Interviews

«Ich hebe mir meine Angst für später auf»

Faszinierende Unterwasserwelt: Freitaucherin Anna von Boetticher. Foto: Alexander Dawson

Anna von Boetticher ist Deutschlands bekannteste Freitaucherin. Im Interview mit electrified spricht sie u.a. über ihren Sport, die ARD-Doku-Serie Waterwoman und den Klimawandel.

Der größte Feind ist die Panik. Anna von Boetticher ist eine der bekanntesten Apnoetaucherinnen Deutschlands. Mit nur einem Atemzug taucht sie minutenlang bis zu 80 Meter in die Tiefe ab, ruhig wie ein Fisch im Wasser. In der ARD-Doku-Serie „Waterwoman“ erkundet sie faszinierende Unterwasser-Orte auf der ganzen Welt, trifft dort auf Haie und Rochen.


Im interview mit electrified-Autorin Petra Krimphove erzählt die Freitaucherin, warum sie unter Wasser keine Angst kennt, wie sie die Folgen des Klimawandels erlebt und was sie Marinetauchern beibringen kann.

«Das ist Training, wie bei jedem Sport»

electrified: Frau von Boetticher, Sie haben 34 deutsche Rekorde im Freitauchen aufgestellt. Für einen haben Sie 6:12 Minuten unter Wasser die Luft angehalten. Das ist die Länge von zwei Songs im Radio und für Laien ziemlich unvorstellbar. Wann und wo war das?

Anna von Boetticher: Das war 2009 auf einer Hallen-WM in Dänemark. Dort ging es um Rekorde in den Schwimmbaddisziplinen wie Luftanhalten und Streckentauchen. Die Halle ist gar nicht so mein Ding, aber ich wollte das mal ausprobieren. Und dann habe ich gleich den damaligen deutschen Rekord von 6:07 Minuten gebrochen. Erstaunlicherweise hat der fast zehn Jahre lang gehalten. Mittlerweile liegt die deutsche Rekordzeit für Frauen bei 7:08 Minuten.

electrified: Ich habe mal die Luft angehalten und gestoppt. Nach rund einer Minute wurde der Atemreiz schier unerträglich. Könnte ich mit Training auch mehrere Minuten schaffen?

Anna von Boetticher: Klar. Das kann man trainieren.

Anna von Boetticher ist Deutschlands bekannteste Freitaucherin. Foto: privat

electrified: Wie?

Anna von Boetticher: Einfach über Luftanhalten. Das ist Training, wie bei jedem Sport. Wer einen Marathon machen will, muss Laufen gehen.

electrified: Wenn Sie in die Tiefe tauchen, sind die Bedingungen aber anders als im Schwimmbad.

Anna von Boetticher: Beim Luftanhalten im Becken verbraucht man wenig Energie. Wenn ich tief tauche und mich bewege, verbrauchen die Muskeln Sauerstoff. Dann sind rund 3 Minuten das Maximum.

«Beim Freitauchen spielen viele Dinge eine Rolle»

electrified: Muss man für Ihre Sportart besondere Voraussetzungen mitbringen?

Anna von Boetticher: Beim Freitauchen spielen so viele Dinge eine Rolle. Besonders, wenn es in die Tiefe geht, ist der Kopf entscheidend.

electrified: Wie verträgt man es psychisch, so weit weg von der Oberfläche zu sein?

Anna von Boetticher: Natürlich ist auch das Lungenvolumen ein Faktor, aber nur einer unter vielen. Es gibt sehr viele Faktoren und vieles, das wir noch nicht wissen. Ich bin eigentlich die Anti-Apnoe-Taucherin. Ich habe nur 75 Prozent des normalen Lungenvolumens und habe trotzdem Rekorde gesetzt.

electrified: Weil Sie die mentale Stärke haben?

Anna von Boetticher: Vielleicht. Mein Unterbewusstsein findet es normal, in der Tiefe zu sein. Ich hatte nie Angst davor. Wer die hat, kann zwar trotzdem Apnoetaucher werden, aber er muss sich damit auseinandersetzen und sich langsam vorarbeiten. Viele Apnoetaucher kennen zum Beispiel den Impuls, ganz schnell nach oben sprinten zu wollen, weil sie so weit weg von der Oberfläche sind. Das kann gefährlich werden. Ich hatte diesen Impuls nie. Vielleicht weil ich vorher schon so lange mit Flaschen getaucht war.

«Ich hatte wirklich keine Panik»

electrified: In der Dokumentation gibt es eine Szene, in der sie in einer gefluteten Kalkstein-Mine in Budapest vom Scheinwerfer unter Wasser geblendet werden und nicht gleich den Ausgang finden. Erst hinterher wird klar, wie gefährlich das war. In dem Moment selbst scheinen Sie die Ruhe selbst zu sein.

