Interviews Special: Inside FE by Mercedes-EQ Formula E Team

Nick Chester: Wir haben natürlich eine hohe Messlatte

Nick Chester ist Technischer Direktor des Formel E-Teams von Mercedes. Foto: Daimler

Das Mercedes EQ Formel E-Team hat in der vergangenen Saison mit einem Doppeltriumph überrascht. Nun laufen die Vorbereitungen auf die neue Saison. Darüber sprach electrified mit Nick Chester, dem Technischen Direktor des Teams.

Nick Chester ist Technischer Direktor des Mercedes EQ Formel E-Teams, das in der vergangenen Saison sowohl den Titel in der Team- auch in der Fahrerwertung für sich entschieden hat. Derzeit laufen bereits die Vorbereitung auf die kommende Saison, die Anfang nächsten Jahres mit dem Rennen in Diriyah beginnen wird. Im Interview mit electrified spricht Chester über das neue Domizil des Teams in Brackley, die Unterschiede zwischen der Formel 1 und der der Formel E und darüber, mit welchen Zielen man in die nächste Saison geht.


electrified: Herr Chester, das Werk in Brackley beherbergt nicht nur das Mercedes-AMG Petronas F1 Team, sondern seit kurzem auch das Mercedes-EQ Formel E Team. Welche Vorteile ergeben sich daraus für die neue Saison?

Chester: Es bringt viele Vorteile, denn die Infrastruktur, die für das Formel 1 Team entwickelt wurde, hat beeindruckende Fähigkeiten. Sie bietet Zugang zum Test- und Entwicklungsbereich, wo wir Teile auf Leistung und Zuverlässigkeit testen können. Darüber hinaus haben wir nun Zugang zu verbesserten Bereichen für die Komponentenfertigung und -prüfung, so dass wir sicherstellen können, dass alle unsere Auto-Unterbaugruppen nach den höchsten Standards gefertigt werden.

Rückgriff auf gleiche Ressourcen wie Formel 1-Team

Nyck de Vries vom Mercedes-Benz EQ Formel E Team wurde am Sonntag in London erneut Zweiter. Foto: Daimler

electrified: Das Werk in Brackley verfügt über modernste Einrichtungen wie einen Windkanal und Fahr-simulatoren. Kann das Formel E Team auf die gleichen Ressourcen zurückgreifen wie das Formel 1 Team?

Chester: Auf jeden Fall, und das war einer der Hauptfaktoren für die Ansiedlung des Formel E Teams in Brackley. Wir nutzen sowohl den Simulator als auch einen älteren Windkanal, die vom Mercedes-AMG Petronas F1 Team entwickelt wurden.

electrified: Die Aerodynamik ist in Bezug auf die Effizienz besonders wichtig. Haben Sie den Windkanal bereits in der Vergangenheit für Optimierungen genutzt oder werden Sie ihn in Zukunft einsetzen?

Chester: Wir nutzen den Windkanal, um den aerodynamischen Leistungsbereich des Autos abzubilden. In der Formel E ist es nicht erlaubt, aerodynami¬sche Komponenten zu entwickeln, aber es ist trotzdem sehr nützlich zu wissen, wie sich das Auto unter verschiedenen Bedingungen auf der Strecke aerodynamisch verhält. Das Verständnis der aerodynamischen Leistung im Verhältnis zu Fahrhöhe, Gieren, Rollen und Lenken ist wichtig, um den Renningenieuren bei der Optimierung der Fahrzeugabstimmung zu helfen.

electrified: Sie haben jahrelange Erfahrung in der Formel 1. Was sind, abgesehen vom reinen Elektroantrieb, die Unterschiede zwischen den beiden Rennserien?

