Interviews

«Müssen bessere Alternative zum Autobesitz anbieten»

Timo Harakka spricht sich für einen Ausbau des ÖPNV aus. Foto: Jukka Pekka Flander

Finnlands Verkehrsminister Timo Harakka ist ein Freund klarer Worte – und scheut keine Auseinandersetzung, wenn es um den nach seiner Meinung richtigen Weg zu nachhaltiger Mobilität geht.

Dazu gehört, dass Timo Harakka auch den Besitz eines eigenen Autos in Frage stellt. Auch mit einem Elektroauto stehe man im Stau, sagt der Politiker. Deshalb gehe es darum, den Bürgerinnen und Bürgern ein gutes Angebot im öffentlichen Personennahverkehr zu bieten. Das Interview mit ihm wurde kurz vor der Einigung zwischen Deutschland und der EU zum Verbrenner-Aus 2035 geführt.


electrified: Herr Harakka, Finnland gilt als führend, wenn es um Mobility as a Service geht, also integrierte App-Angebote für unterschiedliche Transportlösungen. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Timo Harakka: MaaS spielt eine entscheidende Rolle bei der neuen Mobilität, weil wir uns wegbewegen müssen vom Besitz hin zu mobilen Serviceangeboten. Zwei Aspekte sind dabei entscheidend: Erstens ist es meistens weder ein gutes Investment noch ein sinnvoller Weg, ein Auto zu besitzen, wenn man bedenkt, dass private Pkw gut 95 Prozent ihrer Lebenszeit einfach herumstehen. Zudem verbrauchen sie viele Ressourcen. Zweitens ist MaaS wichtig, um das öffentliche Verkehrssystem zu ergänzen, denn selbst in Städten, wo ein gutes öffentliches Transportsystem vorhanden ist, gibt es meist schwerfällige Hauptverbindungen, die einen nicht wirklich von da, wo man einsteigt, dorthin bringen, wohin man möchte.

electrified: Das mag für urbane Räume stimmen, aber gerade Finnland hat gigantische ländliche Räume…

Harakka: Sicher. Es ist eine große Herausforderung, öffentliche Verkehrsmittel dort zu haben, wo es nur eine geringe Bevölkerungsdichte gibt. Wir haben ein großes Gebiet, wenig Bevölkerung und große Entfernungen. Aber wäre es nicht ungerecht, dass wir, die wir in der Stadt leben und die Möglichkeit haben, ein Auto zu besitzen, ein Auto zu mieten oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen, die Menschen auf dem Land von der Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln ausschließen? Glauben Sie nicht, dass die Gesellschaft versagt hat, wenn sie den Menschen, die nicht in den Städten leben, keine fairen Optionen und keine soziale Gerechtigkeit bieten kann? Wir sind eifrig dabei, verschiedene Lösungen zu testen und zu erproben, um einen intelligenten öffentlichen Nahverkehr zu entwickeln, der für diese Gebiete kostengünstig ist.

„Sehe keinen Sinn darin, Staus mit Elektroautos zu produzieren“

electrified: Wie ist es um die Entwicklung der E-Mobilität in Finnland bestellt?

Harakka: Wir betrachten sehr oft die Zulassungszahlen von E-Fahrzeugen im Vergleich zu anderen fossilen Technologien. Aber wenn man ein Elektroauto hat, das wie ein Verbrenner den gleichen Platz einnimmt, dann kann man zwar einige Emissionen einsparen, doch es ist immer noch eine sehr suboptimale Art und Weise, Menschen zügig zu befördern. Was wir also brauchen, sind neue, emissionsfreie Technologien in Kombination mit einem intelligenten Transportsystem. Ich sehe keinen Sinn darin, Staus mit Elektroautos zu produzieren, sondern möchte ein schnelles, intelligentes, multimodales Verkehrssystem, das von Natur aus großenteils oder komplett elektrifiziert sein muss.

electrified: Was aber nicht bedeutet, dass Sie dem Bürger das Recht auf ein eigenes, individuelles Verkehrsmittel verweigern wollen…

Harakka: …nein, natürlich nicht. Ich finde es toll, ein Auto zu besitzen (er fährt einen Hyundai Ioniq, Anm. d- Red.) und ich kann es mir leisten. Aber es ist eine riesige Geldverschwendung. Wenn ich die Nutzung meiner Ressourcen optimieren wollte, würde ich mich sicherlich für eine Alternative entscheiden – sofern sie mehr oder weniger den gleichen Service böte. Wenn man es sich leisten kann, nimmt man die schwerfälligere und umständlichere Alternative, nämlich ein eigenes Auto. Aber wir müssen die bessere Alternative zum Autobesitz anbieten.

electrified: Was halten Sie von der Fokussierung der EU auf die E-Mobilität als ultimative Lösung, viele Ingenieure halten sie ja für eine Brückentechnologie?

