Claudia Müller ist unabhängige Finanzexpertin. Im Interview spricht die Gründerin des Female Finance Forum über sozial- und umweltverträgliche Investments.
electrified: Sie waren viele Jahre als Ökonomin bei der Deutschen Bundesbank und in einem Family Office tätig. Mit Ihrem Buch „Finanzen – Freiheit – Vorsorge: Der Weg zur finanziellen Unabhängigkeit – nicht nur für Frauen“ motivieren Sie Menschen, sich mit den Themen Geld & Finanzen auseinanderzusetzen und sich zu dem Thema weiterzubilden. Welche Fehler beim Investieren sind Ihrer Meinung nach ganz leicht zu vermeiden?
Claudia Müller: Der häufigste Fehler ist, gar nichts zu machen. Das lässt sich leicht vermeiden, indem man investiert. Außerdem sollten Sie sich nicht blind auf irgendwelche Empfehlungen verlassen, sondern sich immer Ihre eigene Meinung bilden und im Zweifelsfall eine Zweitmeinung einholen. Das machen Sie bei anderen wichtigen Entscheidungen ja auch.
electrified: Jede fünfte Frau ab 65 Jahren gilt in Deutschland als armutsgefährdet. Bei Instagram und auf ihrem Blog bieten Sie kostenlose Webinare an, bei denen Sie erklären, wie die Rentenlücke berechnet wird und was es bei der Altersvorsorge grundsätzlich zu beachten gilt. Was ist das Wichtigste, das es beim Thema Geldanlage zu berücksichtigen gilt?
Müller: Einfach machen. Viele schieben das Thema Geldanlage viel zu lange auf. Aber der beste Zeitpunkt war gestern, der zweitbeste heute! Beim Investieren gilt es, einige Grundregeln zu beachten: Breit streuen! Daher lieber in einen Fonds investieren als in Einzelaktien. Langfristig denken – idealerweise mindestens 10 Jahre, kostengünstig – also eher in ETFs als in aktive Fonds investieren und Ruhe bewahren.
Achten Sie auf Nachhaltigkeitsaspekte
electrified: ETFs, Kryptowährungen oder aktive Aktien-Fonds, wie kann ich sicherstellen, dass mein Geld auch wirklich gut und sozialverträglich angelegt ist?
Müller: Achten Sie auf Nachhaltigkeitsaspekte wie Umwelt, Soziales und Governance (ESG). Bei nachhaltigen Anlagen fließt das investierte Geld in Unternehmen oder Projekte, die zur Lösung globaler Herausforderungen wie Klimawandel oder soziale Ungerechtigkeit beitragen. Zertifizierungen wie das FNG-Siegel oder Finanztest können bei der Auswahl helfen.
electrified: Welche Form ist denn die unbedenklichste und sicherste Art, Geld anzulegen?
Müller: In der Finanzwelt gilt: Je weniger Risiko, desto weniger Gewinn auf das angelegte Geld. Festgeld ist zwar sicher, aber die Rendite ist gering, was wiederum das Risiko erhöht, dass Sie Ihre Rentenlücke nicht schließen können. Aktien bieten höhere Renditechancen, sind dafür aber mit mehr Risiko verbunden. Ein Mix aus verschiedenen Anlageformen ist daher sinnvoll. Wichtig ist, die eigene Risikobereitschaft zu kennen, um so individuell ein Portfolio aufzubauen. Ich bin aber überzeugt davon: Aktien sind für die Altersvorsorge unerlässlich!
electrified: Und was für Anlageformen sind auf keinen Fall nachhaltig?
Müller: Typische Beispiele für nicht-nachhaltige Anlagen sind Unternehmen, die in den Bereichen Rüstung, Tabak, Atomkraft oder Kohle tätig sind. Auch Unternehmen mit schlechten Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit oder schlechter Umweltbilanz sind nicht nachhaltig.
„Keep it simple“
electrified: Reicht es aus, einfach zwei oder drei ETF‘s über einen längeren Zeitraum zu kaufen und abzuwarten, dass sich das Geld vermehrt?
Müller: Das kann ein guter Anfang sein und reicht tatsächlich aus. „Keep it simple“ lautet die Devise! Dabei sollte man nicht nur einen Aktien-ETF, sondern auch einen Anleihen-ETF im Portfolio haben. Wenn Sie Lust haben, können Sie dann noch Einzelaktien, Themenfonds oder Kryptowährungen beimischen, aber da sind wir schon im „Spielgeld“-Bereich.
electrified: Wie unterscheiden sich Anlagen im nachhaltigen Bereich in puncto Rendite von klassischen Anlagen?
Müller: Die Rendite nachhaltiger Anlagen kann sich durchaus mit der von klassischen Anlagen messen. In den letzten 20 Jahren hat der nachhaltige ETF MSCI World sogar kontinuierlich besser abgeschnitten als seine traditionelle Variante.
electrified: Auf den Social Media Plattformen wimmelt es ja nur so von Finanz-Genies – wo empfehlen Sie, sich über einzelne Aktien, Fonds oder ETFs zu informieren?
