Elektro

Nio ET5: Angriff in der Mittelklasse

Nio startet im Mittelklasse-Segment mit dem ET5. Foto: Nio

Nio bietet mit dem ET5 nun auch ein Modell in der Mittelklasse an. Günstig ist das Modell indes nicht.

Mit dem Nio ET5 kommt ein kleiner Bruder der Oberklassemodelle ET7 und EL7 auf den Markt, der ebenfalls auf viel Leistung, hohe Reichweite und einen stark vermenschlichten Sprachassistenten setzt, aber deutlich handlicher und dynamischer daherkommt. Die Preise für den 490 PS starken Viertürer starten bei 47.500 Euro zuzüglich Batterie-Kosten.


Äußerlich entwickelt der ET5 den Design-Stil des größeren ET7 weiter, wirkt mit seinen 4,79 Metern Länge aber deutlich weniger klotzig als sein 30 Zentimeter längerer Verwandte.

Dynamischer Spoiler am Heck

Auch, weil die Motorhaube flacher ausfällt, die Schulterpartie über dem hinteren Kotflügel muskulöser modelliert ist und ein flotter Enten-Bürzel das aus Kunststoff modellierte Heck schwungvoller abschließt.

Wer einsteigt, wird von einem sehr reduzierten Cockpit empfangen, aus dem Knöpfe und Schalter nahezu komplett verschwunden sind. Stattdessen gibt es ein großes Touch-Display, das mit umfangreichen, verschachtelten Menüs und kleinen Schaltflächen allerdings mindestens gewöhnungsbedürftig in der Bedienung ist. Helfen soll dem Fahrer daher die digitale Assistentin „Nomi“, die oben auf dem Armaturenbrett von einer Roboterkugel mit stilisiertem OLED-Gesicht und motorisiertem Halsgelenk personalisiert ist. Bislang fällt die Kommunikation mit der kleinen Androidin allerdings noch ziemlich hakelig aus – Nio will ihre sprachlichen Fähigkeiten aber permanent verbessern.

Verzicht auf Schalter

Die Mischung aus Schalter-Verzicht, komplexer Infotainment-Software und Cockpit-Roboter trägt stark zum futuristischen Flair des Nio-Innenraums bei. Ungewohnt fühlt sich der ET7 für die vorderen Insassen aber auch an, weil die Windschutzscheibe hinter der flachen Fronthaube auffallend stark nach unten gezogen ist. In Verbindung mit der relativ hohen Sitzposition – unter den Insassen muss noch die Batterie Platz finden – hat man eine leicht van-artige Perspektive auf die Straße. Diese sorgt für gute Sicht nach vorne und ein allgemein luftiges Raumgefühl.

Auch im Fond ist es nicht zuletzt dank des serienmäßigen Panoramadachs schön hell. Aufgrund des coupéhaften Zuschnitts und der relativ niedrigen Sitzbank sitzen überdurchschnittlich Großgewachsene trotz des sehr üppigen Fußraums etwas verkrampft mit hohen Knien und gebeugtem Hals. Der Kofferraum befindet sich nicht wie es die Karosserieform nahe legt, unter einer großen Heckklappe, sondern unter einem klassischen Stufenheck-Deckel. Dadurch ist er trotz großen Volumens für sperriges Gut nicht optimal nutzbar.

Auch optisch dynamisch

Die leichten Platznachteile nimmt der ET7 in Kauf, um optische Dynamik zu entwickeln. Diese findet sich auch auf der Straße wieder: Vor allem in Form druckvoller Beschleunigung – die beiden E-Motoren katapultieren die Limousine nach minimaler Gedenkpause fulminant nach vorne. Zumindest an der Ampel oder auf der Landstraße. Jenseits von 120 km/h lässt der Drang dann aber spürbar nach, bei 200 km/h ist endgültig Schluss. Ein Autobahn-Raser ist der Nio als nicht. Seine Stärken spielt er eher im gehobenen mittleren Geschwindigkeitsbereich aus, wobei auch das straffe Fahrwerk hilft, das die Karosserie auf kurviger Strecke gut in der Waage hält, auf schlechten Straßen in Verbindung mit den 19- und 20-Zöllern die Insassen aber den Fahrbahnzustand direkt spüren lässt. Eine Luftfederung wie sie der ET7 bietet, gibt es für den kleineren und günstigeren ET5 nicht.

Zwei Akkugrößen

Was der Neue mit dem Flaggschiff gemein hat, ist eine große Reichweite. Die liegt in der Variante mit dem großen Akku (100 kWh) bei 590 Norm-Kilometern, mit dem kleinen Akku (75 kWh) geht es immerhin 456 Kilometer weit.

Wie üblich sind das Maximalwerte unter besten Bedingungen, mit einem Testverbrauch von rund 20 kWh/100 Kilometern zählt der ET5 aber auf jeden Fall zu den sparsameren Modellen seiner Leistungsklasse. Geladen wird entweder mit 11 kW an der typischen Wallbox oder mit schmalen 140 kW (große Batterie: 130 kW) am Schnelllader. Nio hält die Leistung auch deswegen vergleichsweise niedrig, um die Kundschaft an die Akku-Wechselstationen zu locken.

Bisher zwei Wechselstationen

In Deutschland steht aktuell die dritte dieser Anlagen vor der Eröffnung, die Zahl soll jedoch schnell wachsen. An den nahe der Hauptverkehrsrouten platzierten Stationen wird binnen Minuten der leere gegen einen vollen Akku getauscht. Allerdings nur, wenn der Energiespeicher vom Kunden gemietet wird (ab 170 Euro im Monat). Wer ihn kauft (ab 12.000 Euro), kann die Wechselstation nicht nutzen.

Zum Autopreis von knapp 48.000 Euro addieren sich also in jedem Fall weitere Kosten. Wer die große Batterie will, zahlt einmalig 21.000 Euro oder monatlich 290 Euro. Alternativ ist das ganze Fahrzeug mit verschiedenen Konditionen im Abonnement erhältlich.

Üppige Serienausstattung

Im Gegenzug zu den vergleichsweise hohen Zahlungen gibt es eine ziemlich üppige Serienausstattung mit Panoramadach, Zwölf-Wege-Sitzen und Soundsystem. Zur Markteinführung haben die Chinesen zudem ein abgespecktes Sondermodell aufgelegt, das sich für die E-Auto-Förderung qualifiziert und somit unterm Strich für knapp 41.000 Euro ohne Batterie zu haben ist. Das soll bis zum Spätsommer vor allem Dienstwagenkunden locken.

Angesichts der recht hohen Investitionen dürften Unternehmen zur wichtigsten Zielgruppe des ET5 zählen. Auch, weil Nio mit seinen Wechselstationen unter allen E-Autoherstellern die beste Langstreckentauglichkeit bieten könnte – zumindest, wenn das Netz tatsächlich schnell genug wächst. Auch sonst spricht vieles für die chinesische Limousine – die sehr gute Verarbeitung, das futuristische und hochwertige Ambiente und der druckvolle Antrieb. Kompromisse müssen Kunden beim Platzangebot im Fond und beim wenig einsteigerfreundlichen Bediensystem machen. (SP-X)

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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