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Letzte Generation: Aufgeben ist keine Option

Theodor Schnarr (l.) von der Letzen Generation mit einer weiteren Aktivistin. Foto: Letzte Generation

Von Ermüdungserscheinungen keine Spur: Die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ sind auch im Jahr 2023 allgegenwärtig. Daran ändert auch die Kritik nichts, die ihnen für ihre Aktionen entgegenschlägt.

Von Petra Krimphove


Es vergeht gefühlt kaum eine Woche, in der die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ nicht in Aktion treten. Sie kleben sich auf Straßen, bringen den Verkehr zum Erliegen – und ziehen damit nicht nur den Unmut der Autofahrenden auf sich. Selbst bei denen, die sich für Klima- und Umweltschutz engagieren, stoßen ihre Aktionen nicht immer auf Wohlwollen.

Nur einige Tage nach der Aktion am Alexanderplatz demonstrierte die „Letzte Generation“ vor dem Kanzleramt – und fällte dabei einen kleinen Baum. Damit wollte man auf die Rodung von Wäldern aufmerksam mach. Auf Twitter schrieb man: „Wirtschaft & Politik sägen an den Ästen, auf denen die Zivilisation sitzt.“ Klimaschutz und einen Baum fällen – es sind Widersprüche wie diese, die Kopfschütteln über die „Klimakleber“ hervorrufen. Schaden die Aktionen der „Letzten Generation“ nicht dem Anliegen?

Fünf Tage Präventivhaft in Einzelzelle

Theodor Schnarr findet nicht. Bei der Aktion am Alexanderplatz war der Sprecher der Bewegung nicht dabei. Aber andere zuvor haben ihm auch schon einmal fünf Tage Präventivhaft in einer sechs Quadratmeter kleinen Einzelzelle eingebracht. Er wollte in Frankfurt nicht zusichern, keine Straßen mehr zu blockieren. In Bayern können die Protestierenden theoretisch bis zu 30 Tage festgesetzt werden, mit der Option auf eine Verlängerung um einen weiteren Monat, in Berlin nur 48 Stunden.

„Ich nehme das in Kauf“, sagt der 32-Jährige. Der Doktorand der Biowissenschaften ist alles andere als ein Hitzkopf. Er argumentiert mit Fakten, wirkt entspannt und zugleich entschlossen. Er weiß, dass es keine Freunde macht, Feinde gar, Kartoffelbrei auf teure Gemälde zu werfen, Staus zu verursachen, Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder gar ins Krankenhaus auszubremsen. „Es geht nicht darum, dass wir beliebt sind. Mir macht es keinen Spaß, mich auf der Straße festzukleben und beschimpfen zu lassen“, sagt der 2-Meter Mann. Aber für ihn steht fest, dass er etwas tun muss, wenn die Menschheit sehenden Auges in die Klimakatastrophe läuft. Deshalb haben seine Frau, die ebenfalls promoviert, und er sich der „Letzten Generation“ angeschlossen. Neben der Arbeit im Labor für seine Dissertation und den Trainings und Spielen seiner Handball-Mannschaft ist sie zu einem zentralen Teil seines Lebens geworden. „Ich versuche mit Herzen Wissenschaftler und Aktivist zu sein.“

„Menschen aus Komfortzone reißen“

So ruhig wie im Labor geht es auf der Straße allerdings nicht zu. Disruptiv heißt das Schlagwort. Man will die Menschen aus ihrer Komfortzone reißen, um ihnen den Ernst der Lage vor Auge zu führen. „Wir stehen vor dem Abgrund“, sagt Theo Schnarr. „Uns läuft die Zeit davon. Aber die Politik tut nichts.“ Stimmt das? Schließlich hat die EU bis 2035 das Aus für den Verbrennungsmotor bis 2035 beschlossen. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden.

„Das ist nicht schnell genug. Wir müssen sofort handeln, dann haben wir noch eine Chance“, sagt der Aktivist und sieht sich darin von der Wissenschaft bestätigt. Theo Schnarr kann deren Zitate und die Fakten aus UN-Berichten aus dem Ärmel schütteln, zitiert prominente Stimmen, die seit Jahren bekräftigen, dass endlich schneller gehandelt werden müsste, um die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu halten, und die Klimakatastrophe noch abzuwenden. „Wir schieben unsere Kinder in einen globalen Schulbus hinein, der mit 98 Prozent Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt“, warnt zum Beispiel Hans Joachim Schellnhuber, der lange das renommierte Potsdam Institute für Climate Impact Research (PIK) leitete.

