Lifestyle

Patricia Kopatchinskaja: Ich bin die erste Sünderin

Die international berühmte Geigerin Patricia Kopatchinskaja engagiert sich für mehr Klimaschutz. Foto: Raphaël Faux/Gstaadphotography

Der Begriff Klimawandel ist für Patricia Kopatchinskaja viel zu harmlos. Die international bekannte Geigerin spricht lieber von Klimakatastrophe – und engagiert sich für mehr Umweltschutz.

Von Corina Kolbe


Für Patricia Kopatchinskaja ist Kunst Feuer, nicht Asche. Wenn die temperamentvolle Geigerin eine Bühne betritt, sorgt sie stets für Überraschungen, so wie kürzlich beim Menuhin Festival Gstaad in der Schweiz. Bei ihrem Auftritt mit dem Mailänder Ensemble Il Giardino Armonico unter Leitung von Giovanni Antonini kombinierte sie Werke des legendären Barockkomponisten Antonio Vivaldi mit zeitgenössischer Musik aus Italien. Dabei erklangen immer wieder auch schrille Töne, die Hörgewohnheiten auf den Kopf stellten.

“Kunst muss dich bewegen”, sagte sie einmal, “sonst erstarren wir.” Ebenso kompromisslos setzt sich die aus Moldawien stammende Musikerin seit Jahren mit dem Phänomen des Klimawandels auseinander. Ein Begriff, der ihr eigentlich zu harmlos klingt und den sie lieber durch Klimakatastrophe ersetzt. Mit ihrem Engagement für Nachhaltigkeit will sie ihr Publikum in aller Welt aus der Komfortzone holen. Denn Kopatchinskaja ist davon überzeugt, dass für die Erde die Uhr längst auf fünf vor zwölf steht. ” Auf dem Pfad zur Selbstverbrennung, nach der auch keine Kultur mehr möglich sein wird, sind wir schon weit fortgeschritten. Ich spüre, dass wir uns an einem Abgrund befinden. Wir müssen uns fragen: Können wir irgendwie noch etwas retten?”

«Music for the Planet»

Für Patricia Kopatchinskaja steht die Uhr mit Blick auf die Klimakrise bereits fünf vor zwölf. Foto: Julia Wesely

Auch das Menuhin Festival hat den Klimaschutz jetzt groß auf seine Fahnen geschrieben. Unter dem Motto “Wandel” werden sich die kommenden drei Ausgaben mit gesellschaftlichen Veränderungen befassen, nicht zuletzt auch mit dem Verhältnis des Menschen zur Natur. Als Botschafterin der neuen Konzertreihe “Music for the Planet” wird Kopatchinskaja begleitend zu den Themenschwerpunkten “Demut”, “Transformation” und “Migration” eigene Programme gestalten, die Antworten auf dringliche Zukunftsfragen suchen.

“Angesichts von Klimawandel und Artensterben können die großen Werke der klassischen Musik neue, ahnungsvolle Bedeutung erhalten”, erklärte Christoph Müller, künstlerischer Leiter des Festivals, das jeden Sommer in Gstaad, Saanen und anderen Orten im Berner Oberland stattfindet. “Wir verspüren eine hohe Verantwortung, sowohl im eigenen Handeln als auch in künstlerischer Form auf die Herausforderungen unserer Zeit einzugehen.”

Um eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie entwerfen zu können, arbeitet das Festival mit der in Zürich ansässigen Stiftung myclimate zusammen. Die internationale Initiative rechnet sich zu den weltweiten Qualitätsführern von freiwilligen CO2-Kompensationsmaßnahmen. Sie berät Unternehmen, die öffentliche Verwaltung, Non-Profit-Organisationen, Veranstalter und Privatpersonen. Seit der Gründung im Jahr 2002 hat myclimate Klimaschutzprojekte in 45 Ländern entwickelt und unterstützt.

Ab Anfang 2022 ließ das Menuhin Festival in Kooperation mit der Stiftung sämtliche CO2-Emissionen der Geschäftsstelle und des Gesamtbetriebs einschließlich aller Veranstaltungen bemessen. Auch die Mobilität und die Übernachtungen der Künstlerinnen und Künstler sowie der jährlich über 25.000 Konzertbesucher gingen in die Berechnungen ein. Laut den Ende August vorgestellten Messergebnissen entstanden Treibhausgasemissionen in Höhe von insgesamt rund 2100 Tonnen CO2. Dies entspricht durchschnittlich 82 Kilo CO2 pro Person und Konzertbesuch. Die Daten werden nun weiter analysiert und bilden die Basis für künftige Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die auf Einsparungen oder Kompensationen von Treibhausgasen abzielen.

Klimafreundliche Anreise per Bahn

Patricia Kopatchinskaja ist sich ihres eigenen hohen CO2-Fußabdrucks bewusst. Foto: Raphaël Faux/ Gstaadphotography

Vor allem die An- und Abreisen sowie die Übernachtungen von Festivalgästen und Künstlern stellen das Festival vor größere Herausforderungen. Künstler und Orchester, die klimafreundlich mit der Bahn anreisen, sollen künftig bei der Programmplanung bevorzugt werden. So wird beispielsweise das Orchestre Philharmonique de Radio France mit dem TGV aus Paris anreisen. Noch weniger Kilometer muss das Freiburger Barockorchester auf der Schiene zurücklegen.

Für den Schutz der Umwelt trat bereits der Geiger Lord Yehudi Menuhin ein, der das Festival 1957 gegründet hatte. “Das Recht der Menschen auf Stille, auf saubere Luft und reines Wasser, auf Wiesen und Wälder und nicht verunreinigte Lebensmittel gehört in die Verfassung aller Staaten”, forderte er. An den weltbekannten Virtuosen, der 1999 in Berlin starb, erinnert heute der Yehudi- Menuhin-Philosophenweg, der von Gstaad aus den Fluss Saane entlang bis zum Dorf Saanen führt. Am Wegesrand sind zwölf Tafeln mit Zitaten des Musikers aufgestellt.

Um die Spielorte im Saanenland, etwa das Festivalzelt in Gstaad und verschiedene Kirchen, zu erreichen, gibt es attraktive Alternativen zum PKW. Ab Zweisimmen kann man einen Panoramazug in Richtung Montreux nehmen und unterwegs die malerische Berglandschaft bestaunen. Trotz der großen Dürre im letzten Sommer sind die Wiesen, auf denen Kühe weiden, immer noch saftig grün. Ein besonderes Reiseerlebnis bietet der Belle Époque-Zug der GoldenPass Line mit holzgetäfelten Decken und türkisblauen Polstern, der nach einem Vorbild aus den 1930er Jahren im Stil des Orient Express gestaltet worden ist. Das mit dem Festival kooperierende Hotel Ermitage in Gstaad-Schönried serviert seinen Gästen Quellwasser, Käse, Butter und andere frische Lebensmittel, die direkt am Ort produziert werden.

Bewusstsein über ökologischen Fußabdruck

Patricia Kopatchinskaja, die mit ihrer Familie in Bern lebt, hat es von dort aus nicht weit nach Gstaad und Saanen. Sie ist verheiratet mit dem ehemaligen Arzt und Grünen-Politiker Lukas Fierz, der früher auch im Nationalrat für den Erhalt der Natur kämpfte. Dass sie als Solistin mit Auftritten in aller Welt einen erheblichen ökologischen Fußabdruck hinterlassen muss, ist ihr bewusst. “Ich bin die erste Sünderin”, sagt sie selbstkritisch. “Musikerin zu sein und nicht zu reisen, ist unvorstellbar. Ich versuche aber meine Reisen zu reduzieren und so wenig zu fliegen, wie es geht. Der gesamte Musikbetrieb muss sich ändern. Musiker, Veranstalter, Reisebüros und andere sollten zusammenarbeiten, um das Klima und die Umwelt besser zu schützen.” Ein Auto besitze sie nicht, verrät Kopatchinskaja. “Im Alltag bewege ich mich viel zu Fuß, Konzertreisen unternehme ich soweit wie möglich mit dem Zug.” Auch das Kammerorchester Camerata Bern, mit dem sie regelmäßig als “Artistic Partner” zusammenarbeitet, bemüht sich, fast ausschließlich per Bahn oder Bus auf Tourneen zu gehen.

