Julia Görges gehört zu den besten deutschen Tennisspielerinnen. Die Corona-Pandemie hat auch ihr Leben verändert – durchaus zum Positiven.
Von Jörg Allmeroth
Es ist ein angenehmer, sonniger Spätsommertag Ende August, an dem Julia Görges in ihrem Lieblingscafe „Anna“ in der Regensburger Altstadt sitzt. Das große Tennis, in dem sie seit vielen Jahren eine tragende Rolle spielt, ist sehr weit weg an diesem Tag. Viele tausend Kilometer, um genau zu sein. Eigentlich wäre Görges in dieser Zeit ja wieder einmal bei den US Open unterwegs, beim letzten Grand Slam-Turnier der Tenniswelt.
Aber 2020 ist eben ein „Eigentlich-Jahr“, ein Jahr, in dem nichts so ist, wie es immer war. 2020 ist das Jahr der Corona-Pandemie, und deswegen ist die 31 Jahre alte Profispielerin auch sicherheitshalber zuhause geblieben in Regensburg. Die US Open schaut sie am Fernsehen, wie Millionen Tennisfans rund um die Erde. „Diese ganzen Einschränkungen, diese Art, das Turnier in New York zu veranstalten, das passt nicht zu meinem Tennisleben im Moment“, sagt Görges, „eingesperrt zu sein in einer Blase, nur hin- und herzufahren zwischen Hotel und Turnieranlage, da habe ich keine Freude dran.“
„Genossen, den Sommer daheim zu verbringen“
Seit sechs Monaten befindet sich auch Görges in einem permanenten Ausnahmezustand. Vieles in ihrem Alltag ist neu, fremd, ungewohnt. Aber nicht alles ist auch unangenehm. „Am Anfang war das Herunterfahren im Job wirklich komisch. Da habe ich sogar schlecht geschlafen, weil der sonstige Druck, die Anspannung nicht da waren“, sagt Görges, „aber irgendwann habe ich es genossen, nicht mehr ständig herumzureisen. Nicht wieder an das nächste Turnier, an die nächsten Matches denken zu müssen.“
Die Entschleunigung kam für Görges nach knapp dreizehn Jahren in der Tretmühle des globalen Wanderzirkus, sie ist eine der rastlosen Nomadinnen, die sonst unablässig durch Zeitzonen und über die Kontinente jetten. „Auf einmal hattest du richtig viel Zeit vor dir. Zeit für dich selbst“, sagt Görges, „ich habe es wirklich genossen, den ganzen Sommer daheim zu verbringen. Das hatte ich noch nie in meinem Erwachsenen-Leben.“
Daheim, das ist seit fünf Jahren das beschauliche Regensburg – Standort für Trainingslager und persönlicher Lebensmittelpunkt. „2015 hatte ich das Gefühl, einfach noch mal einen Neuanfang versuchen zu müssen“, sagt Görges, „ich brauchte Luftveränderung, frische Impulse.“ Der radikale Schritt, der Wechsel aus dem schleswig-holsteinischen Geburtsort Bad Oldesloe hinunter nach Südostbayern, sollte sich bald auszahlen. 2017 erlebte Görges ihre beste Saison, sie gewann im chinesischen Zhuhai die B-WM, schloss die Serie als beste Deutsche noch vor Angelique Kerber ab. 2018 folgte der sportlich wertvollste Coup mit dem Einzug ins Wimbledon-Halbfinale, erst Großmeisterin Serena Williams konnte damals den brillanten, unwiderstehlichen Siegeszug von Görges stoppen.
„Raum für ganz andere Aktivitäten“
Görges hatte viele Jahre darunter gelitten, dass ihr gefühlsbetontes, aggressives, aber auch schwankungsreiches Spiel nicht zu ihrem kühlen Intellekt passte, auch zur Qualität, Probleme messerscharf zu analysieren. Sie war deshalb oft selbst ihre schärfste Kritikerin. Die Veränderungen, die sie als Chefin des Unternehmens Julia Görges zuletzt vornahm, schufen indes neues Selbstbewusstsein und Zufriedenheit: „Ich bin dankbarer für das Leben auf der Tour und habe das richtige Maß gefunden. Ich bin soweit, Siege und Niederlagen richtig einzuordnen. Es ist einfacher, wenn man sich nicht dauernd Druck macht.“
Aus den ersten Corona-Monaten hat sie nun noch eine ganz andere Erkenntnis mitgenommen, eine „sehr wichtige Erfahrung“: „Ich weiß, dass ich in meinem Leben nach dem Tennis ziemlich gut zurechtkommen werde.“ Natürlich hat sie die großen Tennisbühnen anfangs vermisst, das Duell Frau gegen Frau, die rauschhaften Siegesmomente. Aber eben nicht so sehr vermisst, dass sie jemals kreuzunglücklich gewesen wäre. „Plötzlich“, sagt Görges, „war da Raum für ganz andere Aktivitäten.“ Zum Beispiel fürs Verschönern des eigenen Heims. Sie liebe es einfach, „zu dekorieren und zu designen“, sagt Görges, „und deshalb war ich wahrscheinlich eine der fleißigsten Besucherinnen in den Heimwerkermärkten.“ Eine Gartenlounge hat sie neu eingerichtet, das Gästezimmer umgestaltet, Schränke ausgeräumt, den hauseigenen Fitnessraum aufgemotzt. „Es war immer genug zu tun, und ich habe es auch angepackt“, sagt Görges.