Verglichen dazu klingen die Forderungen der letzten Generation nach einem Neun-Euro Ticket und einem Tempolimit auf den Autobahnen fast harmlos. Und doch sind sie mit Bedacht gewählt. „Dass selbst sie nicht umgesetzt werden, entlarvt die Politik“, findet Schnarr. Wie könne die junge Generation einer Regierung vertrauen, die nicht einmal machbare und wissenschaftlich als effektiv belegte Schritte gehe? Zumal diese von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt würden? 57 Prozent der Befragten sprachen sich im April 2022 in einer Umfrage für ein Tempolimit aus, sagt er.

„1.000 Menschen vor einem Ministerium werden ignoriert“

Doch was erreicht die Bewegung, wenn sie die meisten Menschen wütend macht, statt auf ihre Seite zu ziehen? Der Unmut der vielen sei ja nicht das Ziel, sondern Mittel zum Zweck, sagt der Sprecher. „Was wir tun, kann nicht ignoriert werden. Wir wollen die Politik zum Handeln zwingen.“ Hingehen, wo es wehtut: 10 Leute, die Straßen blockieren, schaffen es in alle Medien, 1.000 Menschen vor einem Ministerium werden ignoriert. Insgesamt, so schätzt Theo Schnarr, war er mittlerweile an 15 bis 20 Blockaden beteiligt. Wer mitmacht durchläuft ein Training und wird auf Festnahmen vorbereitet. Im Team sind auch Psychologen, die im Bedarfsfall Betreuung anbieten. Nach den Aktionen treffen sich die Beteiligten abends und fangen sich falls nötig auf.

Aus der Konfrontation mit erbosten Autofahrern könnte Gewalt entstehen, das Klima ist rau. Das muss man wissen. „Das sind jedes Mal Extremsituationen.“ Wann eine Aktion stattfindet, gibt das Strategieteam einige Tage vorher bekannt. Der Ort bleibt bis kurz vorher geheim. Meist kleben sich die Aktivisten auf Straßen fest. „Aber wir kämpfen nicht prinzipiell gegen Autos.“ Die Straße ist vielmehr eine perfekte Bühne für den Schrei nach einem sofortigen Umsteuern. Doch wer die freie Fahrt für freie Bürger beschränkt, muss mit Widerstand rechnen. „Klima-RAF“ nannte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die „Letzte Generation“: Die Rote Armee Fraktion entführte und tötete in den 70er Jahren im Namen ihrer Überzeugungen Andersdenkende.

Kritik steigt, aber auch die Solidarität

Die Proteste der Letzten Generation verärgern nicht nur Autofahrer. Foto: Letzte Generation

Jüngst hat die „Letzte Generation“ ihren Forderungskatalog um die Etablierung von „Gesellschafträten“ erweitert. Ein ausgeloster Querschnitt aus der Bevölkerung soll über Zukunftsfragen entscheiden. Den Vorwurf, Deutschland habe ein Parlament und solch ein Gremium sei undemokratisch da nicht gewählt, will Schnarr nicht gelten lassen. „Im Bundestag sitzt nicht der Querschnitt der Bevölkerung, er besteht hauptsächlich aus Akademikern.“ Die Abgeordneten würden zudem von Lobbygruppen beeinflusst. Die Gesellschaftsräte könnten hingegen Deutschland „vom Veganer bis zum Autofahrer“ abbilden und Lösungen diskutieren. Deren Beschlüsse soll die Regierung dann bindend umsetzen. Der Aktivist kann daran nichts umstürzlerisches erkennen: „Bürgerräte werden von vielen Politikern wie Wolfgang Schäuble gefordert.“

Die Wut auf die sogenannten Klimakleber mag steigen, aber die Solidarität tue es auch, sagt er. „Wir wachsen weiter.“ Im nun zweiten Jahr ihres Bestehens will die „Letzte Generation“ den Protest ausweiten und ins ganze Land tragen, den Verkehr auch in Städten abseits der Metropole lahmlegen. Im Februar gab es bereits so viele Aktionen, dass auch die Gefahr besteht, dass die Proteste sich abnutzen und nur noch ein Achselzucken provozieren. Wie während der Berlinale, als sich zwei Aktivisten auf dem roten Teppich festklebten – als das Publikum bereits im Berlinale-Palast saß. Aufgeben sei keine Option, sagt Theo Schnarr: „Warum auch, solange wir noch eine Chance haben. Ich habe jedenfalls noch Hoffnung.“

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