Die Zeiten fossiler Energien neigen sich dem Ende entgegen. Das trifft insbesondere auf die Kohle zu, einem der großen CO2-Emittenten. Im einstigen Kohlekraftwerk in Luckenwalde in Brandenburg produziert der Performance-Künstler Pablo Wendel Grünstrom. Doch was hat das mit Kunst zu tun? Darüber hat sich electrified-Autorin Corina Kolbe mit Wendel unterhalten.
In einem ehemaligen Kohlekraftwerk in Brandenburg produziert der Performance-Künstler Pablo Wendel aus Holzabfällen Co2-neutrale Energie. Damit deckt er nicht nur den gesamten Strombedarf seines Kunstzentrums – überschüssige Elektrizität wird deutschlandweit ins öffentliche Netz eingespeist.
Seit 1913 lieferte das Kraftwerk im brandenburgischen Luckenwalde Strom aus Braunkohle, es überstand zwei Weltkriege und die DDR-Zeit. Nach der Wende wurde die über 10.000 Quadratmeter große Anlage im Landkreis Teltow-Fläming stillgelegt. Als der Künstler Pablo Wendel das denkmalgeschützte Ensemble vor einigen Jahren entdeckte, nahm ihn die Magie dieses verlassenen Ortes sofort gefangen. Sein Ziel, auf dem Gelände Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen und zugleich Kunst zu präsentieren, hat er inzwischen erreicht.
Kunststrom aus Holzgas
Das E-Werk Luckenwalde, von Berlin aus in einer knappen Stunde mit dem Auto oder der Bahn zu erreichen, ist über die Region hinaus zu einem Magneten für Künstler und ihr Publikum geworden. Kunst und Elektrizität sind sozusagen in einem gemeinsamen Kreislauf miteinander verbunden. Seit über drei Jahren wird hier so genannter „Kunststrom“ aus Holzgas gewonnen, der auch deutschlandweit in das öffentliche Netz eingespeist wird. Durch die Einnahmen aus den Stromverkäufen werden wieder neue Kulturprojekte finanziert. „Es war ein ganz besonderer Moment, als im September 2019 nach langer Vorbereitungszeit endlich der Hebel zur Stromproduktion umgelegt wurde“, erinnert sich der Initiator. Das Kunstzentrum mit seinen Ausstellungsräumen öffnete zur gleichen Zeit seine Pforten.
Wie wurde Wendel zum Stromanbieter? Der gelernte Steinbildhauer hatte sich schon während des Studiums in Richtung Performance-Kunst orientiert. Mit einigen Aktionen sorgte er international für Aufsehen. 2006 mogelte sich Wendel in Zentralchina in einem selbstgebastelten Kostüm unter die Krieger der weltberühmten Terrakotta-Armee, die in einem Mausoleum nahe der Stadt Xi’an zu sehen sind. In einer Stuttgarter Galerie zeigte er die Installation „Telekonnektofonie“: Ein Computer wählte per Zufallsgenerator Telefonnummern in aller Welt an und schaltete wildfremde Leute zusammen.
