Die Energie- und Mobilitätswende müssen als ein integriertes System betrachtet werden, sagte Andreas Herrmann vom Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen.
Ist die Elektromobilität die Zukunft? Oder sollte man lieber auf Technologieoffenheit setzen? Und braucht es das Verbrenner-Aus 2035? Es sind Fragen wie diese, die in den zurückliegenden Monaten die öffentliche Debatte bestimmen.
Doch wie geht die Wissenschaft mit solchen Fragestellungen um? Hat sich Forschung und Lehre in den entsprechenden Studienfächern durch den Einfluss des Verkehrs auf das Klima verändert? Selbstverständlich, sagt Prof. Andreas Herrmann, der seit 2021 als Direktor das Institut für Mobilität an der Universität in St. Gallen leitet.
Nachhaltigkeit als wichtiger Aspekt in Lehrplänen
Wie der Hochschullehrer berichtet, würde sich das Thema Nachhaltigkeit verstärkt in den Lehrplänen widerspiegeln. „Es fließt in alle unsere Masterprogramme ein“, erklärt Herrmann. Die Verankerung des Themas Nachhaltigkeit zeige, wie grundlegend es für zukünftige Führungskräfte und Entscheidungsträger geworden ist.
Die Absolventen sollen in der Lage sein, sowohl in der Industrie als auch im Finanzsektor nachhaltige Strategien zu entwickeln, die langfristig einen positiven Einfluss auf das Klima haben. Dabei spiele der Verkehrssektor eine wichtige Rolle, da er zu einem der großen Emittenten gehöre. „In der Schweiz etwa stammen rund 40 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Verkehr, so Herrmann. Diese Zahlen unterstreichen, wie groß der Handlungsbedarf in diesem Bereich ist.“ In Deutschland ist der Verkehr im Vergleich dazu bei der Sektoren-Betrachtung für ein Fünftel der Gesamtemissionen verantwortlich. Er ist zugleich der Sektor, der seit 2019 seine Emissionen nicht senken konnte.
Nicht nur auf E-Fahrzeuge setzen
Und, welche Rolle spielt bei der Mobilitätswende und die Reduktion der Treibhausgasemissionen die Elektromobilität? Eine wichtige, sagt Herrmann. „Es reicht aber nicht, nur auf Elektrofahrzeuge zu setzen“, warnt der Wissenschaftler. „Wir müssen die Energie- und Mobilitätswende als ein integriertes System betrachten.“
Dabei plädiert er für eine engere Verknüpfung der Mobilität mit der Energiepolitik. Dazu gehört aus seiner Sicht beispielsweise die Nutzung von Elektrofahrzeugen als mobile Energiespeicher. Dieses Konzept, auch bekannt als „Vehicle-to-Grid“ (V2G), könnte in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Dabei handelt es sich um die bidirektionale Nutzung von Batterien, bei der Elektrofahrzeuge nicht nur Energie aus dem Stromnetz beziehen, sondern auch überschüssigen Strom zurückspeisen können.
Besonders in Ländern mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien wie der Schweiz könnte dieses Modell dazu beitragen, die Netzstabilität zu erhöhen und gleichzeitig den CO2-Fußabdruck der Mobilität zu reduzieren. Angesichts des hohen Anteils erneuerbarer Energien durch Wasserkraft sei die Schweiz in einer guten Ausgangsposition, die Mobilitätswende voranzutreiben. In der Schweiz würde V2G bereits in mehreren Pilotprojekten erprobt. „Wir reden immer davon, dass wir einen hohen Überschuss an erneuerbaren Energien haben. Leider fehlt uns dafür das Speichernetz. Deshalb brauche man Pkws und Lkws als rollende Energiespeicher. Das böte ein riesiges Potenzial für Netzsicherheit und Netzstabilität. Die sich durch die E-Mobilität erwachsenden Chancen für den Energie- und Strommarkt müsse man sich viel häufiger vergegenwärtigen, so Herrmann.
Mobilitätswende als Mammutaufgabe
Die Mobilitätswende bezeichnete der Wissenschaftler als Mammutaufgabe, die nicht von heute auf morgen bewältigt werden könne. Besonders die Verzahnung der verschiedenen Sektoren – von der Energie über die Mobilität bis hin zur Infrastruktur – würde nicht nur technologische Innovationen erfordern, „sondern auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Nur durch eine koordinierte Strategie auf allen Ebenen kann die Mobilitätswende erfolgreich umgesetzt werden“.
Mit Blick auf Deutschland konstatiert Herrmann bei der Mobilitätswende Fortschritte, wenngleich man in einigen Bereichen hinterherhinke. Die ambitionierten Ziele, die sich Deutschland gesetzt habe, könnten indes nur erreicht werden, wenn konsequent in die richtigen Technologien investiert wird. „Wir dürfen nicht den Anschluss verlieren“, warnt Herrmann. Mit Blick auf die E-Mobilität bedürfte es beispielsweise eines schnellen Ausbaus der Ladeinfrastruktur. Ihm misst Herrmann eine entscheidende Rolle zu.
