Elektro

Kia EV9: Für alle, die viel Platz brauchen

Der EV9 ist Kias neues Flaggschiff und spricht vor allem Familien an. Foto: Kia

Er ist groß, sehr groß. Mit seiner Länge von fünf Metern bietet der Kia EV9 viel Platz – und ist dabei auch ausgesprochen variabel.

Kia denkt die Elektromobilität größer als die Konkurrenz. Das aktuelle Batterie-Flaggschiff der Koreaner ist nicht nur über fünf Meter lang, sondern auch technisch eine Wucht. „Für Europa könnte das ein bisschen viel sein“, denkt man beim Anblick des EV9 zunächst. Weiß am Ende aber gerade die Über-Größe zu schätzen.


Es sind gar nicht allein die Dimensionen, die den EV9 auf deutschen Straßen und Parkplätzen auffallen lassen. Mindestens genauso Aufmerksamkeit heischend ist das futuristisch-kantige Design. Der wuchtige Kühler mit den schmalen Scheinwerferschlitzen, die glatten Seitenflächen mit den versenkten Türgriffen und das senkrecht stehende Heck schlagen eine Brücke zwischen alten amerikanischen Familiengeländewagen und dem Raumschiff-Styling aus modernen Science-Fiction-Filmen. Im All braucht es halt keine Aerodynamik.

Sehr viel Platz im Innenraum

Das Cockpit im neuen Kia EV9 ist klar strukturiert und intuitiv zu bedienen. Foto: Kia

Weil der rechte Winkel aber trotz aller Nachteile beim Luftwiderstand selbst im Auto noch immer das optimale Maß für menschliche Aufenthaltsräume ist, geht es im Inneren des Crossovers außergewöhnlich geräumig zu. Sechs Sitze sind mindestens an Bord, alternativ ist ein Siebensitzer zu haben, bei dem die beiden Einzelsessel in Reihe zwei durch eine Dreierbank ersetzt werden. Die komfortablere Wahl ist aber die erstgenannte. Nicht nur, weil die alleinstehenden Sitze mehr persönlichen Freiraum bieten, sondern auch weil man zwischen ihnen hindurch leichter in Reihe drei kommt. Alternativ erfolgt der Einstieg durch das Umklappen der Sitzlehnen in Reihe zwei, was aber beim anschließenden Zwängen deutlich mehr Gelenkigkeit verlangt. Zudem sind die Einzelsitze um 180 Grad drehbar, was eine Vier-Sitzgruppe schafft, die mangels Knieraum aber allenfalls für Kinder sinnvoll nutzbar ist.

Wer das komplette Gestühl in die richtigen Dimensionen rückt, kann aber auch mit fünf Erwachsenen einigermaßen bequem sitzen, wenn man sich in Reihe drei ein wenig quer platziert. Für einen sechsten würde es dann aber auf Dauer zu eng. Trotzdem: Im Vergleich mit fast allen anderen Sechs- oder Siebensitzer-SUVs auf dem Pkw-Markt bietet der Kia das tauglichste Platzangebot. Für Gepäck ist bei voller Bestuhlung dann allerdings nicht mehr sehr viel Raum – 333 Liter reichen aber immer noch für einen größeren Wocheneinkauf. Kia hat hier klar auf die Passagiere hin optimiert, die sich hier wie in der sprichwörtlichen Lounge vorkommen.

Dritte Sitze elektrisch einklappbar

Wer alle Sitze einklappt – was im Falle der dritten Reihe elektrisch und sehr elegant funktioniert -, kann fast zwei Kubikmeter Stauraum nutzen. Dazu gibt es unter der vorderen Haube noch einen recht großen Frunk, der neben Warndreieck und Verbandskaten auch einen kleinen Koffer oder das Ladekabel fasst. Optional ist außerdem eine Anhängerkupplung zu haben – bis zu 2.500 Kilogramm dürfen an den Haken. Einen besseren Transporter gibt es in Europa außerhalb des echten Transporter-Segments nicht.

Die Kehrseite des üppigen Platzangebots ist die immense Größe des Kia. Nicht nur sind die 5,02 Meter Länge eigentlich zu viel für deutsche Innenstädte, die 2,24 Meter Breite mit Spiegeln machen die Fahrt in Parkhäuser und durch Autobahnbaustellen schwierig. Der Wendekreis fällt mit fast 13 Metern ebenfalls groß aus. Überraschenderweise stört das im Alltag aber wenig: Die kantige Karosserie und die hohe Sitzposition machen das Abschätzen von Entfernungen beim Rangieren einfach, mehrere Kameras leuchten die Umgebung restlos aus und übersehen kann den Kia beim manchmal langwierigen Wenden in mindestens drei bis fünf Zügen auch niemand. In der Autobahnbaustelle ist die ganz linke Spur in der Regel tabu, so dass man sich zwischen den Lkw einsortiert, ohne sich in dem übergroßen SUV jedoch besonders klein und verwundbar vorzukommen.

