So ein Blick über den Tellerrand kann auch mal neidisch machen: die landesweit höchste Dichte an Ladestationen, smarte Stromzähler allüberall – und ein pfiffiges System aus elektrischen Rufbussen, E-Scootern und E-Bikes.
Für Fans nachhaltiger Mobilität ist das nahe am Paradies. Dummerweise findet sich der Garten Eden einigermaßen abgelegen auf Astypalea: eine griechische Insel der Südlichen Sporaden mit 97 Quadratkilometern Fläche und gerade mal 1334 Einwohnern.
Die Zahl der Touristen indes liegt pro Jahr bei rund 36.000. Die meisten von ihnen kommen – natürlich – in den Sommermonaten. Da ist dann ordentlich was los auf dem schmetterlingsförmigen Eiland inmitten der Ägäis.
Umwelt ist keine Privatsache
Saison für Saison kurvten jede Menge Verbrenner über die unweit von Kos gelegene Insel. Schließlich landen Besucher per Schiff oder Flugzeug und brauchen dann etwas Fahrbares für ihre Exkursionen. Und vermutlich wären das in der Hauptsache noch immer Autos mit Auspuff – wenn es da nicht Nikolaos Komineas gäbe. Der 67-jährige Architekt kam einst ebenfalls als Tourist nach Astypalea, entschied sich 40 Jahre später zur Wiederkehr und ist heute Bürgermeister. Die Umwelt sei nun mal keine Privatsache, glaubt er – und schon gar nicht tauge sie für den Profit einiger weniger.

Einst Tourist, heute Bürgermeister: Nikolaos Komineas hat ein Faible für Nachhaltigkeit. Foto: VW/Barenschee
Seinem Faible für Nachhaltigkeit dürfte es zu verdanken sein, dass Astypalea heute nicht bloß ein beschauliches Plätzchen ist, sondern obendrein eine Art Labor für moderne Mobilität. Im Rahmen eines Projekts, an dem unter vielen die griechische Regierung und der deutsche VW-Konzern beteiligt sind, soll die Insel Schritt für Schritt auf E-Autos, digitale Lösungen und grüne Energie umgestellt werden. „Wenn wir das Klima retten wollen“, sagt Komineas, „bleibt uns keine Zeit mehr.“
Hohe Nutzung von Ridesharing
Rund zwei Jahre nach dem Start fällt die Bilanz positiv aus: Ein Viertel der Einwohner nutzt regelmäßig den Ridesharing-Dienst Astybus. Der hat das bislang eher maue Angebot der traditionellen Linie ersetzt, ist anders als früher das ganze Jahr in Betrieb und bindet bei maximal 15 Minuten Wartezeit sehr viel mehr Orte an. Je nach Saison sind bis zu fünf ID.Buzz im Einsatz – alleine in den vergangenen zwölf Monaten kamen so bei rund 27.000 Touren mehr als 200.000 Kunden-Kilometer zusammen. Der Strom dafür stammt zu 100 Prozent aus einer PV-Anlage auf dem Dach der Zentrale.
Auch die Elektrifizierung der Insel-Flotte macht Fortschritte: Praktisch alle Neuwagen, die auf Astypalea zugelassen werden, sind inzwischen reine E- Autos. Die Zahl der Stromer ist innerhalb kurzer Zeit von null auf 84 gestiegen. Was selbstverständlich nicht nur an persönlicher Überzeugung der Bürger liegt, sondern vor allem daran, dass die griechische Regierung auf Astypalea die landesübliche Förderung verdoppelt. Ein ID.3 ist damit schon ab 19.000 Euro zu haben. Davon kann man in Deutschland nur träumen. Reichweitenangst muss auf Astypalea ohnehin niemand haben. Es ist nur selten kalt – und die längste Fahrtstrecke misst 13 Kilometer.
VW als Mobilitätspartner
Der VW-Konzern unterstützt Astypalea mit seinem Mobilitäts-Know-how sowie mit Fahrzeugen. Zum Projekt gehören neben ID.Buzz und anderen Mitgliedern der ID.-Familie auch E-Scooter von Seat Mó und E-Bikes von Ducati für das per App buchbare Miet-Angebot Astygo. Dazu kommen der Aufbau der Ladeinfrastruktur sowie die Fahrzeuge von Polizei und Flughafen-Verwaltung. Für die ebenfalls elektrischen Krankenwagen gibt es sogar eine Gleichstrom-Säule.
Doch noch ist nicht alles grün, was brummt. Die größte Herausforderung ist der Umbau des örtlichen E-Werks. Aktuell tun dort vier Achtzylinder Dienst, die über Generatoren zusammen rund 7000 MWh im Jahr erzeugen – aber in dieser Zeit eben auch 1,8 Millionen Liter Diesel verfeuern. Das macht umgerechnet 4700 Tonnen CO2. Von den Kraftstoffkosten gar nicht zu reden.
Als nächsten Schritt plant Astypalea daher den Aufbau eines hybriden Energiesystems, das 2024 ans Netz gehen soll und aus einem Solarpark mit 3,5 Megawatt Leistung pro Jahr und einem Batteriespeicher bestehen wird. Die Sonnenkollektoren sollen künftig 100 Prozent der E-Mobilität und bis zu 60 Prozent der sonstigen Energie für die Insel abdecken. Bis 2026 soll die Anlage weiter ausgebaut werden und dann auf mindestens 80 Prozent des Gesamtenergiebedarfs kommen.
Studie begleitet Projekt
Und was sagen die Menschen auf Astypalea? Sie sind überaus zufrieden, zeigt eine Begleitstudie von Wissenschaftlern der Universität der Ägäis und der schottischen Universität Strathclyde. Etwa 80 Prozent sehen E-Autos und Mobilitätsdienste demnach positiv – eine deutliche Verbesserung gegenüber der ersten Umfrage zu Beginn des Projekts 2021. Besonders gut bewertet wird der Ridesharing-Dienst Astybus, der auf 97 Prozent Zustimmung stößt. Geschätzt wird unter anderem die flexible Nutzung in Verbindung mit günstigen Preisen.
Trotz aller Erfolge aber will zumindest VW nicht auf ewig engagiert bleiben. Sechs Jahre sollten genug sein, heißt es. Es gehe schließlich um einen Anschub – irgendwann müssten sich die noch jungen Unternehmen dann selbst tragen.
Ein bisschen länger will Nikolaos Komineas bleiben. Er kandidiert im Herbst für eine zweite Amtszeit. Seine letzte, sagt er. An der Wiederwahl hat er wenig Zweifel. Auch wegen des Modellprojekts. „Die Menschen sind informiert und sie sehen den Nutzen.“ So müsse gute Politik sein…