Chester: Gute Frage, denn es gibt sehr viele Unterschiede. Beide Serien sind sehr anspruchsvoll, haben aber einen sehr unterschiedlichen Fokus. In der Formel 1 ist die Aerodynamik der Schlüssel zur Leistung, und man ist ständig auf der Jagd nach aerodynamischen Verbesserungen, vom CFD über den Windkanal bis zur Rennstrecke. In der Formel E sind die aerodynamischen Komponenten fixiert und die Hauptbestandteile sind Software und Kontrollsysteme, bei denen man viel mehr Freiheiten hat als in der Formel 1. In beiden Serien muss man die Entwicklung des Autos ständig vorantreiben, aber die Entwicklungsbereiche sind sehr unterschiedlich.

Reifen sind gleichermaßen wichtig

electrified: Gibt es für Sie als Technischer Direktor in der Formel E Herausforderungen, die Sie aus der Formel 1 noch nicht kannten?

Chester: Die Bedeutung der Energienutzung war etwas, das ich aus der Formel 1 nicht kannte. Natürlich war ich an den Kraftstofffluss und die ERS-Energiebegrenzungen gewöhnt, aber die Gesamtenergiebegrenzung in der Formel E ist eine größere Herausforderung. In der Formel E ist es enorm wichtig, dass wir alles tun, um effizient zu sein – von den Kontrollsystemen über die Fahrzeugbalance bis hin zum Energiemanagement während der Runde. Die Reifen sind in der Formel 1 und der Formel E gleichermaßen wichtig, aber in der Formel E macht die begrenzte Anzahl von Reifensätzen den Einsatz des Autos schwieriger. Die Kontrolle der Reifentemperaturen ist sowohl in der Formel E als auch in der Formel 1 entscheidend.

electrified: In der Saison 2021/22 wird weiterhin die Fahrzeuggeneration Gen2 eingesetzt. Was bedeutet es für das Team, mit dem gleichen Fahrzeug/Antriebsstrang wie in der vergangenen Saison zu arbeiten? Gibt es Besonderheiten bei der Vorbereitung auf die Saison?

Chester: Die Übernahme des Fahrzeugs und des Antriebsstrangs der Generation 2 macht die Saison 8 einfacher, was gut ist, wenn man bedenkt, dass wir neue Teammitglieder rekrutiert und das Kern-Rennteam von Deutschland nach England verlegt haben. Der Druck bei der Entwicklung der Kontrollsysteme und der Frage, wie wir die Fahrzeugabstimmung und das Reifenmanagement optimieren können, bleibt bestehen.

«Insgesamt hatten wir das beste Paket»

So freuen sich Weltmeister: Das Team von Mercedes triumphierte in Berlin mit dem Gewinn der Fahrer- und Mannschaftswertung. Foto: Daimler

electrified: Welche Schlüsse ziehen Sie aus technischer Sicht aus der vergangenen Saison? Ist es möglich, den Titel mit dem aktuellen Fahrzeug erfolgreich zu verteidigen?

Chester: Die Saison 7 war sehr eng. Insgesamt hatten wir das beste Paket, aber nur knapp! Wir können die Meisterschaft mit dem aktuellen Fahrzeug verteidigen, da alle Teams mit homologierten Autos in der gleichen Position sind. Wir wissen, dass wir uns in allen Bereichen verbessern können, und wir werden uns bemühen, diese Verbesserungen auf der Strecke umzusetzen.

electrified: Ab der nächsten Saison werden neue Strecken wie Seoul, Vancouver und Kapstadt in den Rennkalender aufgenommen. Welche Rolle werden die Fahrsimulatoren für die Fahrer spielen?

Chester: Die Simulatoren spielen eine große Rolle bei der Vorbereitung auf neue Strecken. Sie ermöglichen es den Fahrern nicht nur, die Strecken zu lernen, sondern helfen auch bei der Fahrzeugabstimmung und insbesondere beim Energiemanagement. Die Arbeit, die im Vorfeld der Veranstaltung am Simulator geleistet wird, ermöglicht es den Fahrern, gute Kalibrierungen vorzunehmen, um Abhebe- und Regenerationspunkte abzustimmen, die für das Energiemanagement entscheidend sind.

electrified: Fahrsimulatoren werden zu einem immer wichtigeren Bestandteil des Trainings und der Saisonvorbereitung. Inwieweit können Fahrsimulatoren das reale Streckenprofil nachbilden?