Anna von Boetticher: Es ist elementar wichtig, dass ich in diesen Momenten keine Panik bekomme, sondern mich auf meine Handlungsfähigkeit konzentriere und sie mir erhalte. Ich erinnere mich, wie der Filmemacher Henning Rütten später das Material sichtete und nach dem Drama suchte. Es war nicht zu sehen – ich hatte wirklich keine Panik. Ich sage immer: Ich hebe mir meine Angst für später auf, weil ich mir Angst in solchen Momenten schlicht nicht erlauben kann. Das war allerdings eine Situation, die weit gefährlicher war als das normale Apnoetauchen. Ich war ja nicht in einem freien Gewässer, in dem ich auftauchen konnte, sondern in einem gefluteten Schachtsystem. Über mir waren Treppenstufen, neben mir zwei Wände und ich habe das Loch, das zur Oberfläche führt, nicht mehr gesehen.

electrified: Und dann?

Anna von Boetticher: Ich habe mich gefragt: Was tue ich jetzt und eine Lösung gesucht. Als ich weit genug vom Scheinwerfer weg war, konnte ich den Ausgang wieder sehen und bin nach oben geschwommen.

electrified: Kann man diese Ruhe üben oder ist es Teil Ihrer Persönlichkeit?

Anna von Boetticher: Beides. Das kann man schon auch trainieren.

«In Stresssituationen kühlen Kopf bewahren»

electrified: Sie unterrichten seit 2015 zwei Eliteeinheiten der Marinetaucher: die Kampfschwimmer und die Minentaucher. Was bringen Sie den Soldaten bei?

Anna von Boetticher: Sie müssen lernen, in den kritischsten Momenten unter Wasser ruhig zu bleiben. Wenn ein Helikopter abstürzt, dreht er sich im Wasser auf den Kopf und die Soldaten müssen den Ausgang finden. In solchen Stresssituationen muss man einen kühlen Kopf bewahren.

electrified: Wie bereitet man sich auf so etwas vor?

Anna von Boetticher: Wir erzeugen im Training Stressmomente und lernen gemeinsam, sie zu bewältigen. Dabei kann ein guter Lehrer sehr hilfreich sein. Ich hasse es zum Beispiel, irgendwo herunterzuspringen. Aber im Zuge der Marinetaucher-Ausbildung musste ich vom 5-Meter-Brett springen. Das war der Horror für mich, ich habe es schon als Kind gehasst. Mit einem richtig guten Lehrer, der mich herangeführt hätte, wäre es mir wahrscheinlich leichter gefallen.

electrified: Sie scheinen es zu mögen, Grenzen auszutesten.

Anna von Boetticher: Ich finde es wichtig, Dinge zu wagen. Ich liebe es, eine Anfängerin zu sein. Diese Momente haben das größte Potential, etwas zu entdecken und sich zu entwickeln. Aber wir gewöhnen uns das ab. Die meiste Leute machen am liebsten das, was sie gut können.

electrified: In der Doku sehen Sie selber aus wie ein Wasserwesen, mit ihrem Neoprenanzug, der Maske und den großen Flossen.

Anna von Boetticher: Ja, das ist ganz anders, als mit einer kompletten Ausrüstung zu tauchen. Mit der Technik ist man getrennt von der Welt unter Wasser. Ich mag es sehr, mich beim Freitauchen der Welt ganz unmittelbar auszusetzen und sie zu erfahren, mich mit Körper und Geist dem Lebensraum unter Wasser anzupassen. Wir Menschen haben ja die gleichen physiologischen Abläufe im Tauchreflex wie Meeressäuger wie Delphine und Wale.

electrified: Woran denken Sie unter Wasser?

Anna von Boetticher: Es gibt Momente, in denen man frei ist von dem Bedürfnis zu atmen und in denen man einfach nur schwebt. Das ist dann einfach nur sensationell. Es ist aber auch sehr anstrengend und nicht immer nur schön, den Atemreiz auszuhalten. Die wenigen Momente, in denen es perfekt es, muss man sich erarbeiten, aber die sind es dann auch wert.

«Folgen des Klimawandels erleben wir alle deutlich»

Freitaucherin Anna von Boetticher entdeckt Wal-Skelette auf dem Meeresboden. Foto: Alexander Dawson

electrified: Was war so ein perfekter Moment?