Idee aus der Not geboren
Von solchen Kunstaktionen zu leben, ist allerdings schwierig. „Ich verkaufe ja keine Bilder, die man sich an die Wand hängen kann“, sagt er. „Irgendwann geriet ich deshalb in eine wirtschaftliche Krise. Dass ich plötzlich nicht nur meine Miete, sondern auch die Nebenkosten nicht mehr zahlen konnte, war ein Schlüsselerlebnis.“ Wendel, der sich seit seiner Kindheit für Elektrizität und Handwerk interessiert, beschloss kurzerhand, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Ich fing an, mit Photovoltaik und Generatoren zu experimentieren, um mein eigener Stromlieferant zu werden“, erzählt er. „Damit konnte ich bald die Nebenkosten immens senken, bis ich irgendwann gar keine mehr hatte. Denn ich produzierte mehr Elektrizität, als ich selbst verbrauchen konnte.“
Einige Jahre vorher, 2008, hatte er bereits mit seiner Installation „Schmarotzer“ Leuchtreklamen in der Stuttgarter Innenstadt „angezapft“ und damit rund um die Uhr eine Glühbirne in einem Ausstellungsraum betrieben. Solarmodule, die mit ihrer schwarz beklebten Rückseite nach außen auf die Werbetafeln montiert wurden, verwandelten das Licht der Reklame in Energie. Zugleich legten sich die Module wie Zensurbalken über die Werbung und verfremdeten sie. „Viel Strom wurde damit zwar nicht gewonnen“, räumt er ein. „Es war aber spannend zu beobachten, dass Ladenbesitzer, die sich bis dahin kaum kannten, durch die Kunstaktion miteinander vernetzt wurden.“
Wendel setzte stets auf das Prinzip „Learning by Doing“. Über einen befreundeten Elektriker habe er sich schon früh mit Drehstrom, Wechselstrom oder Dreiphasen-Starkstrom vertraut gemacht, sagt er. „Ich habe mich dann immer weiter vorangetastet. Mittlerweile baue ich auch größere Anlagen selbst. Im Zweifelsfall hole ich mir natürlich immer Rat von Fachleuten, ich habe ein großes Netzwerk an Kontakten.“
Projekt in Stuttgart
2012 gründete er in Stuttgart die gemeinnützige GmbH Performance Electrics, um mit verschiedenen Partnern „Kunststrom“ zu erzeugen. Kunstaktionen im öffentlichen Raum und Installationen liefern seitdem nachhaltig erzeugte Energie, die Kunden von Performance Electrics beziehen können. Andere Unternehmen steuern Know-how und ausgediente Maschinen bei. An den Projekten an wechselnden Standorten beteiligen sich Designer, Architekten, Künstler und Kunsthistoriker. Die Straßeninstallation „Offroad“ besteht beispielsweise aus sieben je acht Meter hohen Windskulpturen, die aus alten Straßenpfosten und Verkehrsschildern gebaut wurden. „Mit einer einzigen Skulptur haben wir bei gutem Wind im Schnitt 2,4 Kilowattstunden Leistung produziert – das reicht für eine kleine Familie.“ Auch Solarskulpturen kommen als alternative Energieproduzenten zum Einsatz.
Die Stromkunden -zurzeit rund 50 Privathaushalte und Vereine – tragen direkt zur Finanzierung neuer Projekte von Performance Electrics bei. Möglich wird dies durch eine Kooperation mit der in Heidelberg ansässigen Energiegenossenschaft Bürgerwerke, die die Kunden betreut und die Buchhaltung übernimmt. „Die Idee, das Elektrizitätsnetz – ein riesiges Geflecht aus Kupfer, Aluminium und Stahl, das sich über das ganze Land ausbreitet – mit einem künstlerischen Impuls zu verbinden, fand ich sehr interessant“, sagt Wendel. „Die subversive Vorstellung, mit Kunst in diesen Bereich einzudringen, hat mich gereizt. Mit der Gründung eines gemeinnützigen Stromanbieters haben wir uns gegen bestehende Systeme gestellt, die rein auf Gewinnausschüttung angelegt sind. Wer den Stromanbieter wechselt und zu uns kommt, fördert über seine Nebenkosten Kunst und Kultur und kein börsennotiertes Unternehmen.“
Als die Zukunft der historischen Wagenhallen, Wendels Stützpunkt im teuren Stuttgart, unsicher erschien, schaute er sich auf Rat von Freunden hin in Brandenburg um, wo viel Leerstand herrscht. „Über Umwege kam ich nach Luckenwalde. Als ich vor dem alten Kraftwerk stand, war ich plötzlich wie elektrifiziert. Ich spürte, welch eine unglaubliche Energie von diesem Ort ausging. In der Anlage war noch vieles aus früheren Zeiten erhalten“, schwärmt Wendel.
