Das Insektensterben schreitet unaufhörlich voran, selbst in Schutzgebieten. Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Dass das Insektensterben problematisch ist, wussten Experten und Naturfreunde längst. Dass die Situation indes so dramatisch ist, nicht. Nach einer aktuellen Studie der TU München (TUM) schrumpft die Zahl und die Artenvielfalt von Insekten deutlich.
Für ihre Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Lehrstuhls für Terrestrische Ökologie an der TUM zwischen 2008 und 2017 auf 290 Flächen in Brandenburg (Schorfheide-Chorin), Thüringen (Hainich-Dün) und Baden-Württemberg (Schwäbische Alb) mit Keschern und Flugfensterfallen eine Million Insekten gesammelt. So konnten die Forscher nachweisen, dass viele der annähernd 2700 Arten rückläufig sind. In manchen der untersuchten Regionen wurden einige seltene Arten überhaupt nicht mehr gefunden. Nach zehn Jahren fanden die Forscherinnen und Forscher auf den untersuchten Wald- und Wiesenflächen etwa ein Drittel weniger Insektenarten vor.
Bereits die Krefelder Studie aus dem Jahr 2017 hatte die Fachwelt aufgeschreckt. Danach nahm die Gesamtmasse an Fluginsekten in Teilen Deutschlands um über 70 Prozent ab. Doch die Krefelder Studie hat sich nur auf den Rückgang der Biomasse konzentriert, also das Gesamtgewicht aller Insekten.
Großteil aller Insektengruppen betroffen
Die Münchner Wissenschaftler indes haben nun bei ihrem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt einzelne Arten untersucht. „Dass tatsächlich ein Großteil aller Insektengruppen betroffen ist, war bisher nicht klar“, sagte Sebastian Seibold, Forscher am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie, gegenüber electrified.
Ein interessantes Ergebnis der Studie ist, dass selbst in Schutzgebieten ein fast so großer Rückgang an Insekten feststellbar war, wie auf stark bewirtschafteten Flächen, so Seibold. „Das hat uns auch überrascht.“ Den größten Insektenschwund stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch auf Grünlandflächen fest, die von Ackerland umgeben sind. Welche Arten besonders vom Insektensterben betroffen sind, kann man derzeit noch nicht sagen, berichtet Seibold, „denn die Auswertung der Ergebnisse läuft noch“.
Wie Katrin Wenz vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sagt, gehören Wildbienen zu den besonders stark gefährdeten Insekten. „Sie sind nicht nur deshalb gefährdet, weil ihnen die Agrarlandschaft wenig Lebensraum bietet, sondern weil sie besonders durch den Einsatz so genannter Neonicotinoide gefährdet sind, einem hochwirksamen und weit verbreiteten Insektizid“, so die Agrarexpertin. Die EU sei bereits bei einigen Wirkstoffen aktiv geworden und habe sie vom Markt genommen, aber Neonicotinoide werden trotzdem weiter eingesetzt“.
Ernteverlust durch fehlende Insekten
Das fortschreitende Insektensterben werden die Menschen unterschiedlich stark zu spüren bekommen. So hätten einige „Insekten bei Nutzpflanzen eine Bestäubungsleistung, andere bei Wildpflanzen“, so Wenz: „Wenn Insekten fehlen, die Nutzpflanzen bestäuben, dann führt das zu Ernteverlusten.“
Das Insektensterben könne man aber nicht nur auf die Landwirtschaft zurückführen, hierfür gäbe es mehrere Gründe. „Aber die Veränderung der Agrarlandschaft spielt eine große Rolle, denn die Insekten haben kaum noch ein Habitat, also einen Lebensraum. Glyphosat tötet die Pflanzen ab, von denen sie sich ernähren“, sagt Wenz. „Wir brauchen ein Umdenken in der Landwirtschaft.“ Sie weist aber auch darauf hin, dass naturnahe Flächen nicht nur durch die Landwirtschaft umgewandelt würden, sondern auch durch Industriegebiete. „Neben dem Einsatz von Pestiziden spielt auch Lichtverschmutzung eine große Rolle.“
Auch für Seibold kommt der Landwirtschaft eine besondere Rolle zu. Die Ergebnisse der Studie würden belegen, dass der Rückgang bei den Insekten im Grünland mit dem Ackerbau der Landwirtschaft zusammen hänge. Hier würden vor allen die Arten leiden, die nicht in der Lage seien, große Distanzen zu überwinden. Unklar bleibe indes, weshalb es auch in Wäldern zu Rückgängen komme. Das könnte daran liegen, dass diese Insekten bei ihren Ausflügen verstärkt mit der Landwirtschaft in Berührung kommen. Abschließend sei dies aber noch nicht geklärt.
BUND begrüßt Aktionsprogramm
Die Agrarexpertin begrüßt, dass die Bundesregierung ein Aktionsprogramm Insektenschutz aufgelegt hat, wird von der Agrarexpertin begrüßt. So stellt das Insektenschutzprogramm 100 Millionen Euro zur Verfügung, die vor allem den Landwirten für Naturschutz und Landschaftspflege zu Gute kommen. Das Aktionsprogramm sieht unter anderem vor, dass der Einsatz des Pflanzenschutzmittels Glyphosat bis Ende 2023 beendet wird. Das Aktionsprogramm geht Wenz aber nicht weit genug. „So gibt es nicht ausreichend finanzielle Mittel für dieses Programm. Es wurden zwar zusätzliche Mittel zum Beispiel für die Forschung zur Verfügung gestellt, doch das reicht nicht. Vor allem aber gibt es noch keinen gesetzlichen Rahmen. Die Formulierungen bleiben uneindeutig.“ Der Bauernverband, dessen Mitglieder im November bundesweit wegen des Agrarpakts in Berlin protestierten, hat indes nach dem „Agrargipfel“ mit Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, dass Aktionsprogramm Insektenschutz neu diskutieren zu wollen.
Aus der Sicht von Seibold brauche es dringend „großflächige Maßnahmen, um das Insektensterben aufzuhalten“. Der Wissenschaftler spricht sich deshalb auch dafür aus, dass es auf regionaler und nationaler Ebene zu einem abgestimmten Vorgehen der Umwelt- und Landwirtschaftspolitik kommt. Doch auch der Einzelne könne was tun, um etwas gegen das Insektensterben zu tun. So könne man „bienen- oder insektenfreundliche Stauden anpflanzen. Sie bieten Insekten Nahrung“, rät Wenz. Zugleich sollte man in seinem eigenen Garten auf den Einsatz von Pestiziden verzichten und Insekten Habitatmöglichkeiten schaffen, „indem man auch einmal Totholz im Garten liegen lässt. Auch sollte man Wildkräuter wachsen lassen.“
Eine Welt ohne Insekten könne man sich gar nicht vorstellen, sagt Wenz. Man brauche sie dringend dafür, dass sie unsere Nahrungspflanzen bestäuben. Ohne Insekten würden wir deutlich weniger Obst und Gemüse produzieren, auch Nüsse. „Wir müssen uns alle dafür einsetzen, dass Insekten erhalten bleiben“, appelliert die Agrarexpertin.
Hinterlassen Sie einen Kommentar