Chinesische E-Autos drängen nach Europa. In Deutschland mittlerweile immer häufiger zu sehen ist der Aiways U5.
Das Elektro-SUV des privaten Shanghaier Autobauers präsentiert sich so eigenständig und modern, dass es in vielerlei Hinsicht sogar als Vorlage für westliche Hersteller taugen würde. Mit ein wenig mehr Feinschliff wäre der Kompakt-Crossover eine echte Gefahr für ID.4 und Co.
Der U5 versteckt sich bei seinem Antritt in Europa nicht und tritt durchaus selbstbewusst auf. Die geschlossene Front ohne Kühlergrill, die glatten Flanken und das sachlich gezeichnete Heck mit seinem breiten Leuchtenband wirken modisch und technisch auf der Höhe, strahlen gleichzeitig genug Originalität aus, um den China-Crossover aus der Masse ähnlich geschnittener Fahrzeuge herauszuheben.
Innenraum ansprechend gestaltet
Fast schon spektakulär wird es, wenn man die schweren, wertig wirkenden Türen mit den bündig eingelassenen Griffen öffnet und in den mit Leder ausgekleideten Innenraum steigt. Der ist ebenso schnörkellos und zeitgemäß gestaltet wie die äußere Hülle und bietet mit einem breiten Bildschirm, der sich vom Lenkrad bis in die Mittelkonsole zieht, einen zentralen Blickfang und Bezugspunkt.
Die Inszenierung beeindruckt. Vor allem beim ersten Kontakt. Und selbst der genauere Blick hinter die Kulissen entzaubert den U5 nicht komplett: Ja, die Materialien sind teils einfach, das optionale Leder eher dünn, die Bildschirme wenig lichtstark und nur niedrig aufgelöst. Aber das Gesamtbild stimmt. Umso mehr, wenn man den Preis berücksichtig: Knapp 39.000 Euro kostet das bereits fast komplett ausgestattete Basismodell. Die „Premium“-Version mit 19- statt 17-Zoll-Rädern, Ledersitzen und Panorama-Schiebedach gibt es für 42.000 Euro.
Infotainmentsystems mit schlechter Bedienung
Im Cockpit erkennt man aber auch, woran es dem Aiways-SUV wirklich noch mangelt. Vor allem bei der Bedienung des Infotainmentsystems ist noch viel Luft nach oben. Größtes Problem ist das fehlende Navigationssystem. Statt eines eingebauten Geräts sollen die Kunden eine Smartphone-App nutzen, die im Bord-Display gespiegelt wird. Im Test funktionierte diese jedoch trotz anhaltender Bemühungen nicht.
Entsprechende Kommentare im App-Store legen nahe, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt. Unpraktisch ist auch der Ausschalt-Knopf für das Gesamtfahrzeug, der nicht physisch ausgeführt ist, sondern sich in einer hinteren Menüebene des Infotainments versteckt. Nutzt man ihn nicht, lässt sich das Auto zwar abstellen, verlassen und abschließen. Es bleibt allerdings in einer Art Standby-Betrieb und verliert dabei Akku-Füllung und Reichweite.
Reichweite in Praxis bei über 300 Kilometer
Rund 400 Kilometer weit soll der U5 mit voller Batterie kommen, mehr als 300 Kilometer waren es im Test nicht. Allerdings herrschten während der Fahrten winterliche Temperaturen, die auch Konkurrenzmodellen ähnlich stark zusetzen. Wer sich bemüht, effizient und langsam fährt, dürfte zudem noch einige Kilometer mehr rauskratzen können.
Mit zurückhaltendem Gasfuß und gleichmäßiger Fahrt ließen sich Verbrauchswerte deutlich unter 20 kWh/100 km erzielen, in der Regel sind es aber 24 kWh und mehr. Ordentlich, aber nicht herausstechend. Höchstens Mittelmaß gibt es auch bei der Lade-Technik: Serienmäßig und bislang alternativlos ist ein einphasiger Bordlader, der theoretisch 6,6 kW akzeptiert, in der deutschen Praxis aber dank der hiesigen Schieflastverordnung in der Regel mit 4,6 kW auskommen muss und so für eine Komplettladung knapp 14 Stunden benötigt. Am DC-Lader sind hingegen bis zu 90 kW möglich, im Test waren es immerhin bis zu 80 kW; die zudem relativ lange anliegen. Nach einer halben Stunde am Stecker sind somit rund 200 Kilometer Fahrt möglich.
Ladeanschluss nicht optimal
Etwas nervig dabei: Der Ladeanschluss ist horizontal in der Front unterhalb des rechten Scheinwerfers untergebracht. Dadurch muss man das dicke Schnellladekabel um 90 Grad verwinden und sich zusätzlich weit herunterbeugen. Bei Dunkelheit blendet einen dabei der Scheinwerfer. Letztlich eine Kleinigkeit, die aber beispielhaft für die noch fehlende Detail-Pflege am U5 steht. Die Liste praktischer Schwächen ließe sich fortsetzen: So fehlen im Cockpit gescheite Ablagen für Geldbeutel und Handy, im Kofferraum wären ein paar Fächer oder Haken für Kleinzeug gut und ein Handschuhfach haben sich die Chinesen gleich ganz gespart. Die für deutsche Kunden eigens erfundene, am Armaturenbrett einhakbare Ledertasche ist zwar schick, aber kein wirklicher Ersatz.
In den Haupt-Testkategorien schlägt sich der Chinese hingegen gut. Der 204 PS starke Frontantrieb tritt zügig an, beschleunigt den 1,7 Tonnen Crossover in knapp 8 Sekunden auf Tempo 100 und macht eine Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h möglich. Das Fahrwerk ist weich und die Lenkung leichtgängig, wenn auch etwas synthetisch. Beides passt gut zum eher gelassenen Charakter des U5. Punkten kann er zudem beim Platzangebot in Reihe zwei, wo die Kniefreiheit auf Oberklasseniveau liegt. Der Kofferraum ist mit 370 Litern ordentlich groß, auch wenn die eher geringe Ladebreite und -höhe die Nutzbarkeit für sperriges Gut etwas einschränken.
Bis auf den langsamen Bordlader und das fehlende Navigationssystem beziehungsweise die wenig überzeugende Konnektivitäts-Lösung leistet sich der Aiways U5 keine ernsthaften Schwächen. Wer über ein paar Schrullen und Bedienschwächen hinwegsieht, bekommt ein zeitgemäßes und alltagstaugliches E-Auto – angesichts von Größe und Reichweite auch noch zu einem sehr fairen Preis. (SP-X)