Interviews

«Grüne Architektur ist Rückkehr zur Normalität»

Architekt Matteo Thun fährt in Mailand mit seinem Klapprad durch die Stadt. Foto: Sakis Lalas

Matteo Thun gehört zu den weltweit bekanntesten Designern und Architekten. Im Interview mit electrified spricht er über Nachhaltigkeit beim Bauen und erzählt, warum er besonders gern mit Holz arbeitet.

Für Matteo Thun werden die Pariser Klimaschutzziele auch positiven Einfluss auf die Architektur nehmen und sie in Richtung Dauerhaftigkeit verändern, wie der weltweit bekannte Architekt und Designer im Interview mit electrified sagte. Für Thun ist grüne Architektur längst kein Trend mehr, sondern die «Rückkehr zur Normalität. Wenn ein Architekt nicht nachhaltig baut, nicht ökologisch handelt, dann sollte er diesen Beruf nicht ausüben».


«Die Menschen möchten die Städte renaturieren»

electrified: Herrn Thun, Sie sprechen im Zusammenhang mit Architektur ungern über Ökologie und Nachhaltigkeit. Es sind Aspekte, die für Sie untrennbar mit Ihrem Beruf verbunden sind. Ist diese Auffassung in der Kollegenschaft konsensfähig?

Matteo Thun: Ich denke, ja. Grüne Architektur ist kein Trend – es ist die Rückkehr zur Normalität. Wenn ein Architekt nicht nachhaltig baut, nicht ökologisch handelt, dann sollte er diesen Beruf nicht ausüben. Wir haben die beiden Worte mit Dauerhaftigkeit ersetzt. Mit ästhetischer und bautechnischer Dauerhaftigkeit. Darüberhinaus soll auch die Autorenschaft nicht ablesbar sein.

electrified: Inwieweit ist die heutige Architektur bereits geprägt von einer nachhaltigen Bauweise?

Thun: Sie wächst mit dem Umweltbewusstsein und der absoluten Notwendigkeit unser Verhalten auf diesem Planeten zu überdenken und zu verändern. Die Menschen möchten die Städte renaturieren und wir Architekten müssen die entsprechenden Antworten finden.

«Wir verfolgen das Konzept der 3 Zeros»

Das Spa im Vigilius Mountain Resort. Foto: Vigilius Mountain Resort

electrified: Um das Pariser Klimaschutzziel zu erreichen, muss neben Verkehr, Energie, Landwirtschaft auch der Gebäudesektor zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen beitragen. Wie wird das mittelfristig die Architektur verändern?

Thun: Positiv – und in Richtung Dauerhaftigkeit. In Deutschland bedeutet dies aber auch mehr Flexibilität von Seiten der Behörden hinsichtlich der Baubestimmungen wie zum Beispiel bei Dämmung und Brandschutz…..

electrified: In Ihren Arbeiten spielt der Einsatz lokaler Rohstoffe eine wichtige Rolle, besonders gern arbeiten Sie mit Holz. Hat das für Sie eher ästhetische als nachhaltige Gründe?

Thun: Beides. Natürliche Materialien wie Holz und Stein generieren eine wunderbare Patina die unsere Projekte gut altern lässt. Es geht aber um mehr: Wir verfolgend das Konzept der 3 Zeros: Null Kilometer: Baustoffnähe und lokale Kompetenz. Null CO2: Energiemanagement und weniger Emissionen. Null Abfall: Lebenszyklus-Management im Bauprozess und Wiederverwendung von Baustoffen.

electrified: Was macht Holz als Baumaterial für Sie so besonders?

Thun: Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und bietet ein maximales Nutzungsspektrum: Es ist lokal meist erhältlich, es ist flexibel und leicht. Es lässt sich einfach recyceln und vermittelt Wärme. Es ist formbar und sorgt für gutes Raumklima. Es ist optimal für Prefabrikation geeignet und individuell konfigurierbar. Konstruktionen aus Holz erfüllen nicht nur die klassischen Anforderungen an Statik, Schallschutz, Brandschutz, sondern werden zunehmend auch wirtschaftlich interessant. Ja, wir arbeiten gern mit Holz – in allen Bereichen unseres Universums.

«Gute Qualität hat seinen Preis»

Die Edelweiss Residenz in Katschberg. Foto: Thun/Edelweiss Residenz

electrified: Schaut man auf Ihre Projekte, dann entwerfen Sie viele Luxus-Hotels und Luxus-Ressorts wie beispielsweise das Vigilius Mountain Resort in Meran. Lässt sich Nachhaltigkeit in der Architektur nur mit viel Geld umsetzen?

Thun: Gute Qualität hat seinen Preis – aber nachhaltiges Bauen ist nicht nur im Luxusbereich möglich. Wettbewerbsfähig wird der Holzbau, wenn bereits der Entwurf auf die holzbauspezifische Konstruktion, die Möglichkeiten der Vorfertigung und des Transports abgestimmt ist. Rationalisierte Grundrisse und standardisierte, optimierte Details ermöglichen eine effiziente Produktion gerade auch großer Serien. Holzbau ermöglicht zudem, die Bauzeit eines Hauses von 20 auf zwei Monate zu reduzieren. Das Fertigbauhaus O Sole Mio, das ich zu Beginn der Neunziger entworfen habe oder das Projekt ‚City of Wood’ in Bad Aibling sind hierfür ein Beispiel.

electrified: In Großstädten wird derzeit viel über Luftverschmutzung gesprochen. Inwieweit kann eine entsprechende Architektur dazu beitragen, dass Mikro-Klima im urbanen Raum zu verändern?

Thun: Auf der ganzen Welt beginnt man Gärten, Terrassen und grüne Höfe auch in die vertikale Architektur zu integrieren. Vorreiter sind die Skandinavier. Gerade in den Großstädten ist, wie wir es nennen „Botanische Architektur“ sinnvoll, weil sie neben der CO2 Reduktion auch für den Menschen erwiesenermaßen neurologische, psychologische und physiologische Vorteile bietet.

«Der mehrgeschossige Holzbau erlebt ein Hoch»

electrified: In Mailand gibt es beispielsweise die begrünten Zwillings-Hochhäuser Bosco Verticale. Ist das für Sie ein Beispiel dafür, wie eine „klimagerechte“ Architektur in Zukunft ausschauen kann?

Thun: Absolut! Der mehrgeschossige Holzbau erlebt ein Hoch – und das global. Vertikales Bauen ist ein Muss um die Ausdehnung der Städte zu vermeiden. Die Menschen wollen keine unerträglich verdichteten Städte mehr – sie wollen ‚grün’ leben – auch in der Stadt. Wir haben hier in Mailand 2009 einen Gebäudekomplex in der Zona Tortona gebaut, das wir um einen großzügigen Innengarten mit einem Herzstück aus Bäumen angesiedelt haben. Der Komplex bietet Showrooms, Studios und Wohnungen Platz und nutzt geothermische Energie. Ein kostenloses Energiedepot, denn das Grundwasser Mailands steht immer zur Verfügung.

electrified: Sie sagten einmal, dass Architektur auch das soziale Klima der Bewohner beeinflussen kann. Hat die Art der Bauweise also einen Einfluss auf ein harmonisches Miteinander?

Thun: Der Mensch hat schon immer mit Holz gebaut. Holz vermittelt Wärme, es absorbiert und speichert CO2 aus der Atmosphäre und es ist taktil. Holz spricht alle Sinne an. Und dann altert dieser Rohstoff einfach schön. Patina ist in der Architektur ein hohes Qualitätsmerkmal.

«Architektur mit Zement ist energetisch inakzeptabel»

Hugo Boss in der Schweiz. Foto: Thun/Hugo Boss

electrified: Wie schaut für Sie die Vision von der Stadt der Zukunft inklusive der Mobilität aus?

Thun: Architektur mit Zement ist energetisch inakzeptabel – sie ist mit einer der größten Müllverursacher. Dieses Jahrhundert gehört dem Holz – ohne Schäden anzurichten, denn wir werden die gegebenen Resourcen nutzen. Die Natur hat den längeren Arm und dies wird sich in allen Bereichen im Verhalten der jüngeren Generation zeigen. Natürlich auch in der täglichen Art sich fortzubewegen. Ein eigenes Auto ist bei vielen jungen Leuten bereits heute ‚out’.

electrified: Sie sagen von sich, dass Sie Autos lieben, doch selbst fahren Sie keines. Warum?

Thun: Früher bin ich Autorennen gefahren und ich liebe nach wie vor die Geschwindigkeit, finde es aber absolut inakzeptabel, im Individualverkehr heute noch eine Blechkiste zu besitzen. In Mailand habe ich ein Klappfahrrad, mit dem mache ich alles… seit 40 Jahren!

electrified: Derzeit erleben wir einen Wandel bei der Mobilität hin zu Elektroautos und Sharingangeboten. Können Sie diesen neuen Angeboten etwas abgewinnen?

Thun: Die junge Generation hat eine andere Beziehung zu Besitz und ist immer mehr an ‚sharing’ interessiert – in allen Bereichen. Ich finde, dies ist eine sehr gute Entwicklung.

electrified: Wenn Sie sich als Architekt einen Projektwunsch erfüllen könnten, wie sähe der aus?

Thun: Eine Kirche für den jetzigen Papst – aus Holz.

Die Fragen an Matteo Thun stellte Frank Mertens

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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