Erstaunlich leichtes Handling

Dass sich der Kia so gar nicht durch die engen Lücken im Verkehr wuseln mag, stört nicht, hält er doch sowieso eher zum entspannten Fahren an. Die Verbindung aus niedrigem Schwerpunkt und komfortabler Abstimmung lässt den Crossover sanft wankend dahingleiten wie ein Boot bei entspanntem Seegang. Sportlich ist das sicher nicht, aber auch alles andere als schaukelig oder unpräzise. Erstaunlich, wie das eher simpel konstruierte Fahrwerk des Koreaners schlechte Straßen genauso gut absolviert wie bügelglatte Autobahnetappen. Ein Luftfahrwerk oder auch nur elektronisch geregelte Dämpfer vermisst man hier auf jeden Fall nicht. Auch bei der Antriebskraft bleiben keine Wünsche offen. In der Top-Variante arbeitet ein 283 kW/385 PS starkes Motoren-Duo, das die mehr als 2,5 Tonnen schwere Fuhre elektro-typisch so gleichmäßig wie vehement nach vorne zieht. Und zwar mehrere 100 Kilometer weit.

Der Verbrauch des Allraders pendelt je nach Fahrweise und Außenbedingungen im Mix aller Straßenarten großräumig um die 20-kWh-Marke und geht damit für ein derart massiges Auto in Ordnung. Allerdings gilt auch: Bei dauerhafter Autobahnfahrt muss man aufgrund der großen Stirnfläche noch mal gut 5 kWh drauflegen, wer schneller als Richtgeschwindigkeit fährt, kommt locker in die Nähe der 30 kWh und darüber hinaus.

400 Kilometer realistisch

Viel Platz: der Kia EV9 ist immer mit drei Sitzreihen unterwegs. Foto: Kia

Die Normreichweite gibt Kia mit 505 Kilometern an, realistisch sind bei einem zurückhaltenden Fahrstil Mix-Werte von rund 400 Kilometern. Das reicht für den Alltag der meisten Nutzer locker aus. Werden die Strecken länger, profitiert der EV9 von seinem 800-Volt-Batteriesystem und der hohen Ladeleistung. Theoretisch sind am DC-Anschluss 240 kW möglich, in der Praxis haben sich meist Werte um die 200 kW ergeben, die dann aber über ein großes Füllstands-Band anliegen. Wer einmal auf Toilette geht und nicht zu eilig zurückschlendert, hat schon wieder rund 200 Kilometer mehr auf der Reichweiten-Uhr. Mithalten kann da aktuell selbst im Premium-Segment kaum jemand.

Mindestens 72.500 Euro kostet der Kia EV9 in der Basis, 4.000 Euro mehr in der Top-Variante mit Allradtechnik. Das ist viel Geld – aber eben auch für viel Auto. Konkurrenten wie Volvo EX90 oder Tesla Model Y sind noch einmal 10.000 Euro bis 30.000 Euro teurer. Damit der so gesehen faire Preis möglich ist, hat Kia an der ein oder anderen Stelle gespart. Wie beim Fahrwerk fällt das aber kaum ins Gewicht: So ist das Cockpit zwar zu großen Teilen aus Hartplastik montiert. Weil das Design aber modern und reduziert ist, fällt das nicht unangenehm auf. Auch mit Zugeständnissen wie der schlecht belüfteten Handy-Ladeschale (Überhitzungsgefahr im Sommer) oder dem ungünstig platzierten Klima-Bedienbildschirm (im toten Winkel hinter dem Lenkkranz) kann man unterhalb der Premiumklasse leben.

Und zu groß kommt einem der Kia nach einigen Tagen Testfahrt auch nicht mehr vor: Wer den EV9 zu massig findet, legt vielleicht einfach den falschen Maßstab an. Denn der Korea-Koloss ist weniger eine Alternative zum normalen Pkw oder Crossover als vielmehr zu Modellen wie dem VW ID.Buzz. Eine Großraumlimousine im Crossover-Kleid also, garniert mit viel Pkw-Komfort. Dann relativiert sich auch der hohe Preis des Koreaners. Wer mehr als zwei Kinder hat, ist in Sachen Kosten sowieso Kummer gewohnt. (SP-X)

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SP-X

SpotPress - abgekürzt SP-X - ist eine auf Nachrichten aus der Autoindustrie spezialisierte Agentur.

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