Hybrid

Toyota Camry: Taxifahrer als Zielgruppe

Der Toyota Camry spielt in Europa keine Rolle. Foto: Toyota

Gut 700.000 Kunden entscheiden sich jährlich für einen Toyota Camry. Nur den Europäern sind die Vorzüge dieser 4,89 Meter langen Limousine einfach nicht nahe zu bringen.

Zum Neustart des Wagens, der seit 2004 in Europa nicht mehr angeboten wurde, kalkuliert Toyota mit gerade 12.000 Stück pro Jahr – auf dem ganzen Kontinent. Und dieses bescheidene Ziel soll auch nur erreicht werden, weil die Japaner eine ganz besondere Zielgruppe ausgemacht haben: Taxifahrer.


Wenn man künftig das seltene Mittelklassemodell in Deutschland überhaupt sieht, dann wohl am ehesten in elfenbeinfarbener Folierung. Von den 500 Camry, die der Importeur für 2019 geordert hat, seien 400 schon bestellt, heißt es, überwiegend von Taxiunternehmern.

Angenehmer Arbeitsplatz

Den Taxifahrern will man mit dem Camry einen angenehmen Arbeitsplatz anbieten, der gleichzeitig geringe Kosten verursacht. Daher wird es den überraschend attraktiv gestalteten Camry in Europa ab 39.900 Euro ausschließlich mit Hybridmotorisierung geben. Unter der Haube schlägt ein Doppelherz, bestehend aus einem 2,5 Liter großen Vierzylinder mit 177 PS und einem 120 PS starken Elektromotor. Die Systemleistung beträgt 218 PS, das gemeinsame Drehmomentmaximum liegt jenseits von 400 Newtonmetern, wie bei einem guten Diesel.

Das Cockpit des Toyota Camry. Foto: Toyota

Es handelt sich wie bei fast allen Toyota-Hybridmodellen auch beim Camry um einen Vollhybrid, also um ein Auto, das im Gegensatz zum teureren Plug-in-Hybrid nur kurze Strecken mit niedrigem Tempo rein elektrisch zurücklegen kann. Dafür muss sich der Besitzer nicht ums Nachladen der Batterien kümmern, das geschieht stets vollautomatisch im Fahrbetrieb, meistens wird dazu Bewegungsenergie beim Bremsen in Strom umgewandelt (Rekuperation). Toyota nennt keine elektrischen Reichweiten für den Camry, sondern spricht davon, dass „bis zu 50 Prozent der alltäglichen Fahrstrecken“ elektrisch zurückgelegt werden könnten. Was natürlich vor allem für den Stadtverkehr gilt – hallo, Taxi!

Berlin mit hoher Toyota-Dichte

Berlin ist in Deutschland die Stadt mit der höchsten Toyota-Dichte in der Taxiflotte: Jeder vierte Droschkenfahrer verrichtet hier unter dem japanischen Logo seinen Dienst, überwiegend sieht man den Prius im Einsatz. Und egal, welchen Taxifahrer man fragt: Fast alle berichten von hoher Zuverlässigkeit des Hybridsystems und von realen Benzinverbräuchen um fünf Liter auf 100 Kilometer. Geschimpft wird meist nur über die magere Qualität des Arbeitsplatzes. Und Fahrgäste erkennen schnell, dass man in einer Mercedes E-Klasse besser säße als im Prius.

Das kann im Camry nur besser werden, der nicht nur deutlich geräumiger ist, sondern auch gediegener in der Ausstattung und mutmaßlich besser in der Dauerqualität des Gestühls. Fahrgäste finden jedenfalls hinten eine ordentliche Knie- und Kopffreiheit vor, auch sitzt es sich zumindest auf neuen Camry-Polstern recht angenehm. Eine messbare Qualität des neuen Toyota ist aber sein großzügig geschnittener und gut zugänglicher Kofferraum. Er ist nominell nicht viel größer als der des Prius (524 statt 501 Liter), doch würde man das Familiengepäck für eine Fahrt zum Flughafen eher dem Camry anvertrauen.

Gute Verbrauchswerte

Und mit dem realen Verbrauch sieht es auch nicht so schlecht aus. Nach einer ersten Probefahrt über rund 200 Kilometer, auf denen auch die eher sinnlose Sporttaste ausprobiert und die Qualitäten des Fahrwerks bei forcierter Gangart getestet wurden, zeigte der Bordcomputer am Ende einen Wert von 5,6 l/100 km an. Über der Werksangabe von 4,3 Litern nach der alten NEFZ-Norm, allerdings nahe am neuen WLTP-Wert, der 5,3 Liter ausweist. Bedenkt man, dass viele Hybridfahrer sich gern den speziellen Eigenheiten der eingebauten Technik unterwerfen, sind sicher auch Alltagsverbräuche unterhalb des Normwerts zu erzielen.

Zu den Besonderheiten eines Toyota-Hybriden zählt auch beim Camry das Planetengetriebe. Das ist eine stufenlose Gesamtübersetzung, die auch mal Verdruss bereiten kann, speziell im schwächer motorisierten Prius. Dort kommt es häufiger zu Situationen, in denen es sich zumindest so anfühlt, als werde der Motor beim Gasgeben zunächst nur laut und kümmere sich dann erst um den Vortrieb. Das lässt sich auch beim Camry provozieren, etwa wenn man an einer Bergaufpassage zügig beschleunigen möchte, aber insgesamt macht der große Wagen durch seinen deutlich größeren Verbrennungsmotor doch einen gelasseneren Eindruck.

Der Toyota Camry ist vom Fahrwerk her eher als komfortable Langstreckenlimousine ausgelegt, wozu dann allerdings der Hybridantrieb nicht optimal passt. Der spielt seine Stärken vor allem im Kurzstreckenbetrieb aus, wenn die Batterien für den Elektromotor weniger vom laufenden Verbrennungsmotor als vom Schwung der Karosserie beim allfälligen Ausrollen nachgeladen werden. Wer doch mal auf die Autobahn fährt, wird zudem bemerken, dass ein Camry Hybrid – genau wie ein Prius – nicht schneller als 180 km/h fahren kann. Das muss kein Problem sein, aber man sollte es wissen vor dem Kauf.

Preis bei fast 40.000 Euro

Das Heck des Toyota Camry. Foto: Toyota

39.990 Euro wird die Basisversion des Camry Hybrid in Deutschland kosten. Dafür erhält man das Modell „Business“, das serienmäßig einige interessante Ausstattungsdetails bereithält, etwa ein Sicherheitspaket mit Fußgängererkennung und automatischer Notbremse, Spurhalteassistent, Verkehrsschilderkennung und Abstandsregeltempomat. Hinzu kommen Touchscreen, Rückfahrkamera, Parksensoren vorne und hinten sowie Ledersitze mit Heizung und Lordosenstütze. Gegen 2.400 Euro Aufpreis erhält man das Modell „Executive“, das darüber hinaus 18-Zoll- statt 17-Zoll-Räder bietet, außerdem einen Totwinkelwarner sowie einen verbesserten Spurhalteassistenten mit Lenkunterstützung. Dazu kommen ein größeres Display samt Navigationssystem, LED-Scheinwerfer, ein elektrisch verstellbares Lenkrad und ein Ladesystem fürs Smartphone.

Der größte Vorteil der „Executive“-Variante aber dürfte sein, dass man sich damit von den Taxifahrern abhebt – die ordern laut Toyota alle „Business“. (SP-X)

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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