2017 Kraftwerk gekauft
Ende 2017 kaufte er das Kraftwerk, dessen bisherige Besitzer an einer kulturellen Nachnutzung interessiert waren. „Sie fanden unser Kunststrom-Konzept stark und sind uns bei der Finanzierung enorm entgegengekommen.“ In die Umstellung der alten Anlage auf einen CO2-neutralen Betrieb waren auch ehemalige Beschäftigte des Kraftwerks eingebunden. „Manche von ihnen sind inzwischen über 80 oder sogar 90 Jahre alt. Anfangs waren sie ein bisschen skeptisch, dann haben sie erkannt, dass ich die Sache absolut ernst nahm“, erzählt Wendel. „Die Weltkriege, die DDR-Zeit und die Wende haben ihre Spuren hinterlassen, vieles ist verändert worden. Dieses Puzzle konnten wir nur gemeinsam mit Zeitzeugen wieder zusammensetzen.
Mit Unterstützung der Firma Spanner Re² aus Bayern hat Performance Electrics den Produktionsbetrieb in Luckenwalde auf Holzstrom umstellen können. im Keller des vierstöckigen Kraftwerks werden geschredderte Holzchips, die aus Baumabfällen in umliegenden Wäldern gewonnen werden, in einem so genannten Pyrolyse-Verfahren in Gas umgewandelt. Dieses Gas sei zwar nicht so energiedicht wie Erdgas. Es reiche aber aus, um einen Motor auf Benzinbasis zu anzutreiben, mit dem dann Strom produziert werde, so Wendel. Statt hohe Nebenkosten für die Beheizung des Gebäudes aufbringen zu müssen, verdienen die Künstler mit der Netzeinspeisung überschüssiger Energie sogar Geld.
Turbinenhalle bietet ausreichend Platz
Mit seiner Partnerin Helen Turner, einer britischen Kunstkuratorin, hat Wendel die historischen Räume in Ausstellungsflächen verwandelt. Allein die frühere Turbinenhalle bietet Platz auf 350 Quadratmetern. Wendel und Turner leben mit ihren zwei Kindern in einer ehemaligen Hausmeisterwohnung. Weitere Räume haben sie als Ateliers und Werkstätten an Maler, Bildhauer und Handwerker vermietet. In einem während der Corona-Pandemie entstandenen Dokumentarfilm des Senders rbb zeigte Turner Skulpturen aus der Serie „Hot Springs“, die von dem französischen Künstler Nicolas Deshayes geschaffen wurden. Die wurmähnlichen Gebilde waren aus Metall und wurden von innen durch durchgeleitetes heißes Wasser erwärmt. Dafür nutzten die Künstler Abwärme, die bei der Stromproduktion im Haus entstand.
Originell ist auch „Super Duty“, ein ehemals als Feuerwehrauto genutzter Ford C850, Baujahr 1969, der 2021 zum CO2-neutralen Fahrzeug mit Holzgasantrieb umgerüstet wurde. „Die Energiewende muss auch eine Mobilitätswende sein“, betont Wendel. Eine Tankfüllung Holz reicht immerhin für etwa 450 bis 500 Kilometer Fahrt. Unterwegs wird mit Restholz getankt, was allerdings nicht in jeder Situation einfach zu beschaffen sein dürfte. In Frage kommen etwa alte Gartenzäune, Stühle oder Tische, zerkleinert wird alles in einem Schredder direkt an Bord. Experimente mit Holzvergaser-Fahrzeugen gab es in Deutschland schon während des Zweiten Weltkriegs, als Benzin Mangelware war. „Super Duty“ ist außerdem mit einer eingebauten Bühne ausgestattet und wird so nicht nur zum rollenden Kraftwerk, sondern auch zur mobilen Event-Plattform.
Die Veranstaltungen im E-Werk kreisen häufig um das Thema Energie. Die Schau „Cold Light“ etwa wurde durch die ersten elektrischen Lampen inspiriert. Eine andere Ausstellung trug den Titel „Power Nights“, und bei dem Event „Currents“ konnte man kürzlich Live-Kunst und elektronische Musik erleben. Das Feedback auf unsere Projekte ist gigantisch, nach der Corona-Zeit geht es wieder bergauf, freut sich Wendel. „Zu einem Fest kamen im vergangenen Sommer rund 1500 Besucher, nicht nur aus Berlin und Brandenburg. Unser Publikum ist sehr international.“