die Kunden die Kontrolle haben.“ Und diese Kontrolle will Tibber seinen Kunden mit seiner transparenten Preisgestaltung und dem Verbrauchsverhalten geben. Derzeit verdiene man neben der Monatsgebühr von 3,99 Euro nur an dem Verkauf der Hardware wie Wallboxen, dem Tibber Pulse und Wärmepumpen.

Ist ein Laufzeitvertrag mit garantierten Preisen angesichts der Hochpreissituation nicht die bessere Option als der Strombezug zu Echtzeitpreisen? Diejenigen, die noch einen günstigen Tarif haben und dessen Vertrag nicht gekündigt wurde, fahren damit besser, räumt Nöldgen. „Doch das ist nicht mehr die Realität“, fügt sie hinzu und verweist auf das zurückliegende Jahr. Da seien – obwohl die Preise nicht so hoch waren wie heute – über 40 Stromanbieter Pleite gegangen, weil sie Strom zu niedrigeren als den eingekauften Preisen verkaufen mussten. Das Sonderkündigungsrecht bei Preissteigerungen hätte den Kunden auch wenig genutzt, weil ein Wechsel nur in teurere Tarife möglich war.

Ausbau der Erneuerbaren wichtig

Tibber beitet den Kundinnen und Kunden einen dynamischen Stromtarif. Foto: Viktor Strasse

Was hat der Tibber-Kunde momentan neben der monatlichen Grundgebühr für die Kilowattstunde zu zahlen? Mit Blick auf Berlin (regional sind die Strompreise unterschiedlich) lag Tibber 2022 im Schnitt bei 24 Cent für die Kilowattstunde, 2021 bei 28 Cent. „Und 2022 liegen wir deutlich über 30 Cent.“ Jetzt müsse man schauen, wo man Ende des Jahres liege, sagte Nöldgen. „Vielleicht sogar bei im Schnitt 40 Cent. Daran sieht man, wie sich das Preisniveau entwickelt hat.“

Mit Blick auf die weitere Entwicklung der Strompreise sei vor allem der Ausbau der Erneuerbaren Energien enorm wichtig, sagt die Deutschlandchefin. „Je mehr Erneuerbare wir im Mix haben, umso günstiger wird es. Wir hoffen auf einen großen Boost beim Ausbau der Erneuerbaren.“ Tibber selbst bietet (natürlich) nur Ökostrom an, der überwiegend aus Windkraft erzeugt wird. Tibber selbst hat den Anspruch, zur Energiewende beizutragen. Gelingen soll dies durch einen transparenteren Umgang mit dem Stromverbrauch. „Dank des Strommarktdesigns sei es so, dass die Preise niedrig sind, wenn der Strom grün ist.“ Teuer werde es indes dann, wenn es zu riesigen Lastspitzen komme und dann beispielsweise auch Gaskraftwerke angeschmissen werden müssten. Das sei wahnsinnig teuer und würde zu mehr Fossilen im Strommix sorgen. Deshalb sei der Ausbau der Erneuerbaren auch alternativlos.

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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