Interviews

Gerhard: Es darf mir nicht egal sein, wer meine Kleidung fertigt

Die Schauspielerin Andrea Gerhard. Foto: Elena Zaucke

Dem Fernsehpublikum ist Andrea Gerhard aus ihrer Rolle in der ZDF-Serie „Der Bergdoktor“ bekannt. In ihrem Podcast „Zwei vor Zwölf“ spricht sie mit Wissenschaftlern und Unternehmern über Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit.

electrified: Gerade haben Sie auf der Konferenz mit Gisela Burckhardt, Vorstandsvorsitzende von Femnet e.V. und
entwicklungspolitische Gutachterin, über globale Gerechtigkeit in der Modebranche gesprochen. Wo liegen in den textilen Lieferketten denn die
größten Probleme und wie kann man als Konsument die Bedingungen für die Menschen in den Produktionsländern des globalen Südens auch ohne ein schärferes Lieferkettengesetz verbessern?


Andrea Gerhard: Die Frage ist komplex, da die Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen liegen. Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, Zwangsarbeit, mangelnde Transparenz und Umweltauswirkungen sind zu betrachten. Wir alle können, wenn wir dazu in der Lage sind, diesen Markt beeinflussen. Ich breche es mal runter mit den Worten von Vivienne Westwood “Buy less, choose well, make it last”. Was heißt das konkret: Unterstütze kleine, nachhaltige und faire Modelabels und achte auf Fair-Trade- und Öko-Siegel. Trage deine Kleidung länger und achte auf Mono-Materialien, was die Kreislauffähigkeit fördert. Kaufe bewusster und frage dich, ob du das Kleidungsstück wirklich brauchst. Kleider tauschen oder Second Hand sind gute Alternativen.

electrified: Viele Menschen kaufen ihre Kleidung im Supermarkt, bei großen Discounter-Ketten und mittlerweile bei chinesischen Ultra Fast
Fashion Anbietern wie Temu oder Shein. Welche Gefahr geht davon für die Umwelt und die Menschen aus, was sind die unmittelbaren Folgen?

Gerhard: Die Liste ist lang. Ich denke immer, wenn ich mich für female Empowerment einsetze, dann darf es mir auch nicht egal sein, wer meine Kleidung fertigt und mit welchen Chemikalien diese belastet sind. Für Menschen heißt das Kaufen von Ultra Fast Fashion: Niedrige Löhne und Ausbeutung, Kinderarbeit und fehlender Arbeitsschutz. Und für die Natur: übermäßigen Verbrauch von Ressourcen wie Wasser, die Verschmutzung durch Chemikalien, die Produktion von Mikroplastik und den hohen CO₂-Ausstoß. Wir müssen unserer Kleidung den Wert geben, den sie hat und sie nicht als Wegwerfartikel ansehen.

„Ein Traumgästin wäre Jane Godall“

electrified: Eigentlich war ihr Podcast „Zwei vor Zwölf“ als Nachhaltigkeits-Unterhaltungsshow fürs TV konzipiert. Jetzt gibt’s das
Format seit fünf Jahren zum Anhören. Wen wünschen sie sich unbedingt mal als künftigen Gesprächspartner und warum?

Gerhard: Eine Traumgästin wäre Jane Goodall. Eine Person bei der alle Menschen, die den Namen hören, sofort wissen, wofür sie steht. Für mich ist sie die Authentizität in Person, wenn es um Vermittlung zwischen Menschen, Natur & Tier geht.

electrified: Der Sommer 2024 war im globalen Durchschnitt einmal mehr so warm wie nie zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wieviel mehr unmissverständliche Aufklärung und freiwillige Eigenverantwortung auf der einen Seite oder schärfere gesetzliche Grundlagen wie Tempolimits, Co2-Steuer und Gebäudeenergiegesetz auf der anderen Seite brauchen wir, um hinsichtlich der Klimakrise und dem 1,5 Grad Ziel noch die Kurve zu kriegen?

Gerhard: Ob dieses Ziel noch zu erreichen ist, darum streiten sich aktuell die Expertinnen und Experten. Beim Erreichen von Klimazielen spielt die freiwillige Eigenverantwortung aber nur eine untergeordnete Rolle. Als Bügerinnen und Bürger ist es aber unsere Pflicht, den Druck auf die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft hoch zu halten. Innovationen zu fördern, klimawirksame Investitionen zu tätigen und no brainer wie z. Bsp. das Tempolimit endlich durchzusetzen. Das geht fix durch das Unterschreiben und Teilen von Petitionen oder Demonstrieren.

„Fortbewegungsmittel der Wahl ist Zug, Rad oder ÖPNV“

Andrea Gerhard ist stark an Nachhaltigkeit interessiert. Foto: Elli Hoste

electrified: Sobald man sich mit einem Thema intensiv beschäftigt und auseinandersetzt macht das ja auch was mit einem selbst. Inwiefern hat
sich Ihr Konsum- und Mobilitätsverhalten in den letzten 5 Jahren verändert?