E-Fuels nichts für Massenmarkt
Gleiches trifft auf die Technologieoffenheit zu. „Vor einigen Jahren hätte ich gesagt, dass Technologieoffenheit ein Zeichen von Orientierungslosigkeit ist“, sagt er. In Deutschland sei die Diskussion um die Technologieoffenheit genutzt worden, um den Verbrenner zu retten. Diese Auffassung von damals hätte sich indes geändert. „Der Druck zur CO2-Reduzierung hat in den zurückliegenden Jahren zu erheblichen Fortschritten bei der Verbrenner-Technologie geführt“, so Herrmann. „Da tut sich doch einiges.“
Das träfe auch auf synthetische Kraftstoffe zu, so genannte E-Fuels. Diese, so schränkt Herrmann ein, würde er nicht für den Massenmarkt bei Pkws sehen, vielmehr für Anwendungen in der Luft- oder Schifffahrt oder auch bei Oldtimern. „Der Energieaufwand zur Herstellung von E-Fuels ist enorm. Sie sind im Vergleich zur Elektromobilität keine praktikable Alternative für den breiten Markt“, erklärt er. „Auch wenn E-Fuels theoretisch CO2-neutral sein können, sind sie in der Herstellung extrem energieintensiv, was sie im Vergleich zu batteriebetriebenen Fahrzeugen deutlich ineffizienter macht.“
Von daher bezeichnet Herrmann die E-Mobilität als den weiterhin vielversprechendsten Weg zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors. „Die Elektromobilität ist kein Allheilmittel, aber sie ist ein zentraler Baustein für die Mobilitätswende“, so Herrmann und fügt hinzu: „Wir werden in den nächsten Jahrzehnten eine Vielzahl von Antriebstechnologien parallel sehen. Aber die Elektromobilität wird den Massenmarkt dominieren.“
Zäsur für Autobranche
In der Diskussion um das Verbrenner-Aus 2035 sieht der Wissenschaftler eine Zäsur für die europäische Automobilindustrie, die über Jahrzehnte führend bei der Verbrennertechnologie gewesen sei. Nun müsse sie indes erkennen, dass China bei der E-Mobilität führend ist. Das sei zuletzt auch auf der Automesse in Peking deutlich geworden. „Chinesische Hersteller sind in der Lage, Elektrofahrzeuge in großer Stückzahl und zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten.“ Daraus ergäbe sich eine „ernsthafte Bedrohung für die europäische Automobilindustrie“, ist Herrmann überzeugt. Deshalb ist für ihn klar, dass sich die deutsche Automobilindustrie neu erfinden müsse. Dabei gehe es aber nicht nur darum, technische Innovationen voranzutreiben, sondern auch darum, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und sich auf veränderte Marktbedingungen einzustellen, gerade auch bei der Software. „Hier sind die Deutschen doch ins Hintertreffen geraten.“
Eines ist für Herrmann klar: Die Mobilitätswende ist weit mehr als ein technologisches oder politisches Projekt. „Es handelt sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie berührt alle Bereiche des Lebens – von der Wirtschaft über die Umwelt bis hin zur sozialen Gerechtigkeit. Die kommenden Jahre, womöglich Jahrzehnte, werden entscheiden, ob die Mobilitätswende gelingt. Einfache Lösungen auf dem Weg dahin gäbe es aber nicht. „Aber Nachhaltigkeit und Innovation werden die zentralen Treiber für die Mobilitätswende sein.“
Chinesen müssen Vertrieb erst lernen
Dass die chinesischen Hersteller wie BYD, Nio und Co. derzeit auf dem deutschen Markt nur eine marginale Rolle spielen, führt Herrmann auf deren höherpreisigen Modelle und den fehlenden Vertrieb zurück. „Die Chinesen müssen Vertrieb, wie wir in ihn Deutschland kennen, erst noch lernen.“ Aus seiner Sicht „wäre es klüger gewesen, wenn die chinesischen Hersteller gleich bezahlbarere E-Autos angeboten hätten“.
In der Diskussion um die Verkehrswende und das Verbrenner-Aus 2035 wünscht sich Herrmann übrigens mehr Sachlichkeit. „Wir reden immer von einem Verbrenner-Verbot. Doch das gibt es nicht: es geht darum, ab 2035 nur noch Fahrzeuge mit CO2-neutralem Antrieb neu zuzulassen – und die könnten dann durchaus mit e-Fuels betankt werden.“ Dass das Verbrenner-Aus 2035 vielleicht doch noch gekippt wird, wie von Parteien wie der CDU/CSU und FDP gefordert, mag Herrmann nicht ausschließen. In diesem Zusammenhang weist er auf die wirtschaftliche Situation in der Autoindustrie hin. Durch die Nachfrageschwäche bei der E-Mobilität gerate sie zunehmend unter Druck. So habe beispielsweise der Zulieferer ZF zuletzt den Abbau von bis zu 14.000 Stellen angekündigt. „Sollten sich diese Schreckensbotschaften aus der Automobilwirtschaft fortsetzen, könnte das auch Auswirkungen auf das geplante Verbrenner-Aus haben.“