Müller: Social Media kann eine gute erste Quelle für Informationen sein, aber ganz wichtig: Sie sollten hier immer kritisch bleiben und sich nicht nur auf einzelne Meinungen verlassen. Seriöse Finanzportale sind beispielsweise Finanztip, Stiftung Warentest oder das Forum nachhaltige Geldanlage. Eine persönliche Beratung bekommt man z.B. bei einer Honorarberatung.
„Entscheidend ist die Wahl der Investition“
electrified: Kann man einfach bei der Hausbank oder Sparkasse bleiben und von dort aus in nachhaltige Geldanlagen investieren oder ist es sinnvoller, zu einer Grünen Bank zu wechseln?
Müller: Die Wahl des Depotanbieters spielt in Bezug auf Nachhaltigkeit keine besonders große Rolle; entscheidend ist die Wahl der Investition. Die Hausbank ist häufig teurer als eine Online-Bank. Nachhaltige Banken erlauben in ihren Depots häufig nur Investitionen in die eigenen Produkte. Gute, nachhaltige aktive Fonds sind nachhaltiger als nachhaltige ETFs; sie sind nur leider auch teurer.
electrified: Gerade erst habe Sie im Rahmen der Kinderbusinessweek der Wirtschaftskammer Wien mit 8-jährigen Kindern über Glaubenssätze rund ums Geld gesprochen. Warum ist es so wichtig, schon früh über Finanzthemen nachzudenken?
Müller: Finanzbildung ist lebensrelevant. Je früher Kinder lernen, mit Geld umzugehen, desto besser können sie später selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Finanzbildung stärkt das Selbstbewusstsein und fördert die Eigenverantwortung.
electrified: Was hat Sie bei der Arbeit mit den Kindern besonders überrascht?
Müller: Ich war überrascht, wie viele Vorurteile schon bei diesen jungen Kindern vorhanden waren. So wurde z.B. über die Höhe des Taschengeldes gewitzelt – in beide Richtungen: Kinder mit viel Taschengeld wurden schräg angeschaut, ebenso wie Kinder, die kein oder kaum Taschengeld bekamen. Diese Vorurteile konnten wir hinterfragen und ausräumen.
„Erklären Sie Ihrem Kind die Zusammenhänge“
electrified: Können Sie uns 3 praktische Tipps geben, wie der bewusste Umgang mit Geld schon früh in den Familienalltag integriert werden kann?
Müller: 1. Erkennen und nutzen Sie Gesprächsanlässe im Alltag: Wenn Sie am Geldautomaten stehen, an der Kasse oder das gewünschte Eis NICHT kaufen wollen – erklären Sie Ihrem Kind die Zusammenhänge und Ihre Beweggründe.
2. Binden Sie Ihr Kind mit ein und geben Sie ihm Entscheidungsfreiheit: Wofür soll das Freizeitgeld ausgegeben werden: Zoo oder Kino; Pommes oder Eis? In welches Unternehmen möchte Ihr Kind investieren: Lego oder Apple? Wie möchte es sein Taschengeld ausgeben: Lustiges Taschenbuch oder Süßigkeiten? So lernt Ihr Kind, Verantwortung für Geld zu übernehmen und sich über die finanziellen Konsequenzen seiner Entscheidungen Gedanken zu machen.
3. Reflektieren Sie Ihr eigenes Geldverhalten: Ihr Kind merkt, wenn Sie am Monatsende immer in Stress verfallen oder monatelang über die anstehende Steuererklärung fluchen. Seien Sie das Vorbild, das Sie sich selbst gewünscht hätten!
electrified: In Ihrem neuen Buch „ÜBER GELD SPRICHT MAN DOCH! – Wie Kinder spielerisch einen guten Umgang mit Geld lernen“ geht’s auch darum, Finanzbildung nicht mehr wie bisher so oft dem Zufall zu überlassen. Was muss sich in Deutschland ändern, damit sich Chancengerechtigkeit einstellt?
Müller: Finanzbildung gehört in die Schulen, damit alle Kinder – unabhängig von ihrem finanziellen Hintergrund – unabhängige Finanzbildung erhalten. Außerdem brauchen wir eine Kultur des lebenslangen Lernens, gerade in Bezug auf unsere Finanzen. Und wir müssen insgesamt mehr über Geld reden, gerade auch Frauen. Wir haben immer noch eine Geschlechterlücke, da Väter mehr mit ihren Söhnen über Geld reden als mit ihren Töchtern, wohingegen Mütter oft gar nicht über Geld reden. Durch Finanzbildung ermöglichen wir allen Menschen dieselben Chancen und Entscheidungen.
Das Interview mit Claudia Müller führte Kay Alexander Plonka