Chester:  Die Simulatoren verfügen über recht gute Grafiken und können auch einige der Streckenoberflächen reproduzieren. Es gibt jedoch Grenzen in Bezug auf die Dauerbelastung, die ein Simulator nicht erreichen kann, ohne zu groß zu sein. Durch den geschickten Einsatz von Cueing kann der Simulator dem Fahrer ein Gefühl für die Plattform und die Stabilität des Fahrzeugs vermitteln, ohne anhaltend hohe Beschleunigungen zu erzeugen.

Anpassungen im Reglement im kommenden Jahr

Bei der Arbeit: Nick Chester. Foto: Daimler

electrified: Das erste Rennen der neuen Saison wird am 28. Januar 2022 in Diriyya stattfinden. Worauf konzentrieren Sie sich als Technischer Direktor im Moment?

Chester: Mein Fokus liegt darauf, sicherzustellen, dass das Team für Diriyya bereit ist und dass wir so viele Leistungsverbesserungen wie möglich inkludieren. Die Saison 8 ist eine weitere Herausforderung für das Team, da es umgezogen ist; wir haben eine neue Werkstatt, neue IT-Systeme und -Prozesse sowie neue Mitarbeiter, so dass alles zusammengeführt werden muss.

electrified:  Was die Saison 21/22 angeht, so wird es seitens der FIA verschiedene Anpassungen im Reglement geben. Es stehen Änderungen beim Qualifying, beim Fanboost und beim Attack-Modus auf der Tagesordnung. Was sind die Erwartungen an Sie und Ihr Team?

Chester: Es ist ein großartiges Team und die Erwartungen sind die gleichen wie in Saison 7, nämlich auf höchstem Niveau zu fahren. Angesichts des Talents, der Erfahrung und des Teams sollten wir in der Lage sein, auf das neue Reglement zu reagieren, aber gleichzeitig dürfen wir nicht selbstgefällig sein, denn die anderen Teams sind auch stark und wollen uns schlagen.

electrified: Der Mutterkonzern Daimler will bis 2039 klimaneutral werden. Welche Rolle spielt der Aspekt der Nachhaltigkeit bei Ihrer Arbeit?

Chester:  Nachhaltigkeit ist in unseren Betrieb eingeflochten, und wir prüfen ständig, wie wir Energie und Materialien einsparen können. Wir betrachten den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs und die betriebliche Lieferkette, um herauszufinden, wo wir nachhaltiger sein können. Wir verfolgen aktiv Nachhaltigkeitsprojekte mit unseren Partnern wie Neom, Modis und Vestas und nutzen deren Erfahrung, um in diesem Bereich schneller voranzukommen.

electrified: Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Elektromobilität? Wo werden wir in 5 Jahren stehen, was die Leistung und Reichweite der Fahrzeuge angeht?

Chester:  Die Entwicklung der Elektromobilität schreitet schnell voran und die meisten Hersteller verpflichten sich, in den nächsten zehn Jahren die Mehrheit ihrer Fahrzeuge als vollelektrische Fahrzeuge anzubieten. Die Leistung vieler Elektroautos ist bereits gut, wird aber noch weiter verbessert. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Vergrößerung der Reichweite, und es gibt einige bedeutende Projekte, um Reichwei¬ten zu erzielen, die über denen von Fahrzeugen mit herkömmlichem Kraftstoff liegen. Zum Beispiel der Vision EQXX von Mercedes-Benz. Dieses Projekt zielt darauf ab, ein Elektrofahrzeug mit einer realen Reichweite von mehr als 1.000 Kilometern und maximaler Effizienz zu präsentieren.

electrified: Mit welchen Wünschen und Erwartungen sehen Sie der kommenden Saison entgegen?

Chester: Wir haben natürlich eine hohe Messlatte, wenn man die Ergebnisse der Saison 7 betrachtet. Wir sind erst zufrieden, wenn wir wieder die Fahrer- und die Konstrukteursmeisterschaft gewinnen.

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