Elektro

«Jedes Windrad, jede Solarzelle macht uns unabhängiger»

Michael Bloss sitzt für die Grünen im Europaparlament. Foto: Privat

Der Ukraine-Krieg hat Europa die Abhängigkeit von fossilen Energien vor Augen geführt. Doch das darf nicht dazu führen, dass es zu einer längeren Laufzeit von Kohle- und Kernkraftwerken kommt, schreibt der grüne Europaabgeordnete Michael Blsos in einem Gastbeitrag.

Von Michael Bloss, MdEP*


Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die energiepolitischen Karten für die Europäische Union völlig neu gemischt. Zwischen März 2021 und März dieses Jahres ist der Ölpreis um 83 Prozent, der Gaspreis um fast 600 Prozent gestiegen – bei der Kohle sieht es auch nicht besser aus. Das füllt Putins Kriegskassen. Jeden Tag überweisen wir Europäer*innen ihm rund 600 Millionen Euro.

Doch Kohle, Öl und Gas füllen nicht nur Putins Kriegskassen, sie heizen auch das Klima der Welt an und zündeln am sozialen Frieden der Europäischen Union. Laut der Internationalen Energieagentur war der CO2-Ausstoß 2021 so hoch wie nie zuvor. Ähnlich steil geht es bei den Heizpreisen weiter. Im Bundeswirtschaftsministerium schätzen die Expert*innen, dass die Gasrechnung für eine Durchschnittsfamilie in einem unsanierten Ein-Familien-Haus im laufenden Jahr um etwa 2000 Euro steigt. Die Spritpreise kennen Sie vermutlich auswendig. Egal wohin wir blicken: Energie aus Kohle, Öl und Gas ist teuer. Verdammt teuer. Das ist nicht allein ein deutsches Problem, sondern gilt für die gesamte Europäische Union.

Schon vor Putins Krieg gegen die Ukraine stiegen die Energiepreise massiv – EU-weit im Januar dieses Jahres um bis zu 25 Prozent. Selbst in Ländern mit einem hohen Atomkraftanteil. Belgien war hier am stärksten getroffen, obwohl das Land gut ein Viertel mit Atomkraft gewinnt. In Frankreich stehen ein Viertel der Atommeiler still, weil sie völlig marode sind.

Europas neue Essenz: Erneuerbare, Wärmepumpen, Isolierungen

Gleichzeitig sind fossile Brennstoffe gefragt. Die Preise steigen, weil die erneuerbaren Energien fehlen. Und damit sind wir auch beim Kohleausstieg in Deutschland gelandet. Wer jetzt am Ausstiegsdatum 2030 rüttelt, ersetzt die Abhängigkeit von russischer Kohle durch eine andere, verschärft die jetzige Klimakrise noch mehr und damit die Kosten durch Dürren oder Fluten. Das wäre völlig verrückt. 2030 ist Schluss mit der Kohle – idealerweise auch EU-weit.

Europas Energiewende war schon vor dem Krieg die einzige logische Lösung, um die Klimakrise einzudämmen. Sie ist es jetzt einmal mehr, um Europas Souveränität wieder herzustellen. Doch bislang kriecht die Energiewende vor sich her. Gerade einmal knapp über 20 Prozent der Energie stammt aus den Erneuerbaren. Das ist unsere größte Wunde. Hinzu kommen 75 Prozent des europäischen Gebäudebestands, die als energetisch sanierungsbedürftig gelten.

Sonnen- und Windkraft, Wärmepumpen und Isolierungen, sowie eine flächendeckende Ladeinfrastruktur sind also jetzt die Essenz für den Turbo der europäischen Energiewende. Sie sind der Garant für Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit. Also müssen wir sie bauen.

„Wir brauchen einen Fahrplan“

Der Fahrplan darf also nicht heißen: Tank-Gutscheine, Braunkohlekraftwerke anschmeißen oder die Laufzeitverlängerung für Atommeiler durchzudrücken. Sie muss vielmehr lauten: Bis Ende des Jahres bauen wir in der EU 1,5 Millionen Solardächer, vier Millionen Wärmepumpen, finanziert durch einen milliardenschweren europäischen Energie-Unabhängigkeitsfonds sowie ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU-Mitgliedsländer in die Erneuerbare. Letzteres klingt viel, aber Energiepolitik ist Sicherheitspolitik und wenn wir ein 2-Prozent-Ziel für die NATO einrichten können, sollten uns die Erneuerbaren ansatzweise so viel wert sein.

Das ist technisch machbar und das Geld haben wir allemal. Es ist ein politischer Wille, der europäisch noch fehlt, den wir aber brauchen. Die Mechanismen dazu gibt es, wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Die Renovierungs- oder Solar-Strategien der Europäischen Union sind da oder werden gerade entwickelt. Die Industrie ist bereit, ihren Teil zu leisten. Bis 2030 können wir so 70 Millionen Solardächer installieren, zehn Millionen Wärmepumpen und eine Renovierungsrate von 3 Prozent jährlich schaffen. Das sind keine haltlosen Zahlen, sondern wissenschaftliche Perspektiven und zum Teil schon politisch getroffene Entscheidungen.

Dieser Fahrplan muss nur gebündelt werden und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat es in der Hand, ihn umzusetzen. Dafür braucht es ein Gesetz und das kann nur die Kommissionschefin auf den Weg bringen.

Und das muss sie machen. Denn Putins Hebel sind die Gaspipelines, Kohleminen oder Öltanker. Seine größte Befürchtung ist ein energieunabhängiges Europa. Jedes Windrad, jede Solarzelle macht uns unabhängiger von ihm. Wir sparen Geld, produzieren sauberen Strom. Wir müssen sie nur bauen.

Den Schlüssel für dieses Projekt haben wir in der Hand. Es ist der Schlüssel für Europas Freiheit. Für ein neues, klimafreundliches und souveränes Europa. Und alles was es braucht, ist ein Gesetz für Europas neue Sicherheitspolitik. Aber anstatt Waffen, sind es Solaranlagen, Windräder, Wärmepumpen und Isolierungen.

Zur Person

Michael Bloss (39) sitzt für Bündnis 90/die Grünen seit Mai 2019 im Europaparlament. Der gebürtige Stuttgarter ist dort stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und klimapolitischer Sprecher seiner Partei. Bloss hat an der TU Dresden „Internationale Beziehungen“ studiert und im Anschluss seinen Master in „Globalisation and Development“ an der School of Oriental and African Studies in London gemacht.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklärst Sie sich damit einverstanden.

Schließen