Harakka: Das emissionsfreie Fahren oder Transportieren ist einer der meist erforschten und lukrativsten Bereiche von Wissenschaft und Wirtschaft. Es wird also Unmengen von verschiedenen Optimierungslösungen geben, die alle effizienter und nachhaltiger sind als zuvor. Welche Technologie wird sich durchsetzen? Das ist schwer zu sagen, aber es sieht so aus, als ob es vorerst Wasserstoff sein könnte, und zwar aufgrund der Art und Weise, wie der Wasserstoff produziert wird. Es ist die Energiedichte. Die Energieeffizienz ist sehr hoch, aber wir haben keinen Vertrieb, wir haben nicht so viele Brennstoffzellenfahrzeuge. Es gibt also noch andere Aspekte, die neben der reinen Technologie eine Rolle spielen. Wir brauchen so eine Art sozio-technologischen Gewinner hier.

electrified: Inwiefern?

Harakka: Die Batterietechnologie wird sich verbessern, sie wird effizienter sein und weniger wertvolle Ressourcen benötigen. Und natürlich muss die Gewinnung der Rohstoffe ethisch einwandfrei sein, d.h. ohne Kinderarbeit stattfinden. Zudem müssen Batterien recycelbar sein. Ich glaube, dass Finnland Teil des Batterie-Ökosystems sein kann, dass bei uns ethisch und ökologische Batterien produziert werden im Unterschied zu denen, die aus China kommen und jetzt den Markt dominieren. Wir haben in Finnlands Geosphäre alle Rohstoffe, die für die derzeitigen Eisen-Lithium-Batterien benötigt werden. Schweden baut eine riesige Batteriefabrik und forscht auch viel am Batterie-Recycling. Das wird sehr wichtig sein, damit wir diese knappen Ressourcen viel besser und nachhaltiger nutzen können.

electrified: Interdisziplinäre Forschung als Option für unterschiedliche energiefreundliche Lösungen?

Harakka: Das ist die einzige Lösung, die ich sehe. Deshalb stimme ich auch mit meinem deutschen Kollegen Volker Wissing völlig darin überein, dass wir uns die Optionen offenhalten müssen.

„Momentan ist E-Fuel nicht wettbewerbsfähig“

electrified: Sind Sie auch mit Bundesverkehrsminister Wissing einer Meinung, wenn es darum geht, die EU-Entscheidung über das Aus für Verbrennungsmotoren 2035 zu blockieren?

Harakka: Nein, das ist zu spät. Das ist einfach etwas, das von den Mitgliedsstaaten vereinbart wurde – mit der Kommission, den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament. Zu meiner Freude wurde die Bestimmung eingebracht, dass es bis 2026 eine Überprüfung der sauberen Kraftstofftechnologien für Verbrennungsmotoren geben würde. Es ist also an der nächsten Kommission zu erklären, dass sie diese Art von Vereinbarung befolgen wird.

electrified: Was auch einer Brennstoffzellenlösung zugute käme …

Harakka: Der Elektrolyseprozess ist derselbe, bei dem sie entweder Wasserstoff als Endprodukt erzeugen oder CO2 abscheiden und synthetische E-Treibstoffe bereitstellen. Methan, zum Beispiel, oder flüssige Kraftstoffe. Ich denke also, dass das gesamte Elektrolyse-Ökosystem selbst skalierbar und flexibel ist, je nachdem, welche Nachfrage es gibt. Momentan ist E-Fuel nicht wettbewerbsfähig, weil es 10 Euro pro Liter kostet.

electrified: Noch…

Harakka: Nehmen wir Biomethan. Das Positive an E-Fuels und synthetischem Methan ist, dass beide eine Abscheidung von CO2, zum Beispiel aus der Industrie, ermöglichen. Man fängt Emissionen auf und bietet gleichzeitig einen emissionsneutralen Brennstoff – eine Win-Win-Situation. Das ist genau das, was wir in der finnischen Regierung bereits beschlossen haben, nämlich die Produktion von Bio-Gas zu vervierfachen. Dadurch werden die Emissionen aus der Landwirtschaft sehr stark eingeschränkt werden. Außerdem werden erneuerbare und nachhaltige Landwirtschaft und Abfallwirtschaft gefördert. Natürlich kann man Gas auch in der Industrie verwenden, aber den besseren Preis erhält man im Verkehr. Wenn wir also bereits ein Netz für die Verteilung von Gas für Autos und Lastwagen haben, warum sollten wir es nicht nutzen? Warum sollte man das nicht vervielfachen? Das ist das fehlende Bindeglied zwischen der Repower EU-Initiative der Europäischen Kommission und dem Green Deal.

electrified: Und was nun?