Anna von Boetticher: In diesem Frühjahr in Grönland sind wir in einem Fjord unter das Eis getaucht. Dort lagen die Skelette der Wale, die die Inuits gefangen und zerlegt und deren Überreste die Flut dann ins Meer gezogen hatte. Ich bin durch ein Eisloch hinunter. Oben lag Schnee auf dem Eis, unten war es sehr dunkel und in der Finsternis erschienen vor meinen Augen in sehr klarem Wasser riesige Walskelette wie in einer mysteriösen Urwelt, die ich mit einer kleinen Lampe erkundet habe. Das war ein unfassbarer Moment, in dem so viele Sachen zusammenkamen. Der ganze Zyklus des Lebens erschien da vor meinen Augen. Das ist ein Moment, den man nicht vergisst.

electrified: Die Verschmutzung der Weltmeere hat enorm zugenommen. Der Klimawandel setzt allen Gewässern zu. Wie erleben Sie das auf Ihren Tauchgängen? Sie sind auf der ganzen Welt unterwegs, tauchen seit 1987.

Anna von Boetticher: Die Folgen des Klimawandels erleben wir ja alle sehr deutlich. Durch wärmeres Wasser sterben die Korallen, auf den Malediven habe ich gesehen, was die Korallenbleiche aus den bunten Riffen gemacht hat. Die Folgen der Erderwärmung treffen ja die gesamte Natur. Ich habe die Covid-Zeit in den französischen Alpen verbracht. Dort haben wir im vergangenen Jahr einen Gletscher erkundet. Als wir in diesem Jahr dorthin zurückkamen, war er erheblich abgeschmolzen, in nur einem Jahr. Die Bergspitzen sind ohne Schnee, die Felsen stürzen hinunter. Ich nehme das alles wahr und finde es erschreckend, aber ich will ehrlich sein: Umweltthemen sind nicht unser Hauptthema.

electrified: Aber diese Umweltthemen sprechen Sie auch in der Doku an…

Anna von Boetticher: …ja, wir sprechen sie an, aber sie stehen in der Doku nicht im Zentrum. Das können andere besser als ich. Ich möchte mich an dieser Unterwasserwelt freuen dürfen, und das darf der Zuschauer auch mit mir.

electrified: Wie halten Sie es in ihrem Alltag mit dem Thema Nachhaltigkeit beispielsweise beim Essen? Legen Sie beim Einkauf Wert auf Bio-Lebensmittel?

Anna von Boetticher: Ich ernähre mich wo es nur geht von Biolebensmitteln, aber auch gerne von Produkten aus meiner direkten Umgebung. Warum sollte ich Butter aus Neuseeland kaufen? Das leuchtet mir nicht ein.

electrified: Und wie schaut es mit Ihrem Mobilitätsverhalten aus? Sie reisen um die ganze Welt, macht Sie das nachdenklich mit Blick auf Ihren CO2-Fußabdruck oder ist das schlicht Teil Ihres Berufs?

«Sind über Wochen an einem Platz»

Anna von Boetticher: Natürlich spielt das Reisen bei mir eine Rolle, ohne ein Flugzeug kommt man nicht nach Mexiko oder Grönland. Allerdings ist es bei mir meistens so, dass ich mich lange an einem Ort aufhalte. Wenn wir Apnoetaucher trainieren, sind wir über Wochen an einem Platz. Den erlebt man dann auch sehr bewusst, denn man fügt sich in den Rhythmus des Lebens vor Ort ein. Das gefällt mir. In unserer Mobilität liegen viele Chancen, auch für den Naturschutz. Besonders am Thema Haie kann man das gut sehen. Die Bahamas haben schon vor Jahren ihre Gewässer als Haischutzzone deklariert, weil man dort gesehen hat, dass die Besucher, die die Haie sehen möchten, viel mehr Geld bringen als die gefischten Haie. Dadurch findet man dort eine besonders gesunde Population vieler Arten. Natürlich stellt sich die Frage für uns alle, wie wir auch in Zukunft reisen, um möglichst wenig Schaden anzurichten und stattdessen vielleicht sogar einen positiven Beitrag leisten.

electrified: Was ist Ihr nächstes Ziel? Ein neuer Rekord?

Anna von Boetticher: Mein Fokus hat sich im Moment zurück auf das Entdecken verlagert. Ich habe viele Rekorde aufgestellt und hatte große Freude daran, den Sport auszuleben, aber meine größte Motivation war immer, die Unterwasserwelt in all ihren Facetten zu erfahren. Davon zu erzählen, ist meine neue Herausforderung. Vielleicht wird es weitere Folgen der „Waterwoman“- Reihe geben. Wir sind darüber derzeit im Gespräch.

Hier geht es zur ARD-Dokumentation

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