Ein Gefühl von Flugscham
Dass auf einmal alles eine Spur „kleiner, überschaubarer, regionaler“ war für sie, nahm sie auch gern im Wissen hin, „dass es unserem Planeten mal gut tun wird: Es ist doch schon klar, dass wir seit vielen Jahren über unsere Umweltverhältnisse leben. Wir leben ja irgendwie auf Pump.“ Nachhaltigkeit sei ein großes Thema für sie, sagt Görges, „ich mache da alles, was ich mit meinen Möglichkeiten tun kann. Wir alle müssen schauen, dass wir alle, jeder Einzelne, mit ersten kleinen Schritten anfangen, einen gemeinsamen großen Effekt zu erzielen. Ich will etwa so wenig Plastik benutzen wie nur irgend möglich.“ „Schwierig“ sei halt das Thema Fliegen für sie: „Da habe ich kein gutes Gefühl bei den vielen Reisen“, sagt Görges, „aber es ist mein Beruf, mit dem ich Geld zu verdienen habe. Und zu vielen Orten komme ich eben nicht anders hin als mit dem Flugzeug. Das ist relativ schwierig.“
In Regensburg lässt Görges das Auto am liebsten stehen, radelt in die Stadt hinein: „So bekomme ich auch immer einen Parkplatz.“ Sie hofft auf mehr Carsharing und einen Durchbruch der E-Mobilität, unterstützt und begrüßt alle Aktivitäten ihres Top-Sponsorpartners Porsche hin zur Nachhaltigkeit oder der CO2-freien Produktion. Und würde selbst bald gerne mal von einer guten Lade-Infrastruktur als potenzielle E-Mobilistin profitieren, sagt Görges, mit der wir in Regensburg für das Shooting im Taycan unterwegs waren, dem ersten reinen E-Auto des Stuttgarter Autobauers. „Beeindruckend leise“, staunt Görges bei der kleinen Tour, „ein tolles Fahrerlebnis. Wenn man neben dem Taycan steht und er anfährt, hört man praktisch nichts.“
Ein kleines Jubiläum naht
Im nächsten Jahr steht ein kleines Jubiläum an für die deutsche Nationalspielerin. 2011 gewann sie ja in Stuttgart als erste aus der „goldenen Generation“ – neben Kerber, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki – ein ganz großes Turnier. Passender Weise in Stuttgart beim Porsche Tennis Grand Prix, passender Weise auch noch gegen die seinerzeitige Nummer 1, die Dänin Caroline Wozniacki. „Es war eine verrückte Woche“, sagt Görges, „auf einmal wurde ich voll in die Öffentlichkeit geschleudert. Die Erwartungen waren danach riesengroß.“ Görges erinnert sich noch an den Anfang der Turnierwoche, als sie mit ihrer Mutter an dem Porsche vorbeischlenderte, den die Siegerin traditionell neben Siegerscheck und Pokal erhält: „Ich sagte zu meiner Mutter: Den fahren wir am Sonntag nach dem Finale weg. Da hat sie mich angestarrt und gesagt: Was redest Du denn da. Nach dem Finale lautete ihre Frage: Was hast Du denn jetzt bloß gemacht.“
Görges hat nicht alles erreicht, was sie sich einmal erträumt hat für ihr Profileben. Aber sie ist alles andere als unzufrieden, sie trauert auch nicht „irgendwelchen Fehlern“ hinterher, die man nun einmal in einer langen Karriere mache: „Ich bin glücklich, wie ich mich als Mensch, als Persönlichkeit, als Spielerin entwickelt habe“, sagt sie, „ich habe nicht wirklich die große Rechnung offen.“ Tennis spielt sie in diesen Tagen, in Corona-Zeiten oder jenseits der Pandemie, vor allem, „um diese Zeit auch genießen zu können und Spaß auf dem Court zu haben.“ Dafür hat sie sich ein „Spitzenteam“ ausgesucht, einen Kreis professioneller Dienstleister, die ihr perfekt zuarbeiten und assistieren. „Ich kann nur zufrieden sein, wenn meine ganze Truppe zufrieden ist“, sagt Görges, „auf den Teamgedanken lege ich ganz großen Wert.“
Als sie im März im kalifornischen Indian Wells ankam, nach 24 Stunden Flug aus Deutschland, begann jäh der große Stillstand im Welttennis. Das Turnier wurde abgesagt, Görges setzte sich wieder in den Flieger Richtung Heimat, noch mal 24 Stunden war sie unterwegs. „Im Bewusstsein angekommen ist das alles dann erst mit Verzögerung“, sagt Görges, „anfangs hielt ich es noch für einen Scherz.“ Sie hofft nun, dass Indian Wells 2021 der wirkliche Tennis-Neuanfang sein könnte, die Rückkehr zu sehr viel mehr Normalität.
Aber an diesem Spätsommertag in Regensburg, bei einem Latte Macchiato mit Hafermilch im Cafe „Anna“, da weiß Görges auch, dass vieles eben Hoffnung ist. Nicht Wissen, nicht Gewissheit. „Wahrscheinlich müssen wir alle damit leben, in eine unklare Zukunft zu blicken“, sagt Görges, „aber ich habe keine Angst vor dieser Zukunft.“
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