Harakka: Wir haben eine Art ungewollter Valentinskarte bekommen. Am 14. Februar kam der Vorschlag der Kommission für CO2-Emissionsziele für schwere Nutzfahrzeuge, die nichts anderes als Strom beinhalten. Ein absoluter Schwachsinn, denn es handelt sich um dieselbe Technologie, mit der diese alternativen Kraftstoffe hergestellt werden, zum Beispiel synthetisches Methan. Man könnte also dieselbe Technologie, dieselben Anlagen, dieselben Fabriken hochskalieren, um alles zu produzieren, was benötigt wird, wenn die Technologie für Brennstoffzellen-Lkw bereit ist. Der Wasserstoff wird zukünftig da sein, aber man sieht die Zwischenschritte nicht. Der viel praktikablere Weg wäre, auf das zu setzen, was bei dem Prozess herauskommt, und was nachgefragt wird, und genau das zu produzieren. Das würde die Investition viel rentabler machen, sogar kurzfristig.

electrified: Sie haben kürzlich gefordert, dass Technologie und Entwicklung in Zusammenarbeit zwischen den freien Ländern der Welt erfolgen sollte. Wie weit ist Europa bzw. die westliche Welt, wenn es darum geht, saubere Energie zu produzieren?

Harakka: Ich bin angesichts der doppelten Bedrohung durch die russische Aggression und die chinesische Dominanz wirklich besorgt über die Tatsache, dass die demokratischen Länder so uneinig sind. Ich bin zudem besorgt über die Gefahr eines Handelskriegs zwischen den USA und Europa. Ich habe versucht, alle möglichen Gründe und Projekte zu finden, die wir gemeinsam durchführen könnten. Ein konkretes Projekt, das wir in meinem Ministerium vorantreiben, ist „Far North Fiber“, ein Datenkabel, das Japan mit Alaska, Kanada und Grönland verbinden würde, das eine Abzweigung nach Irland hätte und bis nach Lappland führen würde, um so Amerika mit Europa zu verbinden. Solche Projekte werden dringend gebraucht. Und das ist etwas, was wir im Moment fördern. Ganz allgemein denke ich, dass wir bei allen sauberen Technologien zusammenkommen sollten.

„Sind in Europa voneinander abhängig“

Timo Harakka setzt sich als finnischer Verkehrsminister für nachhaltige Mobilität ein. Foto: Jukka Pekka Flander

electrified: Beim Mobilfunkstandard 6G etwa …

Harakka: Ich möchte, dass der European Green Deal die innovativen Wettbewerbsvorteile fördert, die wir in Europa haben. Und eine dieser Technologien ist 6G. Das ist es, was ich innerhalb eines Jahrzehnts aus Finnland kommen sehe.

electrified: Eine Debatte, die man in Deutschland ob seines Digital-Rückstandes noch gar nicht zu führen braucht …

Harakka: Ich denke, dass Deutschlands Wirtschaftspolitik in den vergangenen Jahren ein großes Defizit bei den Infrastrukturinvestitionen aufwies. Wie wir alle wissen, war es das Primat der Schwarzen Null, das Deutschland bei allen Infrastrukturinvestitionen ernsthaft in Rückstand geraten ließ – einschließlich der digitalen Infrastruktur. Und das ist sehr kurzsichtig. Es ist erfreulich, dass Deutschland die Herausforderungen erkannt und einen Kurswechsel im Sinne von Investitionen vollzogen hat. Aber um weniger diplomatisch sein wollen: Wie es sich für Deutsche gehört, gehen sie ins andere Extrem.

Sie setzen nach eigenem Gutdünken 200 bis 300 Milliarden Euro für die Infrastruktur ein. Und das ist nicht wirklich eine Zusammenarbeit mit dem Rest Europas. Denn wir sind natürlich in Europa voneinander abhängig. Es gab also eine große Unterinvestition in Deutschland. Und jetzt fürchte ich, erleben wir eine enorme Überinvestition. Meines Erachtens ist es nicht immer der wirtschaftlichste Weg, einfach Geld in etwas hineinzupumpen.

Das Interview mit Timo Harrakka führte Daniel Killy

Zur Person: Timo Harakka (60) ist finnischer Minister für Verkehr und Kommunikation. In Finnland ist der Sozialdemokrat bekannt für seine aktive Teilnahme an öffentlichen Debatten und sein gesellschaftliches Engagement sowie für sein großes Interesse an kulturellen Fragen. Vor seiner politischen Laufbahn arbeitete Harakka mehr als 30 Jahre lang als Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Harakka lebt mit seiner Frau in Helsinki und hat drei Kinder.

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