Zu ihren Lieblingsorten in Bern gehört der Bremgarten-Wald. In dem Naherholungsgebiet befindet sich auch der Glasbrunnen, eine gefasste Quelle, die Esoteriker als mystischen Kraftort sehen. Auch Kopatchinskaja empfindet die Quelle als magisch. “Während des Lockdowns in der Corona-Pandemie spielte ich dort mein einziges Solokonzert – für Vögel und für Nachbarn, die in sicherer Distanz vorbeispazierten. Eigentlich sind wir Musiker wie Vögel. Wenn wir nicht mehr spielen dürfen, ist es so, als würde man den Vögeln das Zwitschern verbieten.” In unmittelbarer Nähe zur Natur lebte sie auch in Moldawien, wo sie 1977 geboren wurde. Die ersten sechs Lebensjahre verbrachte sie bei den Großeltern auf einem Dorf, weil die Eltern als professionelle Volksmusiker die meiste Zeit unterwegs waren. Noch heute erinnert sie sich an die Maisfelder und die Tiere, die ihr Großvater, ein Veterinär, täglich behandelte.

Im Klassikbetrieb ist das Thema Klimaschutz längst angekommen. Foto: Raphaël Faux/Gstaadphotography

Für die Renaturierung von Auenwäldern in ihrer alten Heimat engagierte sich die Geigerin bereits in gemeinsamen Projekten mit Musikern der Staatskapelle Berlin, die seit 2011 jährlich Klimakonzerte veranstalten. Deren Erlöse kommen Nachhaltigkeitsprojekten in aller Welt zugute. Generalmusikdirektor Daniel Barenboim hat die Schirmherrschaft inne. Ziel ist, sich in kreativen Konzertformaten mit der Klimakrise auseinanderzusetzen. Zusammen mit ihrem Publikum wollen sie erreichen, dass die Erde auch für die nachfolgenden Generationen ein lebenswerter Ort bleibt. Die Initiative ist längst über Berlin hinausgewachsen. Im Sommer 2020 wurde mit Mitgliedern zahlreicher weiterer deutscher Berufsorchester der Verein Orchester des Wandels Deutschland e.V. gegründet. Die Musiker sind mit Wissenschaftlern und lokalen Organisationen vernetzt, um im Orchesteralltag möglichst effizient CO2-Emissionen einzusparen beziehungsweise zu kompensieren. Ein zentrales Projekt des Vereins konzentriert sich auf die Aufforstung im Masoala Nationalpark in Madagaskar und auf die nachhaltige Gewinnung bedrohter Edelhölzer für den Instrumentenbau. Dieses Projekt wurde von dem Biologen Martin Bauert, Leiter Naturschutz im Zoo Zürich, konzipiert, mitfinanziert und evaluiert. Durchgeführt und überwacht wird es von der Wildlife Conservation Society (WCS).

In Moldawien ist der Wald im Delta des Donau-Zuflusses Pruth durch das von Kopatchinskaja mitinitiierte Projekt bereits um mehr als 30 Hektar angewachsen. Das allein reicht aber noch nicht aus. Die bisherigen Gegenmaßnahmen gegen die Erderwärmung seien halbherzig und ungenügend, mahnt sie. “Die jetzt schon zu beobachtenden Dürren, Hungersnöte, Staatszusammenbrüche und Massenmigrationen sind nur ein schwaches Vorspiel dessen, was in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten ist.”

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