Gerhard: Fortbewegungsmittel meiner Wahl ist nach wie vor der Zug, Rad oder der ÖPNV. Da hat sich nicht viel geändert. Aber: Wenn ich mit dem Camper, dem Auto oder mal mit dem Flieger unterwegs bin, dann habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, da ich weiß, dass politisch und wirtschaftlich andere Stellschrauben gedreht werden müssen und ich vor allem gelernt habe, dass inkl. indirekter Klimaeffekte (wie Kondensstreifen oder Ozon) der Klimabeitrag des Flugverkehrs auf 5 bis 8 % in Deutschland geschätzt wird. In Sachen Konsum habe ich mich die letzten Jahre immer weiter runtergeschraubt, da ich auch stets dazulerne, dass noch mehr Dinge zu besitzen, mich nicht glücklicher macht.

electrified: Solarbetriebene Flugzeuge, Frachtschiffe, die segeln, Regionalzüge, die auf Wasserstoff umgestellt werden – Treibhausgas freie Mobilität und Logistik gelten für den Klimaschutz neben dem Verzicht auf Fossile Brennstoffe zur Energiegewinnung als wirksamste Klimaschutzmaßnahmen. Wo sehen Sie Deutschland bis 2030 wenn es so weiter geht wie bisher?

Gerhard: Ehrlich gesagt noch nicht viel weiter als aktuell. Nach wie vor ist mein Eindruck, dass der politische Wille fehlt, ernsthaft an der Mobilitätwende zu arbeiten. Die Lobby scheint noch zu stark zu sein und steht weiter auf der Bremse.

electrified: Ein gängiges Vorurteil ist, das wir in Deutschland mit einer Bevölkerung von 85 Millionen Menschen nicht viel dazu beitragen können, globalen Umweltschutz voranzutreiben oder die Klimakrise aufzuhalten. Was antworten Sie auf solche Thesen?

Gerhard: Da sind wir beim Thema Selbstwirksamkeit und Vorbildfunktion. Zum einen ist es eine massiv passive und nach hinten gerichtete Energie, sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen. Zum anderen sind wir in Deutschland eben auch ein globaler Wirtschaftsstandort und können so dazu beitragen, die Geschichten des Gelingens vorzuleben. Ich empfehle dafür „Zwei vor Zölf“- Folge #135 mit Prof. Schaltegger: Nachhaltigkeit kann und muss auch eine Wirtschaftlichkeit haben.

„Aktuell begeistern mich drei Bücher“

electrified: Gibt’s aktuell ein Buch, das Sie zu dem Thema empfehlen würden und welchen Podcast hören Sie selbst gerade am liebsten?

Gerhard: Aktuell begeistern mich die drei Bücher: Männer, die die Welt verbrennen von Christian Stöcker, #RespectMySize von Julia Kremer und Klima-Bullshit-Bingo von Jan Hegenberg zu meinen Themen. Podcasts höre ich sehr viele, Hotel Matze ist für mich ein Evergreen.

electrified: Papierverpackungen aus Laub, Dachziegel mit Solarclips, schwimmende Bojenkraftwerke im Atlantik – welche Innovation hat Sie zuletzt so richtig begeistert?

Gerhard: Weil wir es gerade im privaten bei einer Wohnungssanierung benutzt haben: Dämmmaterial aus Hanf. Hat alle Eigenschaften wie z. Bsp. Holzfaser, aber einen geringeren ökologischen Fußabdruck. Frei von Schadstoffen, eine super Wärmedämmung, leichte Handhabung und Feuchtigkeitsregulation. Preislich teilweise günstiger als herkömmliche Materialien.

electrified: Welche Frage hätten wir Ihnen unbedingt noch stellen sollen?

Gerhard: Vielleicht die Frage, was in der Klimakommunikation gerade fehlt. Dann würde ich antworten, dass alle Medien und Creator dazu aufgerufen sind, auch die Geschichten des Gelingens und dem, was wir gewinnen können, zu erzählen. Wir alle lieben doch die Natur, wir gehen zum Entspannen in den Wald, springen in den See oder blicken stundenlang auf das Meer. Wir empfinden Entspannung, wenn wir ein Tier streicheln. Und diese Welt und die unmittelbare Verfügbarkeit der Natur gilt es zu bewahren. Das ist mein Antrieb, dafür mache ich u.a. Zwei vor Zwölf und bin als Moderatorin in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs.

Das Interview mit Andrea Gerhard führt Kay Alexander Plonka

Über den Autor

Frank Mertens

Nach dem Sport- und Publizistikstudium hat er sein Handwerk in einer Nachrichtenagentur (ddp/ADN) gelernt. Danach war er jahrelang Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele (Sydney, Salt Lake City, Athen) als Berichterstatter begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das bloße Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche. Neben der Autogazette verantwortet er auch den redaktionellen Teil des